Kontrastreiche Emotionen erzählen von der Passionszeit

Der Württembergische Kammerchor gibt ein eindrückliches, berührendes Konzert in der Murrhardter Stadtkirche.

Der Chor überzeugt mit seinem Können und seiner Interpretation. Kantor Mayer reiht sich am Abend mit Orgelwerken ein. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Der Chor überzeugt mit seinem Können und seiner Interpretation. Kantor Mayer reiht sich am Abend mit Orgelwerken ein. Foto: Stefan Bossow

Von Petra Neumann

Murrhardt. Der Württembergische Kammerchor unter der Leitung von Dieter Kurz sowie Kantor Gottfried Mayer hat ein sehr eindrückliches Konzert anlässlich der Passionszeit in der Murrhardt Stadtkirche gegeben. Zum Programm gehörten fünf Werke von Komponisten aus unterschiedlichen Jahrhunderten, die ihren Glauben und ihre Empathie mit dem Leidensweg Christi in Musik umgesetzt haben.

Carlo Gesualdo da Venosa (1566 bis 1613) komponierte die zwei vorgetragenen Responsorien. Zum Hintergrund von „Tristis est anima mea“ (Traurig ist meine Seele): Jesus ringt im Garten Gethsemane mit der Härte seines göttlichen Auftrags. Gleich einer Quelle steigen die Stimmen des Chores aus der Tiefe empor; der Schmerz und das Leiden hingegen beschweren. Allein Glaube und Wissen um die Wichtigkeit der Mission vermögen Jesus Erleichterung zu schaffen, dennoch ist es ein Ringen in tiefster Not. Unsägliche Traurigkeit ergreift den Menschensohn, der mit der Kraft seiner unsterblichen Seele und dem Lebenswillen seiner physischen Existenz kämpft, wissend, dass jede humane Geste seiner Gegner die Menschheit ein großes Stück hätte weiterbringen können. Die wunderbar gesungen Melodie ist zwar getragen, doch sehr ätherisch, weil sich diese innere Auseinandersetzung auf einer hochgeistigen Ebene abspielt. „O vos omnes“ (Oh ihr alle): Auch das zweite Responsorium, das die Zeit nach dem Tod des Erlösers beschreibt, bewegt sich auf seelisch-emotionaler Ebene. Die Trauer der Zeitzeugen und jener, die sich in späteren Jahrhunderten in das tragische Geschehen einfühlen, quillt über vor hoffnungslosem Kummer und Qual: „...schaut auf meinen Schmerz, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz.“

Gottfried Mayer spielte den Choral „Schmücke dich, o liebe Seele“ von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750). Das Werk ist viel zuversichtlicher, denn die Trauer muss dem Licht der Auferstehung, dem Sieg des Göttlichen über die Finsternis weichen.

Christoph Demantius (1567 bis 1643) fasste die Worte des Passionsgeschehens in Noten. Das Werk hat eine erzählerische Komponente und ist zugleich von einer solchen Schönheit, dass das irdische Geschehen transzendiert wird und all die grausamen Szenen von jeglichem Übel gereinigt erscheinen. Dennoch unterlässt es der Komponist nicht, den dramatischen Höhepunkt der Kreuzigung plakativ zu betonen.

Olivier Messiaen (1908 bis 1992) kostete die ganze Wirkkraft der Orgel aus, was Gottfried Mayer sehr eindrucksvoll interpretierte. Gewaltig sind die Orgelklänge und erfüllen den Kirchenraum, so schwer als entströmten sie dem Zentrum aller Schwärze. Es ist die tiefste Materie selbst, in der sich das Schicksal erfüllt. Dem gegenüber setzte Messiaen sphärische Klänge, die jedoch nicht frei von Dissonanz sind, allerdings um die Vollkommenheit zu wissen scheinen. Sie schmerzen, ziehen und zerren an der Schwere und heben sie an. Doch noch ist die Erlösung nicht vollbracht.

Der zeitgenössische Notensetzer Wolfgang Rihm (geboren 1952) vertonte die markantesten Sätze der Passion aus den vier Evangelien. Dadurch gewinnt der Chorgesang eine ungeheure Dramatik: Das Volk, das auf der Kreuzigung des Herrn besteht, ist nahezu wollüstig in seinem Verlangen, den Gottessohn leiden zu sehen. Die Szene erinnert in ihrer Bizarrheit an einen Hexensabbat, zuerst wird gewispert und gezischelt, bis dieses Begehren die Menschen zu Furien macht. Jesus hingegen erbittet von Gott die Vergebung für diese Unwissenden. An dieser Stelle erheben sich die Frauenstimmen zu einer überirdischen Schönheit und auch die Solostimme von Ana Jincharadze verklärt das Schlechte zum Einzigen, was vor Gott bestehen kann: vollkommener Reinheit. Dieses zutiefst ergreifende und berührende Konzert verdankt seine Eindringlichkeit auch dem hohen Niveau und der Interpretation der Musizierenden.

Zum Artikel

Erstellt:
28. März 2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

„Es darf nie wieder geschehen“

Heinz-Georg Kowalski aus Murrhardt hat das Ende des Zweiten Weltkriegs als Kind in der Nähe von Torgau erlebt, wo Russen und Amerikaner am 25. April 1945 aufeinandertrafen. Seine drei Brüder verloren im Krieg ihr Leben. Als Zeitzeuge fühlt er sich in der Verantwortung.

Murrhardt und Umgebung

Vereinstreue und Gesangskraft: Der Liederkranz wächst wieder

Der Murrhardter Verein mit seinem Chor Da Capo sieht sich auf gutem Weg. Bei der Mitgliederversammlung werden langjährige Mitglieder geehrt, bei den Wahlen treten viele wieder an.