Nachsorge nach dem Amokfehlalarm an Murrhardter Schulzentrum

Kinder, Jugendliche und die Lehrerkollegien der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule sind nun mit der Aufarbeitung des Erlebten befasst. Neben dem Team der Schulsozialarbeit unterstützen geschulte Fachkräfte vor Ort sowie weitere Ansprechpartner die Betroffenen.

Nach dem erschreckenden Szenario, bei dem erst nach anderthalb Stunden ein Amokfehlalarm festgestellt werden konnte, heißt es jetzt für die Einzelnen das Erlebte zu verarbeiten. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Nach dem erschreckenden Szenario, bei dem erst nach anderthalb Stunden ein Amokfehlalarm festgestellt werden konnte, heißt es jetzt für die Einzelnen das Erlebte zu verarbeiten. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Margit Körner und Achim Strack von der Schulsozialarbeit an der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule in Murrhardt haben noch am Vorabend und schon früh am Morgen alles vorbereitet, damit sie am Mittwochvormittag Schülerinnen und Schüler, Mitglieder der Lehrerkollegien sowie Eltern in ihren Räumen empfangen und Gespräche anbieten können – nach dem Amokfehlalarm am Dienstagvormittag. Getränke und Obst stehen bereit sowie Bastel- und Malmaterial, mit dem gearbeitet werden kann. Außerdem sind Carmen Köble vom Notfallnachsorgedienst des DRK sowie Friedmar Probst und Achim Bellmann, der auch Pfarrer in Murrhardt ist, als kirchliche Notfallseelsorger mit von der Partie, um zu unterstützen. „Die Kinder erzählen, dass sie Angst hatten. Es war ja anderthalb Stunden nicht klar, was los war“, sagt Bellmann. Hinzu kamen die Hitze und stickige Luft in den Klassenzimmern, weil die Fenster nicht geöffnet werden durften. Gleichzeitig hat er den Eindruck, „dass die Schüler sehr aufeinander geachtet haben“. Auch wenn es möglicherweise seine Zeit braucht, bis die Emotionen abklingen, erinnert er die Kinder, mit denen er spricht, daran, dass sie nun auch wissen, was zu tun ist, wenn es ernst wird, sich also eine Kompetenz erarbeitet haben. Und der Seelsorger ermuntert sie dazu, sich auch untereinander zu unterstützen und bei Bedarf weiter über das Erlebte zu sprechen.

Nicht selten sind es kleinere oder auch größere Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die mal alleine, mal auch mit ihren Lehrerinnen oder Lehrern das Angebot nutzen und sich in der Schulsozialarbeit einfinden. „Es ist richtig gut, dass wir Hilfe von den fachlich ausgebildeten Kräften haben“, sagt Margit Körner, was ihr Kollege Achim Strack später absolut unterstreicht. Die Nachbetreuung gestalten die beiden vergleichsweise offen, wobei ihr Pfund die Beziehung zu vielen Schülerinnen und Schülern ist. „Ich finde, dass viele Kids sehr reflektiert mit der Situation und dem Erlebten umgehen“, sagt Strack. Wenn er dann höre, dass Einzelne sich noch nicht so gut in Form fühlen, verweist er auch mal gerne auf sich selbst. Auch ihm steckt der Dienstag noch in den Knochen. Mit Blick auf den Alarm und die Situation, die er selbst in einem Klassenzimmer miterlebt hat, sagt er: „Die Kinder haben das großartig gemacht.“

Rektorin Martina Mayer zollt Schülern und Kollegen großen Respekt

Diesen Aspekt betont auch Martina Mayer, Leiterin der Walterichschule, die ebenfalls vorbeischaut, ganz besonders. Sie hat sich in einer ersten Informationsnachricht an die Eltern für das vorbildliche Verhalten der Schülerinnen und Schüler bedankt. „Das war anderthalb Stunden Höchstleistung“, sagt sie, was die Einsatzleitung der Polizei nach ihrem Kontrollgang durch das Schulhaus ebenfalls bestätigt habe, so still wie es gewesen sei.

