Polizeiaffäre

Mangelndes Vertrauen bei der Polizei

Neun Monate lang hat Jörg Krauss mit mehr als 2000 Polizisten und Verwaltungsbeamten gesprochen. Er skizziert Innenminister Thomas Strobl ein düsteres Bild von der Stimmung an der Basis.

Berichterstatter Jörg Krauss empfiehlt Innenminister Thomas Strobl (CDU), anders mit der Polizei umzugehen. Er selbst habe in Gesprächen mit Polizisten „mitgefühlt und mitgelitten“.

© dpa/Marijan Murat

Berichterstatter Jörg Krauss empfiehlt Innenminister Thomas Strobl (CDU), anders mit der Polizei umzugehen. Er selbst habe in Gesprächen mit Polizisten „mitgefühlt und mitgelitten“.

Von Franz Feyder

Er habe, sagt Jörg Krauss, in manchen Gesprächen mit Polizisten „mitgefühlt und mitgelitten“. Neun Monate lang war der frühere Amtschef des Finanzministeriums im Land unterwegs, um im Auftrag von Innenminister Thomas Strobl (CDU) als „Wertebeauftragter“ die Stimmung bei der Polizei und der Innenverwaltung zu erkunden. Krauss, früher selbst gelernter Schutzmann, sprach mit mehr als 2000 Beamtinnen und Beamten. Die seien ihm mit „großer Offenheit und Selbstreflexion“ begegnet, sagt der Spitzenbeamte, der seinen Fokus und auch den seiner vier Mitarbeiter „auf das Zuhören“ lenkte.

Offenbar erfolgreich. Sie wünschten sich, schütteten Polizisten und Verwalter ihnen das Herz aus, „mehr Vertrauen seitens der Bevölkerung, der Politik, der übergeordneten Dienststellen und in Teilen der eigenen Vorgesetzten“. An „persönlicher Kommunikation zwischen Basis und Führung“ mangele es, an „mehr Rückendeckung durch Vorgesetzte“. Die Linie des Innenministeriums „sei häufig nicht ausreichend bekannt“, schreibt Krauss in seinem 15 Seiten umfassenden Bericht, in dem er dem Innenminister 24 Veränderungen empfiehlt.

Seine Gespräche ergaben, „dass die Angst, in der täglichen Arbeit Fehler zu machen, bei einem Teil“ der Kollegen „nach wie vor besteht. Häufig würden Fehler lieber verborgen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Gemachte Fehler würden von Kollegen und Vorgesetzten immer wieder mit Versagen gleichgestellt. Dadurch würde eine Kultur der Angst gefördert, die weder ermutigt, neue Wege zu gehen, noch etablierte Abläufe zu hinterfragen.“ Das Gefühl des „alleingelassen Werdens“ stehe in einigen Fällen im Raum.

Ein Klima, in dem offenbar eine bestimmte Führungskultur entsteht – gerade wenn Polizisten von Tätern unzutreffend beschuldigt werden, sich falsch verhalten zu haben und Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet werden. Das Verhalten der Vorgesetzten werde als „überzogene Absicherungsmentalität der Führung und zugleich als Vertrauensentzug zu Lasten der eingesetzten“ Polizisten empfunden. „Geprägt durch dieses Führungshandeln wurde deutlich, dass dadurch eine Hemmschwelle entstehen kann, sich in gefahrengeneigte und für den kritischen öffentlichen Diskurs geeignete Einsatzsituationen zu begeben.“

Kriminalitätsfördernde Effekte

Mit anderen Worten: Krauss sieht die Gefahr, dass sich Polizisten aus Angst, Fehler zu machen, aus kritischen Situationen heraushalten. Von „kriminalitätsfördernden Effekten“ spricht er an anderer Stelle. Und auch davon, dass Streifenpolizisten und Ermittler der Kriminalpolizei ihre Belastungsgrenzen erreicht hätten.

Vieles von dem, was Krauss in den Gesprächen mit Polizisten hörte, ist nicht neu. Nahezu wortgleich nennen spätestens seit Dezember 2020 Kritiker immer wieder diese Defizite: „Kultur der Angst“, mangelndes Vertrauen, fehlende Rückendeckung, mangelhafte Transparenz und Objektivität bei Beurteilungen und Personalentscheidungen. In dem von Innenminister Strobl als in sich zusammenfallendes Soufflé verunglimpften Untersuchungsausschuss des Landtages zu fragwürdigen Verhaltensweisen des Inspekteurs der Polizei beschrieben immer wieder einzelne Zeugen genau diese Stimmung bei der Polizei.

Offenheit und Vertrauen zurückgeben

Er habe, sagt Strobl, doch die Struktur des Landespolizeipräsidiums verändert. Gerade erst dort dem neu geschaffenen Stabschef seine Bestellungsurkunde ausgehändigt. Welche Erfolge er beispielhaft aus diesen Veränderungen verzeichne? Spontan fällt dem Minister nichts ein. Jetzt sagt er zu, Krauss‘ Handlungsempfehlungen würden nicht in der Schublade verschwinden, sondern umgesetzt werden. „Das werde ich persönlich überprüfen.“ Allerdings: In dem Begleitschreiben mit dem er den Krauss-Bericht an die Polizeipräsidenten im Land verschickte, spricht Strobl nur davon, dass das Ergebnis der Gespräche „sehr interessant“ sei.

„Es war mir wichtig“, sagt Krauss, nichts zu beschönigen, nichts zu bewerten und 100 Prozent transparent zu sein. „Es ist wichtig, die Offenheit und das Vertrauen, das uns überall entgegengebracht wurde, zurückzugeben.“

Offenbarungseid für das Ministerium

Den Bericht, ist der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Ralf Kusterer, überzeugt, könne man „als Offenbarungseid für das Innenministerium und das dort praktizierte Verständnis von Führung und polizeilicher Arbeit verstehen“. Mit freiem Blick, „manche mögen den auch als schonungslos bezeichnen“, habe Krauss Entwicklungen und die aktuelle Situation der Polizei treffend bezeichnet.

Strobl hätten jetzt die Chance, die Empfehlungen umzusetzen. Ein „weiter so“ dürfe es nicht geben. Würde der Minister die Handlungsempfehlungen umsetzen, stünde man an seiner Seite.

Die FDP-Innenexpertin Julia Goll attestiert Strobl, keine Ahnung davon zu haben, „was in der Landespolizei passiert“. Nach acht Jahren im Amt sei es ein Armutszeugnis, „dass er der Erkenntnisse des Herrn Krauss und seines Teams bedurfte“. Im vergangenen Jahr sei mit der Bestandsaufnahme „weitgehend bereits bekannter Probleme unnötig Zeit vertan“ worden, anstatt substanzielle Verbesserungen für die Polizei auf den Weg zu bringen.

Um die voranzutreiben, kann Strobl kein weiteres Mal auf Jörg Krauss setzen. Er hat aus einem Pensionär seinen Wertenbeauftragten gemacht. Dieser will jetzt zurück in den Ruhestand – nicht mehr aktiv an vorderster Front mitfühlen und mitleiden mit den Polizisten Baden-Württembergs.

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Erstellt:
26. Juli 2024, 17:44 Uhr
Aktualisiert:
26. Juli 2024, 17:59 Uhr

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