Nach 100 Jahren wieder zurück

Die Europäische Sumpfschildkröte galt in Stuttgart und Umgebung als ausgestorben, doch nun wurden einige am Pfaffensee gesichtet.

Wieder entdeckt: eine Europäische Sumpfschildkröte am Stuttgarter Pfaffensee

© /Christopher Paul

Wieder entdeckt: eine Europäische Sumpfschildkröte am Stuttgarter Pfaffensee

Von Armin Friedl

Stuttgart - Das kennt man auch aus der Modewelt: Es sind oft unwesentlich scheinende Details, die jedoch maßgeblich sind, ob etwas als außergewöhnlich wahrgenommen wird. In der Welt der Schildkröten scheint es genauso zu sein: Schildkröten mit gelben Streifen sind Schmuckschildkröten, die es hier nach Expertenmeinung reichlich gibt. Aber Schildkröten mit gelben Punkten sind etwas Besonderes: Es handelt sich um die Europäische Sumpfschildkröte, und die wurde in Stuttgart und drum herum zum letzten Mal vor 100 Jahren beobachtet.

Und jetzt eben wieder. Unser Leser Christopher Paul berichtet: „Im April dieses Jahres machte ich eine Reihe Fotos von den Tieren am Pfaffensee. Später fiel mir auf, dass es zwei unterschiedliche Arten von Schildkröten gibt: Die einen haben gelbe Streifen, und die anderen, wesentlich selteneren, gelbe Punkte.“ Spätestens zu dem Zeitpunkt war das Experteninteresse geweckt: „Ich fragte mich, ob es sich hierbei um die Europäische Sumpfschildkröte handeln könnte, also eine heimische Art, die in unserer Region als ausgestorben gilt.“ Paul wendete sich an den Naturschutzbund, „und die waren ziemlich begeistert“, erzählt er. Um auf Nummer sicher zu gehen, sei Rücksprache gehalten worden mit der Unteren Naturschutzbehörde. Im Mai erhielt Paul die Antwort, es handle sich um den „ersten fotografischen Nachweis einer Europäischen Sumpfschildkröte in Stuttgart“.

Auch BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer freut sich über die Neu-Stuttgarter und gibt gleich ein paar Tipps, was sie brauchen, um sich wohlzufühlen: „Ruheplätze mit viel Sonne“. Jene ins Wasser gestürzten Bäume, die in den drei Seen am Bärenschlössle zum Teil liegen bleiben, sind solch gefragte Sonnenbänke. Pfeifer hält es für nötig, dass komplette Uferbereiche abgesperrt werden für Besucher, auch an jenen Tagen, an denen karawanengleich die Spaziergänger um die Seen ziehen. „Ein Schutzgebiet wie am Max-Eyth-See, das wäre eine feine Sache“, sagt Pfeifer. Oder es gibt einige unzugängliche Ecken wie am Feuersee.

Aber es bleiben Fragen offen: Können sich die neuen Bewohner überhaupt durchsetzen gegenüber den Schildkröten, die es hier schon lange gibt? Nach gut hundert Jahren Abwesenheit fehlen Erfahrungswerte. Und sind das überhaupt Tiere, die frei lebend geboren und aufgewachsen sind? Oder sind es, wie die anderen Schildkröten in dieser Gegend, Tiere aus Züchtungen, die ausgesetzt wurden? – „Diese Frage kann letztlich nur eine Genanalyse beantworten“, sagt Pfeifer. Allerdings werden Genproben üblicherweise erst am toten Tier vorgenommen, um bei frei lebenden Tieren unnötigen Stress zu vermeiden. „Und Europäische Sumpfschildkröten können bis zu 100 Jahre alt werden“, erzählt Pfeifer.

Bleibt die Frage, warum die Tiere überhaupt hierhergekommen sind und von wo, vorausgesetzt, es handelt sich hier um Wildtiere. Pfeifer gibt zu bedenken: „Stuttgart und Umgebung waren eigentlich nie so wirklich ausgeprägte Gebiete für Frösche, Schlangen oder Kröten. Denn hier gab es noch nie so viele Sümpfe, Teiche und Seen wie etwa in Oberschwaben. Und da gibt es heute noch nachweislich einige Kolonien von frei lebenden Europäischen Sumpfschildkröten.“ Und die Feuchtgebiete, die es mal hier gegeben hat, sind schon längst trockengelegt worden.

Und wie hat es dann eine Sumpfschildkröte überhaupt geschafft von Oberschwaben nach Stuttgart? „Es wurde schon beobachtet, dass sich im Gefieder von Graugänsen Kleinsttiere verfangen. Und die Schildkröten legen ja ihre Eier im Sand ab, wo sich auch die Gänse gerne aufhalten.“

Dass sich so eine winzige Schildkröte mal im Gefieder einer Graugans verfängt, die dann von Oberschwaben nach Stuttgart zum Bärenschlössle fliegt und den Winzling dort wieder verliert, das klingt doch recht wahrscheinlich.

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Erstellt:
10. September 2024, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
11. September 2024, 21:55 Uhr

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