Goldritt vor dem Versailler Schloss
Michael Jung – der Sonnenkönig der Vielseitigkeit
Michael Jung krönt seine Karriere im Schlossgarten von Versailles auf Chipmunk mit dem dritten Olympia-Gold im Einzel. Auch die Konkurrenz staunt über die Konstanz und Klasse des Horbers. Silbermedaillengewinner Christopher Burton sagt: „Er ist der größte Reiter aller Zeiten.“
Von Jochen Klingovsky
Michael Jung ist in seiner Karriere schon viele Ehrenrunden geritten – aber noch nie vor einer derart atemberaubenden Kulisse. Im Hintergrund das Schloss von Versailles, an drei Seiten steil nach oben ragende Stahlrohrtribünen, auf denen ihm 15 000 Zuschauer zujubelten: Das bewegte sogar den Sonnenkönig der Vielseitigkeit. Jung präsentierte voller Stolz seine Goldmedaille, die er kurz zuvor überreicht bekommen hatte, bedankte sich immer wieder bei seinem Pferd Chipmunk. Und er nahm mitten im Galopp den Helm vom Kopf, als wolle er den Hut ziehen vor diesem enthusiastischen Publikum, der einmaligen Atmosphäre und vielleicht auch ein bisschen vor sich selbst. Vor dem goldenen Reiter.
Michael Jung aus Horb, der an diesem Mittwoch 42 Jahre alt wird, hat bei den Sommerspielen in Paris Geschichte geschrieben. Worte fand er dafür zunächst nicht. „Ich habe echt wacklige Knie“, sagte der überwältigte Gold-Gewinner kurz nach seinem letzten fehlerfreien Ritt, „ich bin völlig geflasht und muss das irgendwie erst einmal verinnerlichen. Ich kann mich nur immer wieder bei meinem Pferd bedanken, Chipmunk hat mich gerettet, auf der letzten Linie.“ Und damit die Trilogie vollendet.
Spannung bis zuletzt
2012 holte Michael Jung Doppel-Gold in London (Einzel und Team), vier Jahre später in Rio de Janeiro waren es Gold und Silber. Nun, nach dem Coup von Paris, ist der Mann, den viele Experten für den besten Reiter der Welt halten, der Einzige in der Geschichte der Vielseitigkeit mit drei Olympiasiegen im Einzel. „Daran habe ich nie gedacht“, sagte Jung später vor den Medien, „ich habe versucht, nicht daran zu denken, dass hier eine ganz besondere Show stattfindet. Aber jetzt ist es ein ganz besonderer Moment für mich.“
Zuvor hatte es der Favorit noch einmal spannend gemacht. Nach der zweitbesten Dressur und einem perfekten Geländeritt lag er vor den zwei Durchgängen im Springen knapp in Führung. Im ersten Umlauf am Montagvormittag kassierte er einen Abwurf, profitierte allerdings davon, dass seine stärksten Konkurrenten ebenfalls nicht fehlerfrei blieben. Das änderte sich im Finale am Nachmittag. Das Trio, das vor ihm lag, kam ohne Missgeschick durch. Als Michael Jung, der letzte Starter, in den fantastisch gelegenen Parcours im Schlossgarten von Versailles einritt, wusste er, dass er sich diesmal keinen Fehler leisten durfte – ansonsten wäre er ohne Medaille geblieben.
Doch Jung und Chipmunk behielten die Nerven, gerieten an keinem der neun Hindernisse in Gefahr. „Ich habe trotzdem wieder nicht alles ideal erwischt“, meinte Jung zu seinem Gold-Ritt, aber das interessierte am Ende niemanden mehr. „Ich bin überglücklich, letztlich war es eine fantastische Woche“, sagte der Olympiasieger aus Horb, nachdem er seine Frau und seine beiden kleinen Kinder geherzt hatte, „ich habe in dieser Zeit versucht, alles auszublenden und mich nur auf mich und mein Pferd zu konzentrieren. Das hat super funktioniert.“
„Der größte Reiter aller Zeiten“
So gut, dass sich am Ende auch Christopher Burton, der vor Laura Collett (Großbritannien/23,10) mit 22,40 Strafpunkten Silber geholt hatte, vor dem Olympiasieger (21,80) verneigte. „Ich jage ihn schon seit Jahren, aber Micky ist der Beste“, sagte der Australier, „was er leistet, ist herausragend. Er ist der größte Reiter aller Zeiten.“
Peter Thomsen vermied diesen Superlativ zwar, aber auch der Vielseitigkeits-Bundestrainer lobte seinen Star überschwänglich. „Er ist absolute Weltklasse und ein Pferdemensch durch und durch, mit enormer Geduld und extremem Verständnis für seine Pferde“, sagte Thomsen, seinen Spitznamen „Terminator“ trage Jung absolut zu Recht: „Er ist enorm stark in der Dressur, herausragend im Gelände, kann internationale Turniere im Springen gehen – er ist ein kompletter Reiter und kaum zu schlagen. Hut ab!“ Anschließend betonte der Bundestrainer auch noch die Rolle von Chipmunk: „Er kann die Dressur gewinnen, hat eine riesen Galoppade, ist superklasse im Gelände. Hier in Paris war er super fit, jeglicher Belastung gewachsen, hervorragend trainiert.“
Vom Sturzpech erwischt
An Jung und seinem Pferd hatte es denn auch nicht gelegen, dass das deutsche Team leer ausgegangen war. Sondern am Pech von Christoph Wahler, der im Gelände aus dem Sattel stürzte – womit die Mannschaftsmedaille futsch war. „Leider hat es diesmal uns erwischt“, sagte Peter Thomsen, während Christoph Wahler beeindruckt auf seinen Teamkollegen blickte. „Wir haben den weltbesten Reiter in unserem Team“, schwärmte er von Michael Jung, „ich finde es genial, was er für eine ruhige und selbstverständliche Art und Weise hat. Er ist in meinen Augen der perfekte Pferdemann.“ Der noch lange nicht ans Aufhören denkt.
Schon vor den Olympischen Spielen hatte Michael Jung gegenüber unserer Zeitung erklärt, dass er auf jeden Fall weitermachen wird – unabhängig vom Ergebnis in Paris. Wie lange? Das wird die Konkurrenz nicht gerne hören. „Wenn ich fit bleibe“, sagte Jung, „dann können es noch 20 Jahre sein.“ Gut möglich, dass die Regentschaft des Sonnenkönigs noch ziemlich lange anhält.