Wahlanalyse
Linke ist der Star der Jugend
Jungwähler haben der Linken und der AfD zu einem Höhenflug verholfen. Die Union holt sich mehr als eine Million Wähler von der SPD zurück.
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© dpa/Carsten Koall
Linken-Parteichef Jan van Aken (re.) und Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek können ihr Glück kaum fassen.
Von Christian Gottschalk
Deutschland driftet auseinander – und wirft Altbewährtes über Bord. Die Union hat die Wahl zwar gewonnen – allerdings mit dem zweitschlechtesten Ergebnis, welches CDU plus CSU jemals in der Geschichte der Bundestagswahlen zustande gebracht haben. Nur vor dreieinhalb Jahren waren CDU und CDU noch schwächer. Historisch schlecht ist das Ergebnis für die SPD. Noch nie waren die Sozialdemokraten lediglich die drittstärkste Kraft im Parlament, das ist jetzt der Fall. Und doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass gerade diese beiden Parteien zusammen in der neuen Regierung sind.
Die Jugend wählt nicht in der Mitte
Ohne Aussicht auf Regierungsbeteiligung sind zwei Parteien, die zu den klaren Gewinnern gehören: AfD und Linke. Die Politikvertreter vom rechten und vom linken Rand haben vor allem bei den Jungwählern gepunktet. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist die AfD schon immer stark gewesen, hat den Spitzenplatz jetzt aber an die Linken verloren. 25 Prozent der Jungwähler haben ihre Zweitstimme der Linken gegeben, vor dreieinhalb Jahren waren es gerade mal acht Prozent.
Die AfD liegt mit 20 Prozent in dieser Wählergruppe knapp über ihrem Vorwahlwert von 19 Prozent. Mit 43 Prozent hat die Union ihr stärkstes Ergebnis bei den Wählern die bereits älter als 70 Jahre sind. Die Zahlen von infratest dimap wurden kurz nach 18 Uhr veröffentlicht, konnten sich also später noch etwas verschieben. Union (13 Prozent) und SPD (12 Prozent) sind in dieser Altersgruppe nicht attraktiv.
Bei der Wählerwanderung profitiert die Union am meisten von unzufriedenen Wählern der SPD. Mehr als 1,8 Millionen frühere SPD-Wähler haben ihr Kreuz dieses Mal bei der CDU/CSU gemacht, das waren rund 300 000 mehr als die 1,5 Millionen Unions-Wähler, die bei den Wahlen 2021 zur SPD gegangen waren. Mit 1,3 Millionen Wechselwählern ist der Anteil ehemaliger FDP-Wähler der zweitgrößte, der die Union zur stärksten Kraft gemacht hat. 1,1 Millionen Nichtwähler wurden von der Union überzeugt. Gleichzeitig sind rund 830 000 Wähler von der Union in Richtung AfD abgewandert.
AfD und Linke holen Stimmen aus allen Reihen
Das Verhältnis der Wähler zum Kanzlerkandidaten der Union ist durchwachsen. 59 Prozent der Wähler sind mit der politischen Arbeit von Friedrich Merz nicht zufrieden, nur 43 Prozent halten ihn als Kanzler geeignet. Allerdings wird die direkte Kanzlerkandidatenkonkurrenz noch schlechter beurteilt.
Und: Beim Thema Zuwanderungspolitik sieht das Ganze anders aus: 67 Prozent halten die von Merz geforderte dauerhafte Kontrolle an der deutschen Grenze für richtig, 57 Prozent finden es richtig, schon an der Grenze zurückzuweisen. „Für die eigene Wahlentscheidung war das Thema Flüchtlinge und Asyl in der Gesamtheit wichtiger als Rente oder Klimaschutz, so die Forschungsgruppe Wahlen in einer ersten Analyse.
AfD und Linke haben nicht nur bei den Jungwählern gepunktet – sondern Stimmen von nahezu allen Parteien geholt. Rund 1,8 Millionen bisherige Nichtwähler haben der AfD die Stimme gegeben, es folgen ehemalige Wähler der Union (830 000 ) und der FDP (750 000). Gewählt wird die AfD für 68 Prozent ihrer Anhänger inzwischen wegen der politischen Forderungen, nur für 29 Prozent als Denkzettel. Die Linke bekam am meisten Stimmen von ehemaligen Anhängern der SPD (550 000), der Grünen (540 000) und von Nichtwählern (340 000). Beide Parteien verloren an das BSW, die Linke auch 90 000 Stimmen an die AfD.
FDP und SPD sind die großen Verlierer
Zu den großen Verlierern der Wahl gehören die FDP und die SPD. Die Lindner-Truppe hat nach der 18.30-Uhr Analyse von infratest-dimap praktisch an alle Parteien Stimmen verloren. An SPD (80 000), Linke (100 000), BSW (240 000) und AfD (750 000). Mit mehr als 1,3 Millionen Stimmen gab es den größten Aderlass an die Union. Damit hat die FDP fast drei mal so viele Stimmen an die Union verloren wie sie bei den letzten Wahlen aus Reihen der Union gewonnen haben. Damals waren es 490 000 Stimmen, die von der Union an die Liberalen flossen.
Die SPD hat bei ihrem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten ebenfalls an fast alle verloren. Am meisten an die Union, aber auch an AfD und Linke. Die Zugewinne waren bei der SPD hingegen minimal. Das BSW blieb hinter ihren eigenen Hoffnungen zurück, lange Zeit hatte sie mit einem furiosen Einzug den Bundestag gerechnet. Die meisten Stimmen (32 Prozent) hat die Partei bei bisherigen Nichtwählern gewonnen, von Linken und SPD je 15 Prozent.
Grüne verlieren auch an die AfD
Interessant bei den Grünen: die Partei hat zwar rund 190 000 Stimmen von der FDP dazu gewonnen, aber keine Stimmen an die Liberalen abgegeben. Am meisten verloren haben die Grünen an Linke (540 000) und Union (330 000), aber auch rund 70 000 Wähler an die AfD.
Die ausbaufähige Wirkung, die Friedrich Merz auf Frauen gehabt haben soll schlägt sich im Ergebnis kaum nieder. 30 Prozent der Männer haben die Union gewählt, und 27 Prozent der Frauen. Am größten ist der Geschlechterunterschied bei der AfD: 22 Prozent Männer, 17 Prozent Frauen.