Mit Naturschutz und Gartenarbeit auf der Höhe der Zeit
Der Verein für Obstbau, Garten und Landschaft, kurz VOGL, Murrhardt hat seinen 100. Geburtstag gefeiert. Die Gratulanten attestierten der Arbeit eine ungebrochene Wichtigkeit.

Wolfgang Doderer und Wilhelm Wieland (Zweiter und Dritter von rechts) vom VOGL nehmen die Medaille in Gold in Empfang, die Andreas Hieber (links) vom Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft samt Urkunde überbringt. Auch Ute Tränkle vom Kreisverband und Bürgermeister Armin Mößner gratulieren zum Jubiläum. Foto: privat
Murrhardt. Für den Jubilar gab es bei seiner Geburtstagsfeier in der Eisenbahn in Sulzbach an der Murr nicht nur eine Reihe von Glückwünschen zum 100-jährigen Bestehen, sondern auch eine Auszeichnung für hervorragende Leistungen in der Förderung des Obstbaus, der Gartenkultur und der Landespflege: Urkunde und Medaille in Gold überbrachte Andreas Hieber für den Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft. Angesichts der großen Zeitspanne und enormen gesellschaftlichen Veränderungen erinnerte er zunächst an die Gründungsmotive in den 1920er-Jahren. Die seien vor allem in der Förderung des Obstbaus durch die Vermittlung von Wissen, aber auch ganz konkret in der Anschaffung gemeinschaftlich genutzter Geräte zu sehen. Obst als Teil der Ernährung hieß Anbau vor Ort. „Aus dieser Zeit stammen auch die großen Streuobstbestände in unserer Region“, sagte Andreas Hieber. Das änderte sich mit der Industrialisierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich sogenannte Niederstammanlagen durch – aufgrund der Qualität und einer rationelleren Bewirtschaftungsmöglichkeit. „Neuere und bessere Sorten kamen dazu. Der Streuobstbau war unwirtschaftlich geworden, es wurden sogar Rodungsprämien gezahlt“, beschrieb Andreas Hieber die Entwicklung und erläuterte, dass sich viele Vereine dann stärker dem Thema Garten zuwendeten.
Obwohl sich heute der eigene Anbau im Vergleich zu den Verbraucherpreisen nicht mehr lohnt und auch die Flächen rar geworden sind, hätten die Vereine ihre Wichtigkeit nicht verloren, im Gegenteil. „Wir haben doch erkannt, dass die Streuobstwiese ein wichtiger Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten ist. In der Pandemie wurden sehr viele Bäume gepflanzt, die Baumschulen waren ausverkauft.“ Damit steigt auch die Bedeutung einer Wissensvermittlung rund um die Pflege, wobei Hieber dafür plädiert, Schnittkurse neu zu konzipieren – auch mit Blick auf eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis sowie Zielgruppen wie Anfänger, Fortgeschrittene oder Frauen. Gleichsam seien weitere wichtige Themen hinzugekommen: Insektensterben und Blühwiesen, Anbau des eigenen Gemüses, Stichwort Urban Gardening, Erhalt alter Sorten, Klimawandel und neue Schädlinge sowie naturnahe Gärten. „Immer wieder höre ich, die Jüngeren haben kein Interesse mehr an diesen Themen. Das mag teilweise auch stimmen, aber es gibt durchaus Interessierte, wie die ausgebuchten Fachwartkurse belegen“, sagte Andreas Hieber.
Ute Tränkle vom Kreisverband der Obst- und Gartenbauvereine Backnang ging ebenfalls auf die deutlichen Veränderungen im Lauf der 100-jährigen Geschichte ein. Nachdem die Selbstversorgung in Zeiten eines weltweiten Handels in den Hintergrund getreten war, zeigten sich Folgen der Globalisierung beispielsweise durch den Einzug von Schädlingen aus weit entfernten Regionen der Welt, die aufgrund von Klimaerwärmung geeignete Bedingungen vorfinden, so Tränkle. Neben der Weitergabe von Wissen sieht sie den Schutz von Insekten ebenso als wichtiges Thema für die Vereine an. Gemeinsam mit Kindern Insektenhotels oder Nistkästen zu bauen, ist ein erster Schritt, findet Ute Tränkle. Für deren Schutz sollten sich viel mehr Gartenbesitzer begeistern. Auch an anderer Stelle sollte der Naturschutz nach Ute Tränkle stärker in den Fokus rücken – beispielsweise beim Bewusstsein, dass Schottergärten, die mittlerweile verboten sind, auch angesichts von Klimaerwärmung keine gute Idee sind oder der Notwendigkeit einer Suche nach klimarobusteren Baumarten. Nichtsdestotrotz wünschte sie dem Verein mit Blick auf die Zukunft ein gutes Miteinander und viel Freude beim Planen und Umsetzen neuer Projekte.
Bürgermeister Armin Mößner warf Schlaglichter auf die bewegte Vereinsgeschichte – von den Anfängen in kargen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und der Zeit der Weltwirtschaftskrise und Inflation mit dem zentralen Gedanken der Selbstversorgung bis zum noch heute wertvollen Austausch und den Angeboten von Schnittkursen und Blütenwanderungen. Und er bekannte: „Seit einigen Jahren bin ich dem heutigen Jubilar selbst beigetreten, um für meine Grundstücke und das kleine Gärtle Tipps zu bekommen. Ich bin quasi von klein auf mit Stückles- und Gartenarbeit aufgewachsen.“ Aus Urgroßvaters Zeiten hat die Familie ein Grundstück in Murrhardt und Urbach im Remstal. Mittlerweile habe sich auch die Einstellung der Gesellschaft zur Natur gewandelt, der eigene Anbau im Garten vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt und verstärkt durch Corona stehe hoch im Kurs. Seinen Dank richtete er an jeden einzelnen Engagierten des Vereins, der mithilft, die einzigartige Kulturlandschaft im Schwäbischen Wald zu hegen, zu pflegen und zu erhalten. Und er kündigte an: „In Murrhardt ist es Tradition, Bäume zu besonderen Anlässen und Jubiläen zu pflanzen.“ Heute auch aktueller denn je im Zeitalter des Klimawandels und im Sinne eines gesunden Stadtklimas. „Schön wäre es, wenn wir zusammen einen Jubiläumsapfelbaum auf der Hart oder im Stadtgarten pflanzen könnten.“ cs
Andreas Hieber vom Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaftbeim Jubiläum des VOGL Murrhardt „In der Pandemie wurden sehr viele Bäume gepflanzt, die Baumschulen waren ausverkauft.“