„Dragon Age: The Veilguard“ im Test
Knüpft das neue Rollenspiel an Biowares ruhmreiche Zeiten an?
Entwickler Bioware galt lange als das Maß aller Dinge, wenn es um Rollenspiele ging. Nach einigen Flops ist dieser Ruf etwas angekratzt. Gelingt der Spieleschmiede mit „Dragon Age: The Veilguard“ die Wende?
Von Sascha Maier
Nach den gemischt aufgenommenen Titeln „Anthem“ und „Mass Effect: Andromeda“ von Bioware, einst Garant für großartige Rollenspiele, sind die kanadischen Spieleentwickler ganz schön unter Zugzwang, wieder einen echten Hit abzuliefern. Dies soll ihnen mit „Dragon Age: The Veilguard“ gelingen, das die Dragon-Age-Fantasy-Rollenspielreihe lose fortsetzt, deren letzter Ableger „Inquisition“ bereits 2014 erschienen war. Dabei gelingt es zwar einerseits, die Qualität vergangener Rollenspielperlen durchaus zu erreichen. Anderseits muss man auch konstatieren: Wir schreiben das Jahr 2024, und die Konkurrenz hat inzwischen die Messlatte vielleicht einfach etwas zu hoch gesetzt.
Dazu etwas Vorwissen, wer die Welt der Videospiele nicht intensiv verfolgt: Vergangenes Jahr hat das belgische Entwicklerstudio Larian mit „Baldur’s Gate 3“ ein Rollenspiel abgeliefert, das viele Standards im Gaming-Bereich völlig neu definierte. Vielleicht ist es ein bisschen ungerecht, sich an diesem Meisterwerk messen müssen – aber ein Studio wie Bioware, das zurück auf den Rollenspiel-Thron will, muss sich den Vergleich gefallen lassen.
Der Anfang ist zum Haareraufen
Denn „The Veilguard“ kommt vor allem am Anfang wie ein Rollenspiel aus den frühen 2010ern daher – von der durchaus zeitgemäßen und hübschen Grafik, zu der wir später kommen, mal abgesehen. 95 Prozent aller NPCs – computergesteuerte Figuren, die die Spielwelt bevölkern – sind nicht mehr als digitales Pappmaschee, eine offene Welt existiert nicht, die Spielmechaniken beschränken sich auf den Kampf, das „Hochleveln“ der Spielfiguren und die Navigation durch Dialoge. Die Möglichkeit, Missionen auf verschiedenen Wegen zu lösen, sandboxige, ineinandergreifende Spielsysteme wie eben in „Baldur’s Gate 3“ – Fehlanzeige. Dennoch macht der neue Dragon-Age-Ableger durchaus Spaß, wenn man weiß, was einen erwartet und man etwas Geduld mitbringt.
Leider ist die Story für Neulinge der Serie vor allem zu Beginn ausgesprochen verwirrend. Dämonen, die aus Dimensionsrissen hervorquellen, irgendwelche Zwerge, gute und böse Zauberer und wir mittendrin; am Ende des halbstündigen Auftakts begegnen wir einem Elfengott, der die Welt mit einem Ritual bedroht. Unsere Gruppe stoppt ihn zu dem Preis, dass zwei andere Elfengötter aus einer Parallelwelt entkommen, die die Welt noch mehr bedrohen, und wir uns schließlich in einem Leuchtturm zwischen den Dimensionen wiederfinden, von wo aus unsere eigentliche Reise beginnt mit der Mission: Die Welt retten, natürlich.
High-Fantasy-Setting
Das klingt alles ein wenig abgedroschen und nach Fantasy-Klischees und das ist es auch. Wer keine hohe Toleranz für High-Fantasy-Settings mitbringt, in denen wirklich jede Tür irgendwie verzaubert ist und alle fröhlich durch die Dimensionen springen, wird sich nur schwer in die Spielwelt einfühlen können. Wem es gar nicht genug magischer Firlefanz sein kann, dass man quasi auf dem Weg zum Markt und zurück über drei Brücken schreitet, die sich erst beim Näherkommen manifestieren, Fabelwesen allerorten, wird in „Veilguard“ aber seine Freude haben.
Tatsächlich sehen die Schauplätze alle schick aus und sind detailverliebt gestaltet, auch wenn sich Interaktionsmöglichkeiten in den am Ende etwas schlauchig geratenen Arealen in Grenzen halten. Etwas Potenzial wird auch dadurch etwas vergeben, dass wir sämtliche Bereiche ausschließlich durch Zauberspiegel bereisen und die Spielwelt somit etwas zerstückelt wirkt; ein echtes Gefühl für das Ausmaß des bedrohten Kontinents will dadurch nicht so recht aufkommen – schade.
