Hybride Bedrohungen
Nato befürchtet neue schwere Sabotageakte und Cyberangriffe
Das Ausmaß der Schäden durch russische oder chinesische Angriffe auf Infrastruktur in Nato-Ländern nimmt langsam aber stetig zu. Das Bündnis reagiert nun.
Von Von Ansgar Haase, dpa
Brüssel - Die Nato befürchtet neue schwere Sabotageakte und Cyberangriffe auf das Bündnisgebiet und hat deswegen weitere Abwehrmaßnahmen beschlossen. "Wir beobachten, dass insbesondere Russlands Bereitschaft zunimmt, in unseren Ländern durch Sabotage physischen Schaden anzurichten und Menschenleben zu gefährden", sagte ein ranghoher Beamter am Rande eines Nato-Außenministertreffens in Brüssel. Bei Cyberangriffen seien zudem auch China, der Iran und Nordkorea aktiv.
So führten Chinesen wie auch Russland eine andauernde Kampagne zur Verbreitung von Schadsoftware aus. Dabei gehe es um Spionage, aber auch darum, zu einem beliebigen Zeitpunkt Störungen auslösen zu können. Russland konzentriere sich dabei auf kritische Infrastrukturen und insbesondere auf industrielle Steuerungssysteme, sagte der Beamte.
Zu den neuen, beim Außenministertreffen beschlossenen Abwehrmaßnahmen zählen nach Angaben von Nato-Generalsekretär Mark Rutte ein verstärkter Austausch von Geheimdienstinformationen, mehr Übungen und ein besserer Schutz kritischer Infrastrukturen und eine verbesserte Cyberabwehr. Zur Überwachung von Pipelines und Datenkabeln in der Ostsee soll es nach Angaben der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock unter anderem mehr Patrouillen geben.
Als Beispiele für feindliche Aktivitäten in der Vergangenheit nannte die Grünen-Politikerin das Zerstören von Kabeln, das Stören des globalen Positionsbestimmungssystems GPS sowie einen Vorfall, bei dem jüngst die Besatzung eines russischen Tankers mit Signalmunition versuchte, einen Hubschrauber der Bundeswehr abzuschrecken.
Hacker veröffentlichen vertrauliche Informationen
Der Nato-Beamte berichtete zudem über einen massiven Cyberangriff gegen das Nato-Mitgliedsland Albanien, der wahrscheinlich vom Iran ausgeführt worden sei. Diese habe das Grenzkontrollsystem lahmgelegt und dafür gesorgt, dass alle Dateien des Innenministeriums im Internet veröffentlicht worden seien. "Jede polizeiliche Untersuchung, jede E-Mail zwischen Polizisten, jeder geheime Zeuge, jeder Gerichtsfall und jede Interpol-Akte war publik", erklärte er.
Unterwasserleitungen sind besonders verwundbar
Besonders anfällig für Sabotage ist den Angaben zufolge die Unterwasser-Infrastruktur. "In den Nato-Ländern sind wir auf ein weit verzweigtes Netz von Pipelines und Kabeln angewiesen", sagte der Nato-Beamte mit Blick auf Gas-, Öl- und Datenleitungen. Es gehe um mehr als eine Million Kilometer dieser Infrastruktur, die von Russland über ein bereits vor Jahrzehnten gestartetes Programm kontinuierlich kartiert werde. Teil davon seien auch Schiffe, U-Boote sowie unbemannte und ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge. Die Russen haben demnach die Fähigkeit, "wann immer sie es wünschen" Sprengstoffe anzubringen oder Kabel zu durchtrennen.
Problematisch wird in der Nato auch gesehen, dass es ein Ungleichgewicht in der Verwundbarkeit gibt, weil Russland bei weitem nicht in dem Maße auf solche Infrastruktur angewiesen ist wie die Alliierten.
Von Brandstiftung bis Mordplan
Als weitere, vermutlich von Russland gesteuerte Aktivitäten nannte der Experte Brandstiftungen, die Instrumentalisierung von Flüchtlingen, Attacken auf Bahnlinien und Anschlagsplanungen gegen führende Industrievertreter. So gilt es beispielsweise als wahrscheinlich, dass zeitweise die Ermordung des Vorstandschefs des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger, geplant wurde.
Den Angaben aus der Nato zufolge muss auch damit gerechnet werden, dass Russland großangelegte Programme zur Beeinflussung von Wahlen in Bündnisstaaten startet. Dabei könnte wie zuletzt in Moldau auf die Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen, auf Cyberattacken oder Stimmenkäufe gesetzt werden. Bei all dem handele es sich um eine organisierte Kampagne, sagte der Beamte.
Nach Einschätzung des Experten ist es höchste Zeit, dass gehandelt wird. Man habe das Problem, dass man sich daran gewöhnt habe, dass die hybriden Angriffe stetig intensiver und häufiger werden, sagte er. Folge sei, dass man lange nicht angemessen reagiert habe.
Zuletzt waren im November innerhalb kurzer Zeit Schäden an zwei Glasfaserkabeln in der Ostsee aufgetreten. Dabei handelte es sich um ein Kabel, das zwischen Schweden und Litauen verläuft sowie eins zwischen Finnland und Deutschland. Die Ursache dafür ist in beiden Fällen noch unklar. Die schwedischen Behörden ermitteln wegen möglicher Sabotage. Der Fokus der Ermittler liegt auf einem chinesischen Schiff mit dem Namen "Yi Peng 3", das zum fraglichen Zeitpunkt die betroffenen Stellen der Kabel passiert haben soll.