Kultur- und Alltagsbetrachtungen einer Urschwäbin
Helga Becker alias Frau Nägele begeistert das Fornsbacher Publikum. Bei ihrem zweistündigen Auftritt arbeitet sie unter anderem Gesundheits- und Schönheitsfragen ab, stellt Sprachvergleiche an und singt.
Von Petra Neumann
Fornsbach. „Do schnallsch ab“ – so ist das aktuelle Programm der wackeren Schwäbin Frau Nägele überschrieben, die stilecht im Pullöverle und Hösle ihr Publikum in der Fornsbacher Gemeindehalle begeisterte. Mit ermöglicht hatte dies der Musikverein Fornsbach. Frau Nägele, die im bürgerlichen Leben Helga Becker heißt, ist keine schwäbische Hausfrau in Kittelschurz und Kopftüchle, sondern kommt knallig bunt und a bissle schrill daher – noch beeinflusst von den Alt-68ern.
Mittlerweile selbst in die Jahre gekommen, sinniert sie über die Ungerechtigkeit der altersgemäß einsetzenden natürlichen Körpermodifikation. Das bedeute, dass sie nicht mehr aus Eitelkeit, sondern mit Tapferkeit in den Spiegel blickt und mittlerweile ihr Badezimmer in eine Restaurierungswerkstatt umgemodelt hat, deren Beautyequipment preismäßig locker mit einem Kleinwagen mithalten könnte. Aber ob sich das wirklich lohnt? Eine berechtigte Frage in Anbetracht dessen, dass es ja offensichtlich eine glücklichmachende und vor allem preisgünstigere Alternative gibt: Als Vollblutentertainerin singt sie zum alten Hit von Trude Herr „Ich will keine Schokolade“ von der Rezeptur für einen faltenfreien Teint. Der resultiert von ausreichend Schokolade, die Wangen rundet und Falten verschwinden lässt.
Und doch lauert der Stress immer noch um die Ecke: Aufgrund eines mehrwöchigen Rehaaufenthalts ihres altersschwachen Führerscheins in Flensburg musste Frau Nägele wohl oder übel auf und in die S-Bahn umsteigen. Zwar mag solch ein Ausflug für einen Ethnologen äußerst interessant sein, doch fühlte sich die Heimatverbundene angesichts der Vielfalt an Vertretern vielerlei Kulturen doch etwas überfordert. Die Veränderungen der modernen Zeit sind einfach sehr groß. Obwohl sich Frau Nägele tapfer an fragwürdige Errungenschaften der medizinischen Versorgung wie den digitalen Impfausweis oder die Gesundheits-App gewöhnt hat, findet sie Videosprechstunden mit oder ohne Digitalis doch etwa suspekt. Man stelle sich nur vor, der Patient muss sich an pikanter Stelle entblößen und durch ein Missgeschick geht die Aufnahme viral!
Da bleibt sie doch lieber bei ihrem analogen und deftigen Feld-, Wald- und Wiesenarzt. Bei ihm fände sie Verständnis und könne offen über ihre „Heatflashes“ (eigentlich Hotflashes, Hitzewallungen) sprechen. Gleich einer Superwoman könne sie nunmehr in drei Minuten von 37 auf 370 Grad hochfahren. Der unreflektierte und unkontrollierte Einzug der englischen Sprache in den Alltagsjargon ist Frau Nägele ein Dorn im Auge. Für sie ist Schwäbisch die Ursprache der Menschheit. Bei einem Trip nach Paris sei ihr so richtig aufgegangen, wie viele Wörter die Franzosen von den Schwaben übernommen haben – Trottoir oder Plafond seien da zu nennen – und dass sie ähnlich wie der hiesige Volksstamm sehr bruddelig seien sowie eine nasale Aussprache hätten. Ganz toll: die Aufzählung aller schwäbischen Fremdwörter im Französischen zum Chanson von Edith Piaf „Je ne regrette rien“.
Ihr Fett weg bekamen die Datingplattformen. Ein Sohn ihrer Nachbarin säße den ganzen Tag auf dem Sofa, eine Tablette (Tablet) auf dem Schoß und würde die Fotos potenzieller Bräute in eine Vorratskammer stecken. Tja, so könne er lange sitzen, bis sich etwas tut.
Einer Hausfrau geht nichts über ihre Lieblingsspeisen wie Maultäschle oder den berühmten Lkw (Leberkäswecka). Wenn sie da an ihre Expedition in eine Veggielaunch denke, da säßen die Leute und würden „Schmusies“ (Smoothies) zu sich nehmen. Auch wenn die noch so viele Vitamine hätten, an die stattliche Anzahl der Kräuter in einem bekannten Magenbitter kämen sie einfach nicht heran.
Der zweistündige Auftritt von Frau Nägele überzeugte nicht nur mit viel Witz und Präsenz, sondern auch wegen der Liedla oder Songs, die sie vortrug. Dass sie ihre Show mit dem Klassiker von Janis Joplin – „Mercedes Benz“ – beschloss, zeugt von ihrem Hintersinn, verweist er doch, ironisch gewendet, auf die innige Liebe zum heiligen Blechle.