Trotzdem verarbeitet jeder den Vorfall anders, egal ob Schüler, Lehrer oder Eltern. „Heute fällt auf, dass viele Kinder fehlen, und das macht mir etwas Sorge“, sagt sie, da auch die Frage sei, wie die Einzelnen wieder in einen geregelten Alltag zurückfinden könnten. Sie werde möglichst bald noch mal alle Eltern über die Möglichkeiten der Nachbetreuung – akut bis hin zu nachgelagert durch die Schulpsychologische Beratungsstelle Backnang – informieren. Dabei gehe es auch darum, für Anzeichen in Bezug auf ein mögliches Trauma zu sensibilisieren. „Das zeigt sich nicht immer sofort, manchmal auch erst in zwei Wochen oder wenn eine weitere Belastung dazukommt.“

In der Runde wird besprochen, ob die Schulsozialarbeit weitere Tage anbieten kann, an denen die Tür für Gespräche und Nachbearbeitung offen steht. Manchmal werden auch eigene Formen gefunden – Martina Mayer erzählt von Zehntklässlern, die bewusst zusammen einen Stadtrundgang bei einem guten Eis gemacht haben, oder von einer 2. Klasse, die sich einen gemütlichen Platz im Zimmer eingerichtet hat. Klassenarbeiten, die am Mittwoch anstanden, wurden verschoben. Die Verarbeitung werde noch Zeit in Anspruch nehmen – inklusive der teils physisch und psychisch schwierigen Situation in den Klassenzimmern. Mit Blick auf ihre Kolleginnen und Kollegen sagt sie: „Alle haben die eigenen Bedürfnisse hintangestellt und funktioniert, damit die Kinder bestmöglichst aus der Situation herauskommen.“

Carsten Gehring, Rektor der Herzog-Christoph-Schule, berichtet, dass er die Begleitung bereits vorgestern als sehr unterstützend wahrgenommen hat. Die Notfallseelsorger hätten in jeder Klasse nachgefragt, ob noch Betreuung benötigt werde. Da sich ein Teil der Schüler im Schullandheim und auf einer Exkursion befand, waren zum Zeitpunkt des Alarms etwas weniger Kinder und Jugendliche der Schule – rund 45 – vor Ort.

Aktuelle und weitergehende Begleitung für die Betroffenen

Seinem Kollegium ist er dankbar für die Besonnenheit, mit der die Pädagogen trotz Hitze und stickiger Luft in den Räumen mit den Kindern und Jugendlichen ausgeharrt haben. Und er erinnert sich an eine Szene, die Anteilnahme und Begleitung im weitesten Sinne von weiteren Mitmenschen widerspiegelt: die Taxifahrerin, die Schüler in eine Nachbargemeinde nach Hause gebracht und die Kinder spontan in den Arm genommen hat.

Carsten Gehring hat die Eltern genauso wie Kollegen zum Angebot der Schulsozialarbeit informiert und ist froh, auch auf die Unterstützung der Schulpsychologischen Beratungsstelle zählen zu können. „Heute sind aber nicht auffällig weniger Schüler gekommen“, sagt er.

Gestartet sei man in den Klassen mit einem Stuhlkreis, sodass über das Erlebte gesprochen werden konnte. „Im Grunde ist es leichter, wenn ein Kind offen sagt, dass es Angst hat“, erläutert Gehring, schwieriger werde es, wenn man dies nur vermute. Dann ließe sich womöglich eine Annäherung beispielsweise über Malangebote erreichen. Die Rückmeldung der Elternvertreterin sei mit Blick auf den Dienstag aber sehr gut gewesen, was Kontakt, Handling und Information anbelangt. „Und wir werden uns vom Krisenteam der beiden Schulen auch zeitnah zusammensetzen, um uns zu besprechen.“

