Regierungsbildung
Nationalisten führen Regierung in Belgien an
Nach fast acht Monaten Verhandlungen steht eine Koalition. Erwartet wird ein konsequenter Abbau der Staatsschulden. Gerätselt wird über den Einfluss der Rechten.
Von Knut Krohn
Am Ende ging alles überraschend schnell. Nach 236 zähen, bisweilen dramatischen Verhandlungstagen hat Belgien eine neue Regierung. In der Nacht auf Samstag fuhr der zukünftige Premierminister Bart De Wever beim belgischen König Philippe im Palast vor und überbrachte ihm die Nachricht des Erfolges. Dem Rest der Welt verkündete der 54-Jährige die Einigung mit einem Foto auf dem Kurznachrichtendienst „X“ (ehemals Twitter). „Alea iacta est“ („Der Würfel ist gefallen“), titelt er erleichtert.
Eine Arizona-Koalition aus fünf Parteien
Die national-konservative N-VA wird gemeinsam mit der liberalen Partei MR aus der französischsprachigen Wallonie, den Christdemokraten aus beiden Landesteilen (Les Engagés und CD&V) sowie den flämischen Sozialdemokraten (Vooruit) eine sogenannte Arizona-Koalition eingehen. Der Name ergibt sich aus den Farben der Parteien, die mit denen der Flagge des US-Bundesstaates übereinstimmen
Die Parteien haben sich am Ende nicht nur gegenseitig massiv unter Druck gesetzt. In Umfragen kam immer offener die Ungeduld der Wähler zum Ausdruck. Über die Hälfte von ihnen sprach sich schließlich dafür aus, dass es in Zukunft zwingend zu Neuwahlen kommen muss, sollte nach einem halben Jahr keine Regierung stehen. Der Ärger der Belgier ist verständlich, denn sie sind in Sachen Koalitionsverhandlungen leidgeprüft. Nach der Wahl 2019 stand die Regierung in Brüssel erst nach 493 Tagen. 2010 vergingen zwischen dem Wahltag und der Vereidigung der neuen Koalition sogar 541 Tage. Nicht nur Spötter behaupten, dass das Land von der damaligen Expertenregierungen aus Beamten und anderen Fachleuten noch nie so gut verwaltet worden sei.
Erwartet werden drastische Reformen
Dabei wiesen die Zeichen dieses Mal auf eine schnelle Einigung. Bei den Wahlen im Juni hatten sich in den beiden traditionell rivalisierenden Landesteilen zum ersten Mal Parteien durchgesetzt, die politisch auf einer Wellenlänge liegen. In Flandern gewann die national-konservative N-VA, in der Wallonie die Liberalen. Ziel beider Parteien ist den Abbau der horrenden Schuldenlast Belgiens – auch durch tiefe Einschnitte in den seit Jahren ausufernden Sozialstaat. Auf diese Weise soll die lahmende Wirtschaft wieder auf Trab gebracht werden.
Bereits im November schien eine Einigung zum Greifen nahe, dann aber sprangen die flämischen Sozialdemokraten ab. Sie wollten etwa eine höhere Besteuerung von Superreichen. Die Partei Vooruit ist nun zwar wieder an Bord, dennoch wird erwartet, dass auch sie sich nicht den von Bart de Wever angekündigten drastischen Reformen widersetzen wird.
Ein Separatist mit Verantwort für ganz Belgien
Belgien ist nun ein weiter EU-Staat, der von einer rechten Regierungskoalition angeführt wird. Die flämischen Nationalisten werden in der Arizona-Koalition allerdings von den vier anderen Mitte-Parteien ausgebremst. Ein drastischer Rechtsruck ist also kaum zu erwarten. Der Erfolg der Koalition wird vor allem vom Geschick Bart de Wevers abhängen, der als N-VA-Chef über Jahre immer lautstark für die Unabhängigkeit von Flandern kämpfte. Nun wird er die Verantwortung für ganz Belgien übernehmen müssen.