Interview mit Jan van Aken
Linken-Chef: „Klare Kante bei Migration und Rassismus“
Der neue Linken-Vorsitzende Jan van Aken will allen Menschen ein politisches Angebot machen, die sich in Deutschland „nicht mehr gehört fühlen“.
Von Norbert Wallet
Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht der neue Linken-Vorsitzende Jan van Aken über den Wahlkampf, die Ukraine und Rassismus in der Politik.
Herr van Aken, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie zwei Jahre zu spät Parteivorsitzender geworden sind?
Nein. Das Problem der Linken war ja nicht, ob van Aken kommt oder nicht. Das Problem hieß Sahra Wagenknecht, die ihr Image durch die versuchte Zerstörung der eigenen Partei aufbaute. Dieses Problem ist jetzt gelöst, aber das wäre mit mir vielleicht auch nicht sehr viel früher möglich gewesen. Ich übernehme nun eine extrem gut funktionierende Partei…
Die in extremen Schwierigkeiten steckt. Nun sollen die Silberlocken Gysi, Bartsch und Ramelow die Linke über Direktmandate wieder in den Bundestag bringen. Ist Ihnen die mitschwingende Peinlichkeit dieser Aktion bewusst?
Was soll daran peinlich sein?
Die Alten müssen wieder ran, um die Partei noch einmal zu retten.
Ich finde das nicht peinlich. Von mindestens sechs Direktwahlkreisen wollen wir möglichst viele gewinnen. Zwei davon rechne ich fest bei den Silberlocken ein. Ganz nüchtern: Wir brauchen sie. Das ist doch in Ordnung. Sören Pellmann soll in Leipzig ein Direktmandat gewinnen. Ines Schwerdtner in Berlin-Lichtenberg. Das ist die jüngere Generation. Insofern stellen wir uns in der ganzen Breite, die die Partei aufweisen kann, den Wählerinnen vor. Ich bin auch 63 Jahre alt und gelte als Teil der Erneuerung. Das ist keine Altersfrage.
Doch, das ist es auch…
Na ja, wir sind in einem rasanten Umbruch. Wir hatten in einem Jahr rund 13 000 Neueintritte, davon sehr viele junge Menschen. Das ist ein Viertel der Partei.
Sind die drei Direktmandate der leichtere Weg zurück in den Bundestag im Vergleich zum Überspringen der 5-Prozent-Hürde?
Mit dem einen erreichen wir auch das andere. Wenn die Wähler*innen wissen, dass die Linke durch die Direktmandate den Sprung ins Parlament ziemlich sicher schafft, müssen sie keine Angst mehr haben, dass die Stimme für die Linke verloren ist. Durch diesen Effekt werden wir auch deutlich mehr als fünf Prozent schaffen.
Bei der Linken ist derzeit viel von Haustür-Wahlkampf die Rede. Was heißt das?
Ja, das ist für uns ein neues Konzept. Wir klopfen derzeit an mehrere hunderttausend Haustüren und fragen die Menschen ganz einfach, wo der Schuh drückt. Wir werten die Gespräche systematisch, auch soziologisch, aus. Daraus können wir lernen, in welchen sozialen Strukturen welche Erwartungen an die Politik bestehen. Daraus werden wir unsere Forderungen für den Wahlkampf ableiten.
Was ist denn eigentlich die Zielgruppe der Linkspartei?
Ganz einfach: Wir wollen alle Menschen ansprechen, die am Ende des Monats zu wenig Geld in der Tasche haben. Hart arbeitende Menschen, Rentnerinnen, Bürgergeldempfänger. Wir wollen denen ein politisches Angebot machen, die sich in diesem Land nicht mehr gehört fühlen.
Haben Sie die Hoffnung, dass Sie zur AfD abgewanderte Wähler aus diesem Spektrum zurückholen können?
Natürlich wollen wir Menschen ansprechen, die auch schon andere Parteien gewählt haben. Wir machen aber keinen gezielten Wahlkampf, um AfD-Wählende zu bekommen. Es werden wohl eher wenige AfD-Wähler wieder bei uns landen, weil wir in einem Punkt ganz klare Kante zeigen: nämlich bei den Fragen rund um Migration und Rassismus. Den rassistischen Diskurs, den von den Grünen über BSW bis zur AfD inzwischen alle führen, machen wir nicht mit.
Ist es für Sie schon rassistisch zu sagen, dass wir durch die schiere Anzahl der Migranten objektiv überfordert sind?
Zunächst mal ist die Aussage zu pauschal. Wir sind nicht „objektiv überfordert“. Es gibt viele Kommunen, die ausdrücklich sagen, dass sie mehr Migranten aufnehmen könnten. Natürlich ist es immer eine große Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen, die zu uns kommen, auch einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Und über die genauen Umstände dieser Integration kann man reden. Aber ganz viele Probleme dabei sind gezielt von der Politik herbeigeführt. Ich bin dafür, dass geflüchtete Menschen sofort arbeiten dürfen. Aber wer zum Beispiel sagt, dass Einheimische wegen den Zuwanderern keine Zahnarzttermine bekommen und deren Kinder als ,kleine Paschas’ stigmatisiert, der ist ein Rassist. Friedrich Merz hat das getan. Und ja: Für mich ist Friedrich Merz ein Rassist.
Wie kommen Sie denn darauf? Spricht er nicht an, was gerade in dem Milieu, das Sie erreichen wollen, viele Menschen denken?
