Interview mit Rainer Neske
LBBW-Chef: „Deutschland muss sich neu erfinden“
Das auf freiem Handel basierende deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, warnt LBBW-Chef Rainer Neske. Baden-Württemberg sieht er vor besonderen Herausforderungen
Von Hannes Breustedt
Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat die Wirtschaftskrise bislang gut verkraftet – doch der Wind wird rauer. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt Bankchef Rainer Neske, wie Deutschland wieder in Gang kommt, und wie sich die LBBW im Abschwung behauptet.
Herr Neske, Deutschland steckt in der Krise – was sind die größten Probleme?
Vorweg: Diese Entwicklungen betreffen nicht nur die letzten zwei bis fünf Jahre. In vielen Feldern lassen sie sich über zehn bis 15 Jahre zurückverfolgen. Der wichtigste Faktor ist die Aufkündigung der Globalisierung – des Glaubens westlicher Demokratien und selbst nacheifernder autokratischer Systeme, dass freier Welthandel den Wohlstand für alle vermehren kann. Bei allem Elend in der Welt: Globalisierung war zweifellos das Erfolgsmodell der vergangenen 30 Jahre.
Diese Ära ist vorbei?
Mit „America first” und anderen protektionistischen politischen Tendenzen ist die Globalisierung, von der Deutschland überproportional profitiert hat, als Geschäftsmodell zerbrochen. Das bedeutet, dass Deutschland sich neu erfinden muss.
In welche Richtung?
Wir haben uns in Deutschland eine Menge Dinge geleistet, die uns heute vor Herausforderungen stellen: Denken Sie an niedrige Arbeitszeiten, an fehlende Produktivitätsfortschritte, Überbürokratisierung, die Steuerlast der Unternehmen. Das wird verdeckt, wenn die Wirtschaft brummt und wenn man als Exportweltmeister mit Vorprodukten von woanders, mit „Made in Germany“ Waren in die Welt exportieren kann. Das wird so aber nicht mehr funktionieren.
Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?
Die Zollschranken werden weitreichende Produktionsverlagerungen zur Folge haben, das sieht man jetzt schon. Die Frage, wie wettbewerbsfähig der Standort Deutschland ist, wird sich an zwei Punkten entscheiden: Wie produktiv sind wir und wie innovativ sind wir? Da werden wir uns wieder deutlich nach vorne arbeiten müssen. Darin sehe ich eine der größten Herausforderungen neben all den anderen, bei Demografie angefangen bis hin zum Infrastrukturmangel.
Was muss geschehen?
Eine gesellschaftspolitische Diskussion, die wir alle in Deutschland führen – ohne Anstrengung werden wir aus diesem Loch nicht herauskommen. Das betrifft jeden Einzelnen. Es ist auch die Frage: Welche Anspruchshaltung habe ich an den Staat, ist für jedes private Thema der Staat als erstes zuständig? Das gilt für die Bürger, aber auch für die Subventionen der Industrie. Natürlich müssen Basisinfrastrukturen und -technologien staatlich gefördert werden. Aber am Ende muss die Wirtschaft ohne Subventionen durch Innovation nach vorne kommen.
Wie erreichen wir das?
Das ist auch eine Frage des Mindsets – nehmen Sie etwa das Thema Work-Life-Balance: Ich glaube, wir werden wieder mehr über das Thema Work und weniger über das Thema Balance reden. Da spielen auch die Produktivität, die Effizienz, aber auch die Menge an Arbeitsstunden eine Rolle. Wir sind ein Land mit vielen Feiertagen und sehr vielen Urlaubstagen. Wir sind ein Land mit einer hohen Teilzeitquote, was per se eine große Errungenschaft ist. Aber am Ende nimmt der Abstand zu anderen entwickelten Ländern deutlich zu. Wir arbeiten in Deutschland im Schnitt 64 Tage weniger als in den USA.
Es gibt den Satz „Baden-Württemberg ist auch im Abschwung vorn” – wie kritisch ist die Situation in der Region?
Wir kennen die Diskussion, die sich um einen Industriehersteller hier in Baden-Württemberg entzündet hatte, der gesagt hat, er gehe lieber in die Schweiz, als hier in der Region zu investieren. Das ist bekanntlich kein Niedriglohnland. Das ist ein Weckruf. Ich glaube, das Erfolgsmodell Deutschlands ist neben dem Export, dass wir es immer geschafft haben, Krisen mit Effizienz und Innovation zu überwinden. Aber wir wurden auch weltweit dafür bewundert, dass wir immer einen industriellen Kern gehabt haben. Baden-Württemberg steht vor besonderen Herausforderungen, weil wir diesen industriellen Kern erhalten und weiterentwickeln müssen.
Inwiefern bedroht das Unternehmen in ihrer Existenz?
Wir werden Strukturwandel erleben, das bedeutet immer, dass Unternehmen sich verändern müssen. Die meisten werden es schaffen, einige aber nicht. Das muss nicht heißen, dass ein Unternehmen kurzfristig gefährdet ist. Aber es geht ja nicht darum, was im nächsten Jahr oder in drei Jahren ist, sondern in fünf, in zehn oder in 15 Jahren. Da stehen alle Unternehmen vor großen Herausforderungen.
