Mit dem Segen von Prinz William zum WM-Titel?
Ein Deutscher als England-Trainer? Das sehen viele Fans der Three Lions kritisch. Thomas Tuchel steht vor seinem Debüt als Nationalcoach unter starker Beobachtung.
Von Kristof STÜHM und Alexander SARTER
London - Das Foto von Thomas Tuchel mit Mütze, Trillerpfeife und Stoppuhr auf dem Trainingsplatz ist omnipräsent in den Medien. Die BBC berichtet vor dem Debüt des deutschen Trainers sogar mit einem Liveticker aus dem Quartier der englischen Fußball-Nationalmannschaft. Jedes Wort der Stars um Harry Kane und Jude Bellingham zum neuen Coach wird auf die Goldwaage gelegt. Das ganze Getöse macht schon vor Tuchels Premiere an diesem Freitag in der WM-Qualifikation gegen Albanien (20.45 Uhr) unmissverständlich klar, dass er keine Schonfrist auf der Insel bekommen wird. Der Job sei „eine große Ehre, und ich bin sehr stolz darauf“, sagte Tuchel, für den es im Wembley-Stadion gleich ernst wird: „Ich bin mir dessen sehr bewusst und werde dafür sorgen, dass ich mir diesen Platz verdient habe.“
Der ehemalige Trainer von Borussia Dortmund, Paris Saint-Germain, dem FC Chelsea und dem FC Bayern München lässt keine Zweifel daran, welche große Fußballnation er jetzt repräsentiert. Antworten auf Deutsch sind bei seinen Pressekonferenzen tabu. „Aus Respekt davor, wo wir sind, und für alle anderen möchte ich das nur auf Englisch machen“, stellte Tuchel – freundlich, aber bestimmt – klar, als er bei der Verkündung seines ersten England-Kaders von einem Fernsehsender um eine deutsche Antwort gebeten wurde. So etwas kommt in England gut an.
Der 51-Jährige, der seinen Wohnsitz nach London verlegt hat, macht sich keine Illusionen darüber, dass seine Amtszeit letztlich an den Erfolgen bei den großen Turnieren wie der WM 2026 gemessen werden wird. Englands Warten auf den ersten großen Titel seit 1966 soll endlich ein Ende haben. Deshalb rechnete Tuchel seinen Schützlingen schon beim ersten Treffen vor, dass es nur noch 24 Trainingstage und sechs Lehrgänge bis zur WM-Endrunde 2026 sind.
Der frühere Spieler der Stuttgarter Kickers und ehemalige Jugendtrainer des VfB Stuttgart weiß, dass er als Coach aus dem Land des großen Rivalen Deutschland auf der Insel besonders kritisch beäugt und zumindest am Anfang bei Teilen der Fans einen schweren Stand haben wird: „Mir ist absolut bewusst, dass es etwas Besonderes ist, als ausländischer Trainer diese Mannschaft coachen zu dürfen.“ Doch kann ausgerechnet ein Deutscher das Mutterland des Fußballs zum Erfolg führen?
Viele Fans und auch die Presse sind skeptisch, zumal Tuchel mit seinem ersten Kader viel Unverständnis auslöste. Insbesondere die Nominierungen des 34 Jahre alten Jordan Henderson (Ajax Amsterdam), der zuvor in Saudi-Arabien kein Glück fand, des häufig verletzten Reece James (FC Chelsea) und von Marcus Rashford (Aston Villa) sind umstritten. Zudem verblüffte Tuchel mit Dan Burn – der Verteidiger von Newcastle United wurde mit 32 Jahren (!) erstmals berufen. „Ich wäre überrascht, wenn niemand überrascht wäre“, reagierte Tuchel fast schon amüsiert. „Und ich finde, die Debatte gehört zum Job dazu.“
Er selbst habe mit seinem Team emotionale und hitzige Diskussionen geführt. „Es gab einige sehr, sehr knappe Entscheidungen – und einige Spieler sind nicht im Kader, obwohl sie genug geleistet haben und es verdient hätten“, sagte Tuchel. Namen nannte er nicht, aber Conor Gallagher (Atlético Madrid) und Morgan Gibbs-White (Nottingham Forest) dürften dazuzählen.
Thomas Tuchel hat trotz seines Champions-League-Titels mit dem FC Chelsea 2021 kaum Kredit auf der Insel. „Man hat schon gemerkt nach seiner Verpflichtung, dass einige Fußballfans in England lieber einen Engländer auf dem Posten gesehen hätten“, sagte Ex-Nationalspieler und England-Experte Thomas Hitzlsperger. Besonders die Zeitung „Daily Mail“ habe eine „klare Agenda, die sie abarbeitet“. Das beweisen die Schlagzeilen. „Wo Tuchel falsch liegt“, titelte das Blatt – und schob die Liste derer hinterher, die der Coach besser nominiert hätte.
Auch die Work-Life-Balance des Coaches war schon Anlass für Gemoser, schließlich habe Tuchel in den ersten zehn Wochen seiner Amtszeit einige Spiele der Premier League verpasst – weil er zeitweise von Deutschland aus gearbeitet hat. „Hören Sie, ich brauche ein bisschen Vertrauen von Ihnen, dass Sie mir zutrauen, den Job mit hoher Intensität und auf die bestmögliche Art und Weise zu erledigen“, sagte er in Richtung der Medien und verwies darauf, dass er auch zu Hause das Geschehen verfolge.
Tuchel muss in seinem neuen Job einen schwierigen Spagat bewältigen. Er muss sofort Ergebnisse auf dem Platz liefern, um die Fans auf seiner Seite zu haben und – noch wichtiger – die WM-Qualifikation der Three Lions zu sichern. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Gareth Southgate, dessen auf Sicherheit bedachter Fußball unter Fans umstritten war, kündigte er einen direkten, offensiven Stil mit mehr Tempo und Intensität an. „Ich finde, wir sollten den Mut haben, wie eine echte englische Mannschaft zu spielen“, sagte Tuchel. „Unser Spiel sollte die Werte des Landes widerspiegeln – und die der besten Liga der Welt, der Premier League.“
Unterstützung erfährt der gebürtige Krumbacher aus dem britischen Königshaus. „Ich verstehe die Debatte, ob ein Nationaltrainer Engländer sein muss“, sagte Prinz William der „Sun“: „Aber für mich sollte es die beste Person für den Job sein – und Thomas ist genau der Richtige.“ Tuchel sei „einer der besten fünf Trainer der Welt“, sagte der Thronfolger, der auch Präsident des englischen Fußballverbands FA ist: „Es wäre unglaublich, wenn er nächstes Jahr die Weltmeisterschaft gewinnen könnte. Es ist definitiv möglich.“