„Mit am wichtigsten ist psychologische Hilfe“
In Murrhardts polnische Partnerstadt Rabka-Zdrój sind mittlerweile 1500 Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Das stellt sie vor große Herausforderungen. Einerseits geht es um die Versorgung, andererseits um den Umgang mit Kriegserlebnissen, Trauer und Ungewissheit.

Bürgermeister Armin Mößner im Sitzungssaal des Rathauses bei der Videokonferenz mit den Städtepartnern. Bürgermeister Leszek Swider und Agnieszka Wójcik berichten über die Situation in Rabka-Zdrój. Foto: C. Schick
Von Christine Schick
Murrhardt. In Rabka-Zdrój haben bisher 12600 Menschen gelebt. Seit Beginn des Ukrainekriegs sind 1500 Flüchtlinge hinzugekommen. Für das Verwaltungsteam um Bürgermeister Leszek Świder haben sich damit der Alltag und die Aufgaben völlig verändert. Er und Agnieszka Wójcik, die sich nun vor allem um die Flüchtlingsthematik kümmert, berichten in einer Videokonferenz der Städtepartner Murrhardt, Château-Gontier, Frome und Rabka-Zdrój, wie sich die Lage für sie entwickelt hat. Da sind die naheliegenden, praktischen Herausforderungen wie der gestiegene Bedarf an Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die Unterhaltskosten sowie die medizinische Versorgung für die Flüchtlinge. Unter ihnen sind viele Frauen mit kleinen Kindern. Allein 200 Mädchen und Jungen kommen nun an die Schule, es müssen zusätzliche Klassen eingerichtet und Lehrerinnen und Lehrer gefunden und eingestellt werden. „Durch die sprachliche Nähe ist es etwas einfacher. Ich denke, das ist einer der Gründe dafür, dass viele der Menschen hierbleiben und nicht weiterziehen wollen“, sagt Agnieszka Wójcik. Genauso präsent ist die Frage, wie sich die Kommune den Gesundheitsproblemen der Menschen annehmen kann. „Mit am wichtigsten ist psychologische Hilfe, die Flüchtlinge haben eine Menge Probleme. Sie sind zwar nicht weit weg von zu Hause und doch können sie nicht zurückgehen“, erläutert sie und ergänzt später: „Manche haben ihre Männer und Söhne verloren.“ Doch solch eine Hilfe setzt voraus, dass die psychologische Fachkraft Ukrainisch spricht und solch eine Spezialistin oder einen Spezialisten zu finden, ist nicht ganz einfach.
Die Sprache ist ebenfalls eine Hürde, wenn es darum geht, eine Arbeit zu finden, und für Mütter kleinerer Kinder sind die Rahmenbedingungen noch schwerer. Auch die mangelnde Perspektive der Menschen, in absehbarer Zeit wieder selbstständig zu werden, kann psychischen Stress und Folgeprobleme bedeuten. Agnieszka Wójcik berichtet, dass es Einzelne gibt, die nur ein paar Tage bleiben, beispielsweise weil sie jemanden suchen oder weiterreisen. Dies geschieht meist, wenn sie Verwandte in anderen Ländern haben, die schon zuvor aus der Ukraine ausgewandert sind. Für diejenigen, die bleiben, heißt es mittelfristig, eine Arbeit zu finden, sich zu beschäftigen, Polnisch zu lernen, aber aktuell „sind die Gedanken einfach nur bei den Angehörigen, um die sie bangen“. Im Blick haben muss das Team auch die wachsende Frustration unter den Einwohnerinnen und Einwohnern, weil es oft lange Warteschlangen bei Ärzten gibt und die Verwaltung sich im Moment vor allem auf die Herausforderungen rund um die Flüchtlingsarbeit konzentriert. Mit Sorge betrachtet der Krisenstab auch, dass manche Familien, die Geflüchtete aufgenommen haben, vor dem Hintergrund mangelnder finanzieller Mittel Abstand von ihrem Engagement nehmen, sprich die Menschen neu untergebracht werden müssten. Einerseits geht es um die konkrete Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten, andererseits sagt Agnieszka Wójcik auch: „Wir brauchen einen Treffpunkt für die Menschen, wo sie sich sehen und miteinander sprechen können.“
Bei der Videokonferenz tauschen sich die Sprecherinnen und Sprecher der Partnerstädte auch über weitere Unterstützung aus. Justin Worringham, Vorsitzender der Frome Twinning Association, will sich zu den Modalitäten in England erkundigen, wenn sich Familien in Frome finden, die Geflüchtete aufnehmen möchten. Die in den Partnerstädten gesammelten Spenden sollen überwiesen werden, in Murrhardt sind bisher 7200 Euro eingegangen. Für die Unterstützung sind Leszek Świder undAgnieszka Wójcik dankbar, das Geld lässt sich vergleichsweise flexibel einsetzen. Die Sprecher der drei Partnerstädte machen deutlich, dass sie sich wieder über die Lage austauschen möchten und sich über ein paar Informationen darüber freuen, wie die Spenden eingesetzt werden. Allen ist aber auch bewusst, dass das im Zweifel zurückstehen muss. „Wir können uns vorstellen, was Sie im Moment zu bewältigen haben“, sagt Bürgermeister Armin Mößner.
Komplexe Situation Im Alltag zeichnen sich viele Probleme ab. Sie reichen von der Versorgungslage über allgemein höhere Kosten für die Kommune bei der Infrastruktur wie Müllentsorgung bis hin zu Konflikten innerhalb der Geflüchteten aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten beispielsweise bei beziehungsweise gegenüber Sinti und Roma.
Finanzielle Hilfe Wer die polnische Partnerstadt Rabka-Zdrój und ihre Bürgerinnen und Bürger bei der humanitären Aufgabe finanziell unterstützen möchte, der kann auf ein Sonderkonto spenden, das die Stadt Murrhardt für diesen Zweck eingerichtet hat: IBAN DE68602500100004604299, BICSOLADES1WBN bei der Kreissparkasse Waiblingen unter dem Stichwort „Ukraine“ oder „Rabka“. Sämtliche Spendengelder werden an das Sonderkonto der Stadt Rabka-Zdrój nach Polen weitergeleitet.