Berliner Alltagsgespräche

„Meine Tochter braucht die Unterstützung von uns mit den Kindern“

Die Hippies, Atomkraftgegner und Schwulenaktivisten der 70er und 80er sind die Berliner Kiezrentner von heute. In einem Café in Berlin-Schöneberg trifft sich ein buntes Kiezklientel, das hier schon seit Jahrzehnten lebt. Wir hören zu.

Im Café sind die Gespräche an den Nebentischen manchmal nicht zu überhören.

© Imago/ / Karl-Heinz Spremberg

Im Café sind die Gespräche an den Nebentischen manchmal nicht zu überhören.

Von Eva-Maria Manz

Vor der Tür hängt ein Zettel „Schwuler Augenarzt sucht Wohnung“, drinnen erzählt gerade ein Typ mit Bierflasche, dass er übrigens zwei Master habe. Manche tragen in diesem Café in der Schöneberger Akazienstraße bauchfreie Tops und andere, wie die ältere Dame neben uns, gefütterte Wanderschuhe – die Gehwege sind vereist – und eine rote Filztasche. Das Nach-dem-Abi-nach-Berlin-Ziehen hat ja nun nicht erst die Generation der Prenzlauer-Berg-Hipster mit Geburtsort Albstadt-Ebingen erfunden. Sondern wohl jenes Klientel, das man zum Beispiel in Schöneberg, dem Westberliner Szenebezirk, wie man früher sagte, nun in seinen besten Jahren antrifft: Die Hippies, Atomkraftgegner und Schwulenaktivisten der 70er und 80er sind die Berliner Kiezrentner von heute.

„Ich fand das in Heringsdorf über Silvester ganz fürchterlich“

Die Frau mit der Samttasche erzählt ihrem Gegenüber gerade von einem Bekannten: „Er geht dauernd einkaufen. Aber so viel brauchen die gar nicht, wie der einkauft. Die Heike ist ja seine Ex, und die sagt das seit Jahren. Die müssen den mal untersuchen lassen. Heike ist jetzt selbst schon 80, die sieht noch top aus, die ist jung und munter. Sie ist im Grunde froh, dass sie weg ist. Der Sohn und die Tochter kümmern sich um den Ex, dann passiert da nichts. Aber jetzt sag mal du, wo fahrt ihr dieses Jahr noch hin?“ Der Mann, Turnschuhe der Marke Bugatti, graues Haar, erzählt: „Himmelfahrt wollen wir an die Ostsee nach Zingst. Ich fand das in Heringsdorf über Silvester ganz fürchterlich, das war so voll. Da hab ich gedacht, ich fahr nicht mehr über die Feiertage da hin. Kinder im ferienpflichtigen Alter – das ist einfach scheiße.“ Sie: „Es ist andererseits auch schön, dass das jeder durchmacht.“

Und er: „Meine Tochter braucht die Unterstützung von uns mit den Kindern. Wenn wir nicht wären, könnte sie nichts machen, dann müsste sie von ihrem Posten als stellvertretende Leiterin zurücktreten.“ Sie: „Es ist wichtig, dass es für sie nicht mit Gewissensbissen verbunden ist, wenn sie so viel arbeitet.“ Jetzt will der Mann wohl höflichkeitshalber noch wissen, wohin die Frau in Urlaub fährt. Sie: „Brigitte will ihren Geburtstag in Görlitz feiern, sie lädt also alle nach Görlitz ein. Das geht ja auch mit dem Deutschlandticket. Sie hat einen ausgefeilten Plan, nachmittags eine Brauerei besichtigen und so, da ist alles durchgetaktet.“ Er: „Das ist wirklich eine schöne Stadt.“ Er will gerade ansetzen zu einem Vortrag über die Vorzüge von Görlitz, aber sie fällt ihm ins Wort: „Ich war auch schon mal da.“

„Mit zunehmendem Alter geht einem das näher“

An einem anderen Tisch sitzt ein Mann in brauner Cordhose und Lederschuhen und liest die „Süddeutsche Zeitung“. Plötzlich klingelt sein Handy, er geht ran, sagt: „Danke für deinen Rückruf. Ich wollte dich eigentlich vor allem fragen, wie du es geschafft hast, mir dieses Video weiterzuleiten. Ich hab’s mit iMessage versucht, aber das geht nicht raus. Und alle wollen das haben. . . Nee, nee, ist egal. . . Geht so. Ich war 73 bis 75 mit einem Israeli liiert, direkt nach dem Jom-Kippur-Krieg, und der ist gestern verstorben. . .  Jaja, danke dir. Weißt du, wenn Menschen einen durch das Leben begleiten, das ist nicht ohne. Ami hieß der. Der hat so ein gutes Leben gehabt, was der alles bewältigt hat! Mit zunehmendem Alter geht einem das näher, das erlebst du ja auch.“

Ein älterer Mann, der aus unerfindlichen Gründen eine orange Warnweste trägt, erzählt jetzt einem anderen am Nebentisch: „Der Trump sacht, behinderte Leute sind ne Last, da weeste gleich, wat dat für einer ist. Und der macht det ooch, was er sacht, Panamakanal, Ukraine, allet.“ Der andere schaut nur kurz von seinem Handy auf, murmelt: „Det is Kapitalismus im Endstadium.“

Lauschangriff In loser Folge erzählen wir in unserer Serie von Gesprächen aus dem Alltag, die nicht zu überhören sind.

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Erstellt:
26. Februar 2025, 10:38 Uhr

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