Verdi und Beamtenbund
„Meine-Zeit-Konto“ soll den öffentlichen Dienst beleben
Verdi und der Beamtenbund fordern acht Prozent höhere Einkommen bei Bund und Kommunen. Der stellenweise erhebliche Personalmangel soll mit einem innovativen Arbeitszeit-Instrument behoben werden.
Von Matthias Schiermeyer
Seit Monaten hat sich abgezeichnet, dass die nächste Tarifrunde im öffentlichen Dienst auch vom Ringen um die Arbeitszeit dominiert wird. Nun haben Verdi und der Beamtenbund die Karten auf den Tisch gelegt: Neben der Forderung nach Entgeltsteigerungen um acht Prozent, mindestens 350 Euro mehr im Monat, haben sie ein innovatives Modell für die Auseinandersetzung mit Bund und Kommunen entwickelt.
Ein „Meine-Zeit-Konto“, über das die rund 2,5 Millionen Tarifbeschäftigten selbst verfügen können, soll diesen mehr Zeitsouveränität und Flexibilität verschaffen. Damit wollen die Gewerkschaften eine Wahlmöglichkeit eröffnen – die Kräfte sollen eigenständig entscheiden dürfen, ob die erzielte Entgelterhöhung oder weitere Vergütungsbestandteile wie Überstunden inklusive Zuschlägen ausgezahlt oder auf das Konto gebucht werden sollen. Das neue Instrument soll für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder längere Freistellungsphasen wie Sabbaticals genutzt werden.
Umfrage als Vorlage für neues Modell
Zusätzlich verlangen die Gewerkschaften drei zusätzliche freie Tage, um die zunehmende Arbeitsbelastung auszugleichen. Für die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die zu den Gewerkschaftsbastionen gehören, wird eine bezahlte Pause in der Wechselschicht gefordert.
Im Mai hatte Verdi die Ergebnisse einer großen Beschäftigtenbefragung vorgestellt, wonach eine Mehrheit von gut 260 000 Teilnehmenden wegen hoher Arbeitsbelastungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit sieht und mehr Gelegenheiten zur Regeneration einfordert.
Schon jetzt fehlen mehr als eine halbe Million Arbeitskräfte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Bund und Kommunen arbeiten derzeit 39 Wochenstunden. Verdi-Chef Frank Werneke und Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach hoben daher am Mittwoch hervor, dass der öffentliche Dienst angesichts von jetzt schon 570 000 fehlenden Kräften attraktiver gemacht werden müsse. „Die Beschäftigten von Bund, Kommunen und kommunalen Unternehmen spüren immer stärker die Folgen von unbesetzten Stellen und Personalknappheit“, unterstrich Werneke die Notwendigkeit zur Entlastung. Volker Geyer, Fachvorstand Tarifpolitik beim Beamtenbund, mahnte: „Die Arbeitszeitkonten müssen hochflexibel sein und sich nach den Vorstellungen der Beschäftigten richten – sowohl bei dem, was eingezahlt wird, als auch bei der späteren Nutzung.“
„Zu stark abhängig gemacht vom chinesischen Markt“
Die Acht-Prozent-Lohnforderung wiederum sieht Werneke als einen Weg, das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu stärken. Die derzeitige wirtschaftliche Schwäche habe nicht damit zu tun, dass nicht genügend gearbeitet werde oder dass die Löhne zu hoch seien – sondern mit einer zu starken Orientierung auf bestimmte Exportmärkte. „Es rächt sich, dass sich Teile der Industrie zu stark abhängig gemacht haben vom chinesischen Markt“, rügte er vor allem die Unternehmen der Automobilindustrie.
Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes werden aus seiner Sicht „wegen der Fehlentscheidungen in Politik und Wirtschaft nicht kürzer stecken“. Vielmehr sei es Aufgabe von Lohnpolitik auch im öffentlichen Sektor, die Kaufkraft zu stärken, „um wenigstens die Binnennachfrage als Stabilisator der wirtschaftlichen Entwicklung zu haben“, sagte er im Deutschlandfunk.
Gewerkschaftsbonus im Visier
Zum Forderungspaket gehört zudem der Neuabschluss eines Tarifvertrags zur Altersteilzeit mit bevorzugtem Zugang für Beschäftigte in besonders belasteten Berufen.
Darüber hinaus fordert Verdi einen zusätzlichen freien Tag für Gewerkschaftsmitglieder. Ein solcher Bonus ist im Juni schon für die chemische Industrie vereinbart worden, während die IG Metall diese inoffizielle Forderung nach heftiger Gegenwehr der Arbeitgeber wieder fallengelassen hat.
Fahrplan der Tarifrunde
Start der Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist der 24. Januar, danach sind für den 17./18. Februar und 14.-16. März zunächst zwei weitere Verhandlungsrunden geplant.