Bundeswehr
Minimal-Lösung für die Wehrpflicht?
Für einen neuen Wehrdienst verdichten sich erste Details. Laut Berichten bleibt dieser weit hinter dem zurück, was sich Verteidigungsminister Pistorius einmal gewünscht hatte.
Von Tobias Heimbach
Auch zweieinhalb Jahre nach Russlands Überfall auf die Ukraine feilt die Bundesregierung an der „Zeitenwende“. Eine der wohl weitgehendsten Forderungen ist dabei, eine neue Wehrpflicht einzuführen. Die alte wurde 2011 ausgesetzt, schon seit einer Weile arbeitet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an einer Reaktivierung. Nun verdichten sich die Hinweise. Wie die „Welt am Sonntag“ berichtete, gibt es einen ersten Referentenentwurf zu einem Wehrpflichtgesetz. Demnach sollen alle jungen Menschen, wenn sie das 18. Lebensjahr erreichen, einen Fragebogen zugesandt bekommen. Darin sollen sie beantworten, ob sie bereit sind, den Wehrdienst zu leisten. Außerdem werden sie über Fähigkeit, Qualifikationen und Interessen befragt. Der Fragebogen soll digital ausgefüllt werden. Für Frauen und Personen anderen Geschlechts soll dies freiwillig sein, für Männer verpflichtend. Beantworten sie den Fragebogen nicht, soll ein Bußgeld drohen. Die danach folgenden Stufen – also eine Musterung und ein möglicher mehrmonatiger Dienst – sollen auch für Männer freiwillig sein. Die Musterung, so wird zitiert, soll künftig zudem „Assessment“ heißen.
„Schwedisches Modell“ im Gespräch
Das Verteidigungsministerium wollte am Montag zu diesen Details keine Stellung nehmen – widerspricht der Darstellung allerdings auch nicht. Lediglich, dass die Erfassung der wehrfähigen Männer ab 1. Januar starten solle, könne man „nicht bestätigen“. Sollte der Entwurf in dieser Form kommen, dann wäre das wohl die Minimallösung von dem, was sich Pistorius einmal überlegt hatte. Über Monate hatte er für das „schwedische Modell“ der Wehrpflicht geworben. Dort erhalten alle jungen Menschen eines Jahrgangs einen Fragebogen, rund ein Drittel absolviert die Musterung. Rund neun Prozent eines Jahrgangs leisten schlussendlich den Wehrdienst. Wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, können junge Männer und Frauen auch verpflichtet werden.
Gegen einen so weitreichenden Dienst gibt es in der Runde von Pistorius‘ Kabinettskollegen Widerstand, etwa von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP). Auch viele Abgeordnete von SPD, Grünen und Liberalen sehen dies skeptisch. Zu den Unterstützern von weitergehenden Maßnahmen gehört Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP. Er sagte unserer Zeitung: „Das Ausfüllen des Fragebogen sollte für alle Geschlechter verpflichtend sein – nicht nur für Männer.“ Müller sagte zudem: „Wer Interesse an einem Dienst bei der Bundeswehr äußert, für den sollte auch die Musterung verpflichtend sein. Wenn Interessenten einen halben Tag für eine Musterung opfern, dann ist das noch keine Freiheitsberaubung.“ Müller hofft, dass sich durch Fragebogen und Musterung mehr Menschen für die Bundeswehr entscheiden.
Truppengröße soll erhöht werden
Tatsächlich ist das Thema Personal die wohl größte Herausforderungen der Bundeswehr. Aktuell ist geplant, die Truppe von derzeit rund 180 000 Soldatinnen und Soldaten auf 203 000 zu erhöhen. Die notwendige Größe wird von Experten sogar auf 240 000 geschätzt. Derzeit leisten pro Jahr etwas weniger als 10 000 Menschen ihren freiwilligen Wehrdienst. Pistorius sagte im Sommer, dass zunächst 5000 zusätzliche Freiwillige den „Neuen Wehrdienst“ leisten sollen, am besten schon im kommenden Jahr.
Das Gesetz zur Wehrpflicht hat laut „Welt am Sonntag“ einen zweiten Teil. Dieser soll vorsehen, dass die Daten aller Männer erfasst werden, die ab 2025 das 18. Lebensjahr vollenden. Der Präsident des Deutschen Reservistenverband, Patrick Sensburg, sagte unserer Zeitung dazu: „Die Modernisierung wehrersatzrechtlicher Vorschriften geht in die richtige Richtung. Wir müssen an die Daten auch der früheren Jahrgänge kommen, um sie für den Dienst in der Truppe, insbesondere als Reservisten gewinnen zu können.“ Er wünsche sich, noch größere Teile der Gesellschaft zu erfassen, „um Fachleute und Experten mit ihren zivilen Kompetenzen gewinnen zu können“. Dazu zählten auch Menschen, die noch unter der alten Wehrpflicht vor 2011 gedient haben.