Syrische Flüchtlinge in Deutschland

Massenrückkehr oder neue Fluchtbewegung?

Hunderttausende Syrer flohen vor dem Assad-Regime nach Deutschland. Was kommt nun auf sie zu? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Syrer kommen am Cilvegozu-Grenzübergang in der Nähe der südtürkischen Stadt Antakya an, um von der Türkei nach Syrien zu gelangen.

© dpa/Metin Yoksu

Syrer kommen am Cilvegozu-Grenzübergang in der Nähe der südtürkischen Stadt Antakya an, um von der Türkei nach Syrien zu gelangen.

Von Tobias Heimbach

Noch ist die Lage in Syrien höchst volatil. Am Sonntag übernahmen islamistische Rebellen der Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Kontrolle in der Hauptstadt Damaskus, der langjährige Diktator Baschar al-Assad floh nach Russland. In Deutschland ist eine Debatte darüber entbrannt, was der Umsturz in Syrien für die hierzulande lebenden Syrer bedeutet. Das Wichtigste im Überblick.

Wie viele Syrer leben in Deutschland und wie ist ihr rechtlicher Status?

Mit Stichtag 31. Oktober lebten nach Angaben des Bundesinnenministeriums 974 136 Personen aus Syrien in Deutschland. Rund 655  000 von ihnen haben einen anerkannten Schutzstatus als Flüchtlinge. Hinzu kommen Menschen, die sich aktuell im Asylverfahren befinden, die über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen sind oder die sich dauerhaft in Deutschland niederlassen dürfen. Nicht unter den fast eine Million Syrern eingerechnet sind diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Im Jahr 2023 wurden 75 485 Syrerinnen und Syrer eingebürgert.

Wie bewertet die Bundesregierung die veränderte Lage?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Sonntag gesagt: „Das Ende der Assad-Herrschaft ist eine gute Nachricht.“ Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann betonte am Montag, die Bundesregierung beobachte die Lage genau, wie unter dem neuen Regime Recht und Ordnung eingehalten werden – insbesondere mit Blick auf die Minderheiten. Was die veränderte Lage für die Flüchtlinge in Deutschland bedeute, darüber wolle sie nicht spekulieren, sagte Hoffmann. Viele Politiker in Deutschland, unter anderem von der Union, verbinden den Sturz Assads mit der Hoffnung, dass viele Syrer in ihre Heimat zurückkehren. Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) brachte bereits eine Rückreiseprämie von 1 000 Euro ins Spiel.

Werden viele Syrer aus Deutschland in ihr Land zurückkehren?

„Es viel zu früh, um zu sagen, wie sich die Lage entwickelt“, sagt Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Denn selbst wenn sich die Lage politisch bessert, so gibt es im Land weiter große Probleme. „Man darf nicht vergessen, dass Syrien im Bürgerkrieg mehr als ein Jahrzehnt lang zerstört wurde. Es ist ein Land, in dem große Not herrscht – und in Teilen immer noch gekämpft wird“, sagt Vorländer. Nach Angaben der EU sind sieben von zehn Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen. „Forderungen nach einer zügigen Rückkehr von Syrern halte ich für vorschnell – und für teilweise schlicht populistisch“, sagt Vorländer.

Könnte es neue Fluchtbewegungen geben?

Das ist denkbar. Die Gruppe HTS ist islamistisch, ihr schwebt ein Staat auf Grundlage der Scharia vor. Zwar hat ihr Anführer Abu Mohammed al-Dschulani dazu aufgerufen, die zahlreichen Minderheiten wie Christen, Drusen, Alawiten oder Kurden zu schonen, doch eine Garantie gibt es dafür nicht. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte mit Blick auf das HTS-Herrschaftsgebiet im Norden Syriens: „Schaut man Idlib an, so war das in den vergangenen Jahren kein demokratisches Paradies.“

Dürfen Syrer jetzt in ihr Heimatland reisen und wieder zurückkehren?

Wenn ein anerkannter Flüchtling in sein Heimatland reist, riskiert er, dass sein Schutzstatus widerrufen wird. Allerdings gibt Ausnahmen, etwa wenn es um den Besuch schwer kranker Angehöriger oder um Beerdigungen geht.

Was ändert die Lage in Syrien am Schutzstatus der Syrer in Deutschland?

Ein Schutzstatus wird zunächst für drei Jahre zuerkannt und kann auch widerrufen werden, wenn sich die Lage im Herkunftsland dauerhaft ändert. Maßgeblich dafür ist eine Einschätzung des Auswärtigen Amts im vertraulich eingestuften „Asyllagebericht“. Sobald sich die Situation in Syrien beruhige, werde dieser aktualisiert, hieß es. Eine erste Veränderung gab es am Montag allerdings schon: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) teilte mit, man habe einen Entscheidungsstopp für Asylanträge von Syrern verhängt. Damit will man abwarten, wie sich die Lage in dem Land in der nächsten Zeit entwickelt.

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Erstellt:
9. Dezember 2024, 17:32 Uhr
Aktualisiert:
9. Dezember 2024, 18:06 Uhr

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