Möglicherweise hat die Überhitzung der Anlage zum Fehlalarm geführt

Ablaufbewertung In einer ersten Nachschau auf den Amokfehlalarm und die Frage einer Bewertung sagt Bürgermeister Armin Mößner: „Gut gelaufen ist, dass sich die Schulen vorbildlich entsprechend der Amokpläne verhalten haben. Die Polizei war schnell vor Ort, konnte den näheren Umkreis abriegeln und die Gebäude durchsuchen. Die Zusammenarbeit mit den Blaulichtorganisationen im Einsatzstab funktionierte sehr gut.“ Verbessert werden könnte, während des Einsatzes und im Anschluss einen zentralen Platz für Informationen und die Zusammenführung von Eltern und Kindern zur Verfügung zu stellen. Dies setze aber eine entsprechende Anzahl an Einsatzkräften voraus. Als diese am Dienstag zur Verfügung standen, konnte auch bereits Entwarnung gegeben werden. „Wir haben anschließend in der Festhalle einen solchen Treffpunkt eingerichtet.“ Auch wenn es eine Durchsage in Halle und Schule gab, machten sich viele Eltern in Richtung Schule auf, um ihre Kinder in Empfang zu nehmen. Dies hätte ein Stück weit geordneter ablaufen können. Mößner hat aber größtes Verständnis für die Lage und das Bedürfnis der Eltern, die Kinder in die Arme zu schließen. Die Räumung der Gebäude durch Polizei und DRK sei ruhig und kontrolliert erfolgt.

Alarmanlage In der Walterich- und Herzog-Christoph-Schule sowie im Heinrich-von-Zügel-Gymnasium sind Alarmanlagen des Typs ELA (Elektroakustische Anlage) / SAA (Sprachalarmanlage) / EVAC (Sprachalarmierungsanlage) in Betrieb – seit 2007/2008. Diese werden von einer Fachfirma zweimal jährlich gewartet. 2020 wurden die Anlagen mit dem Amokalarm nachgerüstet. Zur Anlage gehören auch sogenannte Melder, die sich manuell betätigen lassen.

Mögliche Ursache Nach dem Fehlalarm kam die betreuende Fachfirma vor Ort und überprüfte die Anlage. Es wurde festgestellt, dass beim „Voice Alarm Controller“ die Lüftung defekt war und nicht mehr lief. Die Temperatur des Geräts war extrem hoch, sodass vermutet wird, dass diese Überhitzung zum Fehler und zur Aktivierung des Amokalarms geführt hat. Ein Durchsagefehler wurde angezeigt. Der Alarm war wohl recht leise und wurde auch nur zwei Mal abgespielt, hinterlegt ist eine dreifache Abspielung in deutlich und gut zu verstehender Lautstärke, erläutert Mößner.

Zum Artikel

Erstellt:
22. Juni 2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

„Es darf nie wieder geschehen“

Heinz-Georg Kowalski aus Murrhardt hat das Ende des Zweiten Weltkriegs als Kind in der Nähe von Torgau erlebt, wo Russen und Amerikaner am 25. April 1945 aufeinandertrafen. Seine drei Brüder verloren im Krieg ihr Leben. Als Zeitzeuge fühlt er sich in der Verantwortung.

Murrhardt und Umgebung

Wie sich Murrhardt für die Zukunft aufstellt

Der Murrhardter Gemeinderat hat sich in seiner Klausurtagung mit zentralen Themen auseinandergesetzt, die künftig angegangen werden sollen. Grundlage ist nun ein fortgeschriebenes Stadtentwicklungskonzept, das für die kommenden Jahre als Kompass dienen soll.

Murrhardt und Umgebung

Vereinstreue und Gesangskraft: Der Liederkranz wächst wieder

Der Murrhardter Verein mit seinem Chor Da Capo sieht sich auf gutem Weg. Bei der Mitgliederversammlung werden langjährige Mitglieder geehrt, bei den Wahlen treten viele wieder an.