Murrhardter Geschichtstreff: Kritisch Missstände in den USA beschrieben

Beim jüngsten Geschichtstreff informieren Gerhard Fritz und Manfred Schurr über das Tagebuch des Schulmeisters Matthäus Schlack, der 1837/38 verschiedene US-Bundesstaaten bereiste und dort viel Merkwürdiges und Erschreckendes erlebte.

Der Creek-Häuptling Menawa. Abbildung nach einem Porträt von Charles Bird King

Der Creek-Häuptling Menawa. Abbildung nach einem Porträt von Charles Bird King

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Im 19. Jahrhundert lockten die USA auch viele Auswanderer aus Württemberg an. Doch im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ herrschten keine idealen Zustände, sondern raue Sitten und Skrupellosigkeit. So beschrieb der württembergische Schulmeister Matthäus Schlack (1780 bis 1845), der 1837/38 eine Amerikareise unternahm, kritisch seine Eindrücke in einem Tagebuch in Kurrentschrift.

Das kleine Notizbuch haben der Historiker Gerhard Fritz und der historisch interessierte Murrhardter Manfred Schurr Ende 2023 mit Schlacks Nachfahren Hans Kunz aus Winnenden, der es transkribierte, erschlossen und herausgegeben. Beim jüngsten Geschichtstreff des Geschichtsvereins Murrhardt und Umgebung und des Carl-Schweizer-Museums erzählten sie zahlreichen Interessierten in einem Vortrag, wie das Buch entstand. Matthäus Schlack war „ein kluger Kopf“, musste sein Medizinstudium in Tübingen aber aus Kostengründen abbrechen. Der Schulmeister in Pfalzgrafenweiler nahe Freudenstadt wirkte vermutlich als Geometer bei der Urkartenerstellung mit, so der Historiker.

Beschwerliche Reise unter teils miserablen hygienischen Bedingungen

Ziel der Reise war ein Besuch beim ausgewanderten ältesten Sohn Karl, Konditor in Huntsville, Alabama. Laut Fritz ist allerdings unbekannt, wie Schlack sich dafür beurlauben lassen konnte und woher er das nötige Geld hatte. Am 1. Juni 1837 brach der Schulmeister mit seinem Sohn Herrmann zu Fuß auf. Mit der Postkutsche durchquerten sie Frankreich, kamen nach Paris und fuhren mit einem Schiff auf der Seine zum Atlantikhafen Le Havre. Dort ekelten sie sich vor unzumutbaren hygienischen Zuständen, da es keine Toiletten gab.

Ab 18. Juni überquerten sie schließlich den Atlantik auf dem Segelschiff „Louis Philippe“ in fünf Wochen mit rund 400 Passagieren unter unkomfortablen Bedingungen in einer winzigen Kabine bei schlechter Verpflegung und Hygiene. Nach der Ankunft in New York am 25. Juli mussten sie zuerst eine ärztliche Untersuchung und strenge Kontrollen überstehen. Dann reisten sie mit Postkutschen und Dampfwagen, Flussschaufelraddampfern und per Eisenbahn auf neuen Strecken. Die kleinen Dampfloks hatten öfter technische Probleme und Mühe, etliche Waggons mit rund 400 Reisenden zu ziehen, so Manfred Schurr.

Manfred Schurr (links) und Gerhard Fritz haben in Murrhardt das Tagebuch von Matthäus Schlack präsentiert. Foto: Elisabeth Klaper

Manfred Schurr (links) und Gerhard Fritz haben in Murrhardt das Tagebuch von Matthäus Schlack präsentiert. Foto: Elisabeth Klaper

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Nach einem Ausflug zu den Niagarafällen durchquerten die Reisenden etliche Oststaaten, sahen dabei verschiedene Städte wie Detroit, Pittsburgh oder Cincinnati und begegneten schließlich Karl in Tuscumbia, Alabama. Sie trafen begeisterte, aber auch enttäuschte Ausgewanderte aus Württemberg, waren beeindruckt vom technischen Fortschritt, bekamen allerdings einen schlechten Eindruck von Lebenswandel und Moral der Amerikaner. Detailgenau und realistisch schilderte Schlack, was ihm auffiel: „Geld bestimmt alles“ und „Halsabschneider“ nahmen ahnungslose Auswanderer aus.

Irritiert war der Schulmeister von übertriebener Frömmigkeit mit weinenden, aber weder bibelfesten noch theologisch ausgebildeten Predigern, vielen Glaubensgemeinschaften, aber auch von Atheismus und Verspottung der Religion. Schockiert war er darüber, dass es keine Schulpflicht gab, sodass ein Großteil der Bevölkerung ungebildet blieb, mit schwerwiegenden Folgen. „Wer am lautesten schreit, findet die meisten Anhänger“, egal ob derjenige dummes Zeug schwätze: Das kommt uns heute noch bekannt vor.

Bei Theater- und Konzertbesuchen ärgerte sich Schlack über schlechte Darbietungen und lautes, undiszipliniertes Publikum. Ebenso über Ärzte, die sich „Doktor“ nannten, aber Quacksalber ohne Medizinstudium waren und versuchten, Kranke mit Zaubergebeten zu heilen. Erschüttert war er von hoher Gewaltkriminalität und brutaler Justiz mit öffentlichen Hinrichtungen und unfähigen Scharfrichtern. Denn im damaligen Königreich Württemberg gab es nur äußerst selten Hinrichtungen, ab den 1850er-Jahren nicht öffentlich in Gefängnissen, so der Historiker.

Heftige Kritik an Sklaverei und schlechtem Schulsystem

Am meisten entsetzt war der Schulmeister aber über die Sklaverei, die er scharf kritisierte und ablehnte. Ebenso auch über die Vertreibung der Ureinwohner, für die er große Sympathien hegte: „So kann man mit Menschen nicht umgehen!“ Darum fiel Matthäus Schlacks Urteil über die USA negativ aus: Er sah sie als unmenschliche, rücksichtslose Scheindemokratie ohne Sozialsystem, nicht als das idealisierte Land von Freiheit und Demokratie. Mit einem ordentlichen Schulsystem gäbe es dies alles so nicht. Dennoch blieb sein Sohn Herrmann bei seinem Bruder Karl in Alabama.

Buch Die Reise des Matthäus Schlack durch die US-Staaten 1837/38. Eindrücke eines Württembergers in der Neuen Welt, Historegio Band 14. Herausgegeben von Gerhard Fritz, Hans Kunz und Manfred Schurr. Verlag Manfred Hennecke, Remshalden 2024, ISBN 978-3-948138-15-8, 14,80 Euro. Leider ist das Buch fast vergriffen und nur direkt beim Verlag erhältlich unter www.verlag-hennecke.de.

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Erstellt:
24. Juni 2024, 06:00 Uhr

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