Meditative Melodik, monumentale Modulation
Kirchenmusikdirektor Tobias Horn nutzt die Möglichkeiten der Mühleisenorgel in der Stadtkirche, um Kompositionen zu Ostern und Pfingsten von Johann Sebastian Bach, Marcel Dupré und Karl Hoyer facettenreich darzustellen.

Tobias Horn hat als Organist beeindruckt. Der Kirchenmusikdirektor hat auch familiäre Beziehungen nach Murrhardt. Foto: Elisabeth Klaper
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. „Verbreite Licht und Klarheit!“, betitelt der Stuttgarter Kirchenmusikdirektor Tobias Horn das kontrastreiche Programm seines Orgelzykluskonzerts. Der Dozent an der Musikhochschule Stuttgart und Bezirkskantor in Besigheim hat Wurzeln in der Walterichstadt: Sein Urururgroßvater betrieb einst die Apotheke am Marktplatz und fand seine letzte Ruhe nahe der Walterichskirche. Tobias Horn bereitet den Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Mühleisenorgel in der Stadtkirche grandiose Hörerlebnisse.
Voller Musizierfreude interpretiert er virtuos drei Kompositionen, die thematisch das gesamte Kirchenjahr umfassen, wobei Ostern und Pfingsten Schwerpunkte bilden. Im Zentrum steht Johann Sebastian Bachs prachtvoll jubilierende Fantasie über den Pfingstchoral „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ von Martin Luther mit der Werkverzeichnisnummer 651. Die Choralmelodie ist kunstreich in jede der vielen Stimmen der barock-ornamentalen Struktur des Werks eingeflochten. Das Brausen des Heiligen Geistes stellt der Meister mit durchgängigen schnellen Sechzehntelbewegungen dar. Damit versetzt der Organist die „Königin der Instrumente“ und die Melodie in rhythmisch-tänzerische Schwingungen. Die Umrahmung bilden zwei Zyklen durch das Kirchenjahr in moderner Tonsprache, ideenreich mit traditionellen Elementen kombiniert. Ein spektakuläres Werk ist die „Symphonie-Passion“ Opus 23 von Marcel Dupré. Sie entstand Anfang der 1920er-Jahre auf dessen erster Tournee durch die USA. Von der Improvisationsfolge
zu einer Sinfonie über das Leben Jesu
Aus vier ausgewählten gregorianischen Chorälen kreierte der Pariser Organist und Komponist eine Folge von Improvisationen. Diese präsentierte er bei einem Konzert an der damals größten Orgel der Welt in einem großen Kaufhaus in Philadelphia. 1924 arbeitete Dupré die Improvisationen aus dem Gedächtnis zu einer monumentalen Sinfonie über das Leben Jesu aus, die er 1925 in der Westminster-Kathedrale in London uraufführte. Die vier Sätze lauten: „Die Welt in der Erwartung des Heilandes“, „Geburt“, „Kreuzigung“ und „Auferstehung“. Diese faszinierende Programmmusik voller Spannungen, Kontraste und Dramatik mutet bereits wie zeitgenössische Filmmusikkompositionen an.
Mit ausgeklügelter Registrierung und Einsätzen der diversen Effekte bringt Tobias Horn die innovativen Akkorde und Kadenzen, die enorm schnellen Figuren und chromatisch auf- und absteigenden Läufe zur Entfaltung. Ebenso die feierlichen, heiter bewegten Harmonien zum bekannten Weihnachtslied „Herbei, o ihr Gläubigen“.
Düstere, dissonant-schmerzhaft klingende Tontrauben, die immer höher steigen, und ein klagendes Motiv symbolisieren die Kreuzigung und den Tod Jesu. In triumphierend aufsteigenden Durdreiklängen und Modulationen, umspielt von schnellen, hin und her springenden Figuren, gestaltet der Organist das unfassbare Wunder der Auferstehung. Strahlend jubilierende Figurationen münden in einen majestätischen Schlussakkord, der den Sieg Jesu über den Tod zum Ausdruck bringt.
Erstmals ist ein Werk von Karl Hoyer in der Stadtkirche zu hören, der Schüler Max Regers war, am Leipziger Konservatorium studierte und später dort lehrte. Er schuf die „Vier Charakterstücke für die Orgel“ Opus 36 Mitte der 1920er-Jahre, also etwa zur selben Zeit wie Dupré die „Symphonie-Passion“. Beide Werke weisen einige Parallelen auf, allerdings wisse man nicht, ob die Komponisten die Werke des jeweils anderen kannten, so Tobias Horn. Hoyers Tonsprache ist deutlich von Reger beeinflusst: Er kombiniert traditionelle Formen der Spätromantik mit innovativen Elementen des Impressionismus und der Moderne.
Ein übermäßiger Klang aus fünf Tönen durchzieht alle vier Charakterstücke als Leitmotiv, das zugleich als barockes Kreuzmotiv auf die Passion hinweist. Daraus entwickelt der Künstler atmosphärisch schwebende, sich weiterentwickelnde Phrasen aus meditativen Harmonien und monumentalen Akkordkaskaden. Im melodisch reich ausgearbeiteten ersten Satz zu Christi Geburt hat der Komponist die Choräle „O du fröhliche“ und „Vom Himmel hoch“ integriert. Im zweiten Satz, mit düsteren Klangnuancen zu Christi Kreuzweg, steckt der Passionschoral „Herzliebster Jesu“. In den dritten mit scharfen dissonanten Akkorden zu Christus am Kreuz hat Hoyer „O Lamm Gottes unschuldig“ integriert. Und „Jesus, meine Zuversicht“ umgibt er im vierten Satz zu Christi Auferstehung mit strahlenden machtvollen Klängen. Mit starkem Applaus dankt das Publikum Tobias Horn für seine atmosphärischen Darbietungen, worauf er noch Marcel Duprés letztes Werk „Souvenir“, eine klangschöne spätromantische Meditation, als Zugabe draufsetzt.