Das ist auch eine Folge dessen, wie verroht Politiker heute über Menschen mit Migrationsgeschichte reden. Ein Beispiel: Wenn der Grüne Cem Özdemir öffentlich sagt, seine Tochter habe Angst vor „Migranten“, dann befördert er damit Stigmatisierung. Seine Tochter wird ja wohl auch Angst vor Menschen, die seit Generationen in Deutschland leben, haben. Das Problem ist doch weniger Migration, sondern eher Männer. Warum meiden denn viele Frauen dunkle Parks oder auch Veranstaltungen wie das Oktoberfest? Sie haben recht, dass unsere Position hier nicht ohne Risiko für die Linke ist. Aber da bleiben wir völlig klar. Das ist unser Versprechen an alle, die in diesem Land ausgegrenzt und allein gelassen werden: Die Linke wird an Eurer Seite stehen. Wenn uns das Stimmen kostet, dann ist es so.
Auch am anderen Ende des politischen Spektrums laufen Ihnen potenzielle Linken-Wähler weg – zum Bündnis Sahra Wagenknecht.
Das ist doch dasselbe Ende des politischen Spektrums. Das BSW ist eine Partei, die nach unten tritt. Das ist ganz sicher keine linke Partei. Wenn ich sehe, wie sie die aus Berlin gesteuerte Mitgliederaufnahmen betreiben und wie verantwortungslos sie bei den Koalitionsverhandlungen agieren, zähle ich die Formation auch nicht zu den demokratischen Parteien. Ich habe eine ganz andere Sorge: Nämlich, dass wir nach der nächsten Wahl eine Sperrminorität von AfD und BSW im Bundestag haben könnten. Das ist eine große Gefahr.
Die Linke stellt sich gegen eine teure Aufrüstung der Bundeswehr. Aber gibt es nicht auch bei Ihrer Zielgruppe das Gefühl, dass beides nötig ist: dass Deutschland mehr in seine marode Infrastruktur investiert, aber sich auch wehrhafter aufstellen muss?
Ja, das Gefühl gibt es und wir müssen die Besorgnis ernst nehmen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass wir jetzt schon sehr wehrhaft aufgestellt sind. Allein die europäischen Nato-Staaten geben 50 Prozent mehr für das Militär aus als Russland: 430 Milliarden versus 300 Milliarden. Westeuropa ist gegen einen militärischen Angriff Russlands hinreichend gerüstet..
Braucht es weiterhin militärische Unterstützung der Ukraine durch Deutschland?
Unterstützung ja, aber nicht militärisch. Es gibt zwischen militärischer Unterstützung und Nichtstun sehr viele Möglichkeiten, Druck auf den Kreml auszuüben. Wir sehen doch nach zweieinhalb Jahren Konfrontation, dass es ein großer Fehler war, immer nur auf das Militärische gesetzt zu haben. Wir hätten von Anfang an und heute erst recht auf wirtschaftlichen Druck setzen sollen. Russische Tanker fahren noch heute jeden Tag durch die Ostsee und spülen jährlich 240 Milliarden Dollar in die Kriegskasse Russlands. Die deutsche Küstenwache schaut zu.
Aber Sie sehen doch, was die russischen Waffen in der Ukraine anrichten…
Ja, ich war vor drei Wochen in der Ukraine. Wir müssen raus aus der reinen militärischen Logik und fragen: Was verändert die Kosten-Nutzen-Rechnungen im Kreml. Jeder Krieg ist knallhartes Kalkül. Wenn die russische Kriegskasse ausgetrocknet wird, dann fliegen ihre Raketen auch nicht mehr.
Was wird die große erkennbare linke Forderung im Bundestagswahlkampf sein?
Der Anstieg von Preisen und Mieten macht den Menschen Angst. Da müssen wir ihnen Sicherheit geben. Wir können ganz konkret Angst nehmen, wenn wir sicherstellen, dass die Mieten in den nächsten fünf Jahren nicht mehr steigen. Wir haben das in Berlin durchgesetzt, mit einem Mietendeckel. Das Gesetz wurde dann vom Landesverfassungsgericht kassiert, weil die Regelung nur bundesweit möglich ist. Gut, dann machen wir es eben bundesweit. An vielen Haustüren hören wir, dass die gestiegenen Preise das Leben erdrücken. Bestimmte Dinge wie eine Bahn-Fahrt gelten mittlerweile als Luxus, aber sie sind ein Grundrecht. Die Bahn steht heute für hohe Preise und gleichzeitig schlechte Qualität. Die marode Infrastruktur des Landes ist eine Ursachen jahrzehntelanger Misswirtschaft. Mit dem Vermögen der Auto-Clans könnte man die Bahn sanieren. Es braucht eine Vermögensabgabe für einen Infrastrukturfonds, um daraus die Sanierung und den Ausbau der Bahn zu finanzieren. Mit der Wiedereinführung der Vermögensteuer würden den Ländern mehr als 90 Milliarden Euro zufließen, die sie unter anderem für den Ausbau des Nahverkehrs verwenden können.
Geht es im Bundestagswahlkampf um das Überleben der Linken?
Nein. Die Partei verjüngt sich rasant und ist im Umbruch. Wir haben allein seit dem Ampel-Aus tausende neue Mitglieder. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das auch in Wahlergebnissen niederschlägt. Die Linke lebt.