Welche Rolle spielt der Wandel zur E-Mobilität?
Baden-Württemberg ist durch die Transformation der Automobilwirtschaft besonders betroffen vom Strukturwandel. Der Stresspegel steigt enorm. Die nächsten Jahre werden schwierig, die Produktpalette – Stichwort E-Mobilität – braucht ein Reloading, das dürfte bis 2026 dauern. Es wird jetzt zwei, drei Jahre richtig Stress geben. Weil die Unternehmen parallel investieren müssen: in die neue Antriebstechnologie und in die bestehende als Brückentechnologie.
Das klingt ungemütlich…
Der Weg ist klar. Den Wandel jetzt aufzuhalten, wäre mit Sicherheit der größte Fehler. Wir sehen, dass die Transformation ein Kraftakt ist, der länger dauert als angenommen. Was es jetzt nicht braucht: Fehlerlesen. Hohe Strafzahlungen sind im aktuellen Spannungsfeld für die Hersteller absolut kontraproduktiv. Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass die Industrie gestärkt aus dem Wandel hervorgehen kann. Aber dafür müssen wir jetzt alle an einem Strang ziehen. Wir dürfen Wettbewerb und Innovation nicht mit Sanktionen und Zöllen bremsen.
Stichwort Zölle – wie gefährlich ist Donald Trump für die deutsche Wirtschaft?
Das Zollthema hat sich jetzt noch mal zugespitzt, hätte aber auch bei einem anderen Wahlausgang eine Rolle gespielt – die Demokraten hätten auch damit gearbeitet, wenn auch in einem anderen Ausmaß. Das Thema ist nicht neu, gute Unternehmen haben schon vor Jahren angefangen, sich darauf einzustellen. Allerdings wird Trumps Rechnung ohnehin nicht aufgehen, am Ende wird der US-Verbraucher draufzahlen, weil die Zolleinnahmen in keinem Verhältnis stehen zu den Ineffizienzen und Preiserhöhungen.
Das dürfte Trump aber kaum abhalten…
Trump wird hier einen Trend verstärken, den er während seiner ersten US-Präsidentschaft vor mittlerweile acht Jahren selbst ausgelöst hat. Letztlich wird dies verstärkt dazu führen, dass Unternehmen Produktionen verlagern müssen. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir als LBBW sagen, dass wir stärker mit diesen Unternehmen in diese Wirtschaftsräume mitgehen müssen, damit wir dort die Finanzierungskreisläufe mitbedienen können. Sonst sind wir irgendwann abgehängt. Dennoch: Gegen den grundsätzlichen Trend müssen wir uns mit Innovationen und Produktivitätsfortschritten stemmen.
Wie macht sich Deutschlands Wirtschaftsflaute bei der LBBW bemerkbar?
Wir sehen in unseren Zahlen eine ansteigende Risikovorsorge. Das ist erst einmal nicht besorgniserregend, weil sie in den Vorjahren sehr, sehr niedrig war, wir also ordentlich Puffer gebildet haben. Wir sehen jetzt aber wieder echte Risikofälle, bei denen Kredite wirklich ausfallen. Bislang sehen wir kein Muster, was einzelne Sektoren oder Themen angeht. Wir gehen in unserer mittelfristigen Planung davon aus, dass diese Ausfälle zunehmen werden, sehen uns dafür aber auch gut gerüstet. Wir haben daher keinen Anlass, unsere Risikopolitik zu ändern, sondern beobachten die Lage sehr sorgfältig.
Also werden Sie die Puffer für ausfallbedrohte Kredite nicht erhöhen?
Nein. Wir haben im Vergleich zu unseren Wettbewerben in den vergangenen Jahren die größten Reserven gebildet, insofern sehe ich die nächsten zwei, drei Jahre gelassen. Auch wenn der Stress zunehmen dürfte – wir gehen mit einem guten Polster rein.
Hat sich die Lage bei der gewerblichen Immobilienfinanzierung entspannt?
Ja, der Immobilienbereich ist im zweiten Halbjahr unauffälliger. Wir hatten schon berichtet, dass hier natürlich die Risikovorsorge angesprungen ist. Ich sehe die großen Fälle aber in diesem Jahr abgearbeitet. Damit bin ich ganz zufrieden, da wir weltweit aktiv sind, auch in angespannten Büromärkten wie London und New York. Rund 70 Prozent unseres Geschäfts entfällt jedoch auf Deutschland.
Das Jahresgewinnziel von über einer Milliarde Euro vor Steuern steht weiter?
Wir gehen weiter davon aus, dass wir nach dem durch den hohen Zinsüberschuss bedingten Rekordergebnis im Vorjahr wieder unser Ziel von über einer Milliarde Euro erreichen. Das ist ein sehr gutes Ergebnis angesichts der Turbulenzen und des sehr angespannten Umfelds.