Leveldesign von der Stange
Innerhalb der „Levels“ wird zwar Erkundungsdrang belohnt, allerdings meist mit nicht mehr als einer Schatztruhe voller verzaubertem Krimskrams. Wenn man sich das 2022 erschienene „Elden Ring“ anschaut, in dem sich nach dem Abweichen von den Hauptpfaden oft ganze Areale ausbreiteten, in denen man stundenlang optionale Abenteuer erleben konnte, zeigt Bioware auch hier, dass es in Sachen Leveldesign nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist.
Tolle Begleiter
Dafür punktet „The Veilguard“ bei der vielleicht größten Stärke des Entwicklerstudios: dem Storytelling. Vielleicht nicht was erzählt wird, aber wie es erzählt wird, ist erste Sahne. Denn nach dem holprigen Start und dem generischen Plot wachsen einem vor allem die Begleiter schnell ans Herz, die Rook, unsere Spielfigur, die wir vor dem Spielstart in einem Charaktereditor in Sachen Geschlecht, Aussehen und Hintergrundgeschichte komplett unseren Wünschen anpassen können, auf seinen Abenteuern begleiten.
Sie sind allesamt gut geschrieben, verfolgen ihre eigenen Interessen und bringen eigene Begleiter-Quests mit, die zwar optional sind, aber die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Allein ihr Schicksal, das auch durch unsere Entscheidungen im Spiel beeinflusst wird, bis zum Ende mitzuerleben, motiviert genug, den Controller nicht so schnell beiseite zu legen.
Spaßige Kloppereien
Gemeinsam mit bis zu zwei der Recken gleichzeitig stürzen wir uns auch ins spaßige, im Vergleich zu den Vorgängern actionlastigere Kampfgetümmel, in dem wir je nach gewählter Klasse überwiegend das Schwert schwingen, zaubern oder Pfeile verschießen. Taktischen Tiefgang gibt es zwar durch Spezialfähigkeiten auch, beim verzeihlichen voreingestellten Schwierigkeitsgrad kommt man aber auch ganz gut ohne bis ins Detail optimierte Strategien mit den Gegnerhorden zurecht.
Die Kloppereien sehen wie die Charaktermodelle fluffig aus, die Animationen sind auf der Playstation 5 flüssig und die Zauber-Effektgewitter kommen ebenfalls schick daher, auch wenn’s manchmal etwas unübersichtlich wird. Am comichaften Stils des Dragon-Age-Ablegers schieden sich bereits nach dem ersten Trailer die Geister, insgesamt wirkt das Artdesign aber stimmig und auch düstere Momente verlieren dadurch nichts an Dramatik.
Abschließend sei noch erwähnt, dass die Veröffentlichung des Spiels unschöne Begleitumstände erlebte, weil auch geschlechtlich „nichtbinäre“ Figuren vorkommen, die in der hervorragenden deutschen Vertonung mit entsprechenden Pronomen angesprochen werden. In der Folge wurde „The Veilguard“ Ziel von sogenanntem Reviewbombing aus einschlägigen Kreisen, die dem Spiel vorwerfen, woke Propaganda zu betreiben. Insofern wurde das Spiel auf manchen Plattformen schlechter bewertet, als es wirklich ist.
Fazit: Alte Rollenspielschule in hübschem Gewand
Aber wie gut ist „Dragon Age: The Veilguard“ denn unterm Strich nun? Durch die Oldschool-Rollenspiel-Brille macht der Titel sehr viel richtig und kommt überdies optisch in absolut zeitgemäßem Gewand daher. Hinter der Fassade ist das Spielsystem aber aus heutiger Sicht nichts Besonderes mehr, dafür bewegt sich alles zu sehr wie auf Schienen.
Während Spielende bei „Baldur’s Gate 3“ den Verlauf der Geschichte dadurch beeinflussen können, dass sie ein wichtiges Artefakt einfach in eine Schlucht werfen und sich das Spiel an den Umstand anpasst, dass es eben weg ist, beeinflussen wir das Geschehen in Dragon Age nur durch Dialogoptionen wie schon vor zehn Jahren. Für den Rollenspiel-Thron reicht das heute leider nicht mehr.
„Dragon Age: The Veilguard“ ist auf PlayStation 5, XBox und PC erschienen, die Standardedition kostet aktuell zwischen 60 und 70 Euro