„Man hat versäumt, die Krypta freizulegen“

Die Ausgrabung in der Stadtkirche vor 50 Jahren (4 und Schluss) Historiker Gerhard Fritz erinnert daran, dass im Verlauf der Arbeiten im Bereich der Vierung ein unterirdischer Gebetsraum aus romanischer Zeit zum Vorschein kam.

Die Krypta kam bei der Ausgrabung unter der Vierung zum Vorschein. Der Gebetsraum war schlicht gestaltet und umfasste nur wenige Quadratmeter. Foto: Carl-Schweizer-Museum

Die Krypta kam bei der Ausgrabung unter der Vierung zum Vorschein. Der Gebetsraum war schlicht gestaltet und umfasste nur wenige Quadratmeter. Foto: Carl-Schweizer-Museum

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Manche älteren Einwohnerinnen und Einwohner der Walterichstadt können sich noch an die Ausgrabung in der Stadtkirche 1973 erinnern. Kaum mehr bekannt ist jedoch, dass das Archäologenteam dabei überraschend eine Krypta aus der Zeit der Romanik entdeckte. Sie kam unter dem Bereich der Vierung, am Übergang in den Westchor, zum Vorschein. Bis dahin hatte man von deren Existenz überhaupt keine Kenntnis. Der Gebetsraum war mit einem Altar an der Ostseite ausgestattet, sehr schlicht gestaltet und umfasste nur wenige Quadratmeter. Grüfte fanden sich keine darin. „Die Krypta diente wahrscheinlich der Verehrung von Walterich und dem Totengedenken“, erklärt Historiker Gerhard Fritz. Das aus dem Altgriechischen abgeleitete Wort bedeutet „die Verborgene“: Ursprünglich bezeichnete es Grabräume in frühchristlichen Katakomben oder Aufbewahrungsorte für Reliquien. Aus dieser Tradition heraus entstanden in der Epoche der Romanik von etwa 1000 bis 1250 sogenannte Unterkirchen unterhalb von Chören oder Vierungen der Kirchen.

Die Krypta könnte fürs Totengedenken eine wichtige Rolle gespielt haben

Zwar weiß man über die Abläufe im einstigen Murrhardter Benediktinerkloster kaum etwas, da im Bauernkrieg 1525 leider alle Unterlagen, die ins Kloster Lorch ausgelagert waren, verbrannten. Doch ist es laut Fritz möglich, sich die im Kloster ausgeübten und in der Benediktinerregel vorgeschriebenen geistlichen Zeremonien und Riten vorzustellen. Nachdem die Krypta etwa gleichzeitig mit der romanischen Kirche nach 1000 erbaut war, nutzten die Mönche sie regelmäßig zu bestimmten Anlässen, Feier- und Gedenktagen. Eine wichtige Rolle spielte das Totengedenken, darum dürfte die Krypta zu Andachten, Toten- und Seelenmessen mit teils gesprochenen, teils gesungenen Gebeten gedient haben.

Der Historiker vermutet, dass die Mönche dabei wohl in feierlichen Prozessionen hindurchschritten. Zudem war jeder Mönch, der die Priesterweihe hatte, dazu verpflichtet, täglich eine Messe zu lesen. Im Hochmittelalter, als der Konvent wohl mehrere Dutzend Mönche umfasste, fand jeden Tag eine große Messe statt. Hinzu kamen mehrere kleine Einzel- oder Gruppenmessen sowie die Stundengebete zu festgelegten Tages- und Nachtzeiten an verschiedenen Altären. In der Klosterkirche gab es laut Fritz mindestens sechs Altäre, zudem den kleinen Altar in der Krypta. Diese nutzen die Mönche rund 200 Jahre bis zum Bau des großen Turms über dem Westchor im 13. Jahrhundert. Dann folgte der Bau der Walterichskapelle, die die Krypta ersetzte.

Die Ausgrabung in der Stadtkirche unter der Oberaufsicht des Mittelalterarchäologen Günter Fehring vom Landesdenkmalamt und der Leitung von Rolf Schweizer dokumentierte Hans Quayzin, langjähriger Fotograf der Murrhardter Zeitung, mit vielen Aufnahmen. Eine davon vermittelt einen guten Eindruck, wie die Krypta aussah und dass sie wohl ein intimer Raum war. Zwar habe es damals Überlegungen gegeben, ob man die Krypta öffentlich zugänglich machen könnte. Doch aus Kosten- und Zeitgründen entschied man sich dagegen, stattdessen wurde sie nur dokumentiert, dann mit Bauschutt verfüllt und wieder verschlossen.

Dies bedauert der Historiker sehr: „Es wäre möglich gewesen, die Krypta mit bescheidenem technischem und finanziellem Aufwand vom Bauschutt zu befreien und begehbar zu machen, doch leider hat man das versäumt.“ Mit ein Grund dafür sei die ablehnende Haltung der damals amtierenden evangelischen Pfarrer gewesen, die keinerlei Begeisterung und Unterstützung für solch ein Vorhaben zeigten. Stattdessen sollten die Ausgrabung und die Renovierung der Stadtkirche möglichst ohne Verzögerungen und zusätzliche Kosten über die Bühne gehen.

Backnang und Schwäbisch Hall haben die Krypten wieder zugänglich gemacht

Gerhard Fritz weist darauf hin, dass es bei zwei ähnlichen Fällen in der Region anders lief und neu entdeckte Krypten wieder zugänglich gemacht wurden. So kam bei der Ausgrabung in der Backnanger Stiftskirche in den 1920er-Jahren auch eine bis dahin unbekannte Krypta zum Vorschein. Die Verantwortlichen entschlossen sich, diese auszuräumen und herzurichten, zudem verlegte man die Grabmäler der Markgrafen von Baden dorthin, obwohl es dafür keine historische Grundlage gibt. Auch während der Ausgrabung auf der Großcomburg bei Schwäbisch Hall in den 1960er-Jahren stieß man auf eine verschüttete Krypta, räumte sie leer und machte sie zugänglich.

Dem Historiker geht es nun darum, das Bewusstsein der Öffentlichkeit auf diesen „einzigartigen Raum“ zu lenken: Er plädiert dafür, die Krypta unter der einstigen Klosterkirche gleichsam wieder auszugraben, freizuräumen und nutzbar zu machen. „Die Kirche würde dadurch einen originellen und intimen Raum gewinnen. Er könnte für verschiedene Zwecke genutzt werden und wäre ideal geeignet für Meditationen und Andachten in kleinen Gruppen.“ Darum empfiehlt Fritz, dass die evangelische Kirchengemeinde, die Pfarrer und der Kirchengemeinderat sich mit dem Gedanken auseinandersetzen und überlegen sollten, ob dies möglich und machbar wäre. Die anstehende Innenrenovierung der Stadtkirche wäre dafür nun die einzige Gelegenheit in den nächsten etwa 50 Jahren.

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Erstellt:
29. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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