Artikel 143h
„Klimaneutralität bis 2045“ als neues Staatsziel verankert?
Heftige Debatte im Bundestag: Ist das Ziel von null Netto-Emissionen bis 2045 künftig vor dem Bundesverfassungsgericht einklagbar? AfD und andere polemisieren.

© dpa/Bernd von Jutrczenka
Merz im Bundestag.
Von Michael Maier
Die geplanten Grundgesetzänderungen sorgen für kontroverse Diskussionen im Bundestag – nicht nur wegen neuer Schulden, sondern auch wegen der Formulierung „Klimaneutralität bis 20245“, die nach Verhandlungen mit den Grünen in Bezug auf Infrastruktur-Investitionen in den Antragstext aufgenommen wurde. Im Kern geht es um die Frage, ob dadurch im Grundgesetz im neuen Artikel 143h eine Zweckbindung für Investitionen festgelegt und ein verbindliches Staatsziel geschaffen wird.
Die Grünen feiern die Einigung als Erfolg. Für ihre Zustimmung zum 500-Milliarden-Schuldenpaket haben sie durchgesetzt, dass „Klimaneutralität bis 2045“ erstmals explizit in der Verfassung erwähnt wird. Der neue Artikel soll festlegen, dass der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 errichten kann. Dem Wortlaut zufolge kann das Geld also sowohl allgemein in die Infrastruktur als auch in Investitionen zur Klimaneutralität fließen.
Merz relativiert „Klimaneutralität bis 2045“
CDU-Chef Friedrich Merz betonte im Bundestag, dies schaffe keinen neuen Verfassungsauftrag. Die Nennung der Jahreszahl 2045 entspreche lediglich den bereits bestehenden Vorgaben des Klimaschutzgesetzes. Zudem sei die Nachhaltigkeit seit 30 Jahren im Grundgesetz in Artikel 20a verankert, und das Bundesverfassungsgericht habe bereits 2021 ein Klimaschutz-Urteil gefällt.
An dieser Stelle kassierte der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner einen Ordnungsruf, weil er gegen das Bundesverfassungsgericht polemisierte. Die Bild-Zeitung hatte in den letzten Tagen ebenfalls Stimmung gegen die vorgesehene Formulierung gemacht.
Staatsrechtler befürchtet „Hochrisikoaktion“
CSU-Chef Markus Söder sieht in den aktuellen Änderungen indes „definitiv“ kein neues Staatsziel. Verfassungsrechtler sind laut Medienberichten geteilter Meinung. Der Jurist Dietrich Murswiek sieht zwar ebenfalls nur eine mögliche Zweckbestimmung für einen Teil der Investitionen, warnt aber vor einer „Knebelung auf Umwegen“: Deutschland könnte durch die neue Formulierung an das Ziel 2045 gebunden bleiben, selbst wenn die EU ihren Zeitplan ändert. Der Augsburger Staatsrechtler Josef Franz Lindner spricht von einer „verfassungsrechtlichen Hochrisikoaktion“, so die Neue Zürcher Zeitung.
Klimaneutralität bis 2045 hat hohen Preis
Für die Wirtschaft steht viel auf dem Spiel. Ein forcierter Weg zur Klimaneutralität bis 2045 statt 2050 könnte laut Berechnungen zusätzliche Kosten von einer Billion Euro verursachen, heißt es. Kritiker warnen vor einer drohenden Deindustrialisierung durch weiter steigende Energiekosten.
Die praktische Bedeutung der Grundgesetzänderung wird sich erst in der Rechtsprechung zeigen, glauben Beobachter. Umweltverbände könnten versuchen, aus der Formulierung weitreichende Pflichten abzuleiten - und diese dann höchstrichterlich einklagen. Wer über Wege zum Klimaschutz diskutieren will oder gar dessen Sinn bezweifelt, könnte dann womöglich als Verfassungsfeind abgestempelt werden, so die Befürchtung.