Neue Funde zur Stadt- und Sozialgeschichte

Die Archäologin Aline Kottmann und ihr Mitarbeiter Reinhold Feigel informieren beim jüngsten Geschichtstreff über die Ergebnisse von Untergrunduntersuchungen aufgrund von Bauarbeiten von 2019 bis 2023 in der Murrhardter Innenstadt.

Der Siegelring der Murrhardter Bäckerzunft zeigt eine Brezel und einen Doppelwecken sowie die Initialen MSP. Foto: Landesamt für Denkmalpflege

© Elisabeth Klaper

Der Siegelring der Murrhardter Bäckerzunft zeigt eine Brezel und einen Doppelwecken sowie die Initialen MSP. Foto: Landesamt für Denkmalpflege

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Archäologische Untersuchungen sind oft mühsam, da sie meist unter Zeitdruck bei Bauarbeiten in überbauten Siedlungsgebieten erfolgen müssen, so auch in der Murrhardter Innenstadt. Dies zeigte der spannende Vortrag „Ein Blick in Murrhardts Untergrund“ über neue Funde und Erkenntnisse von 2019 bis 2023. Er lockte viele Interessierte zum jüngsten Geschichtstreff des Geschichtsvereins Murrhardt und Umgebung und des Carl-Schweizer-Museums in dessen Medienraum. Aline Kottmann, seit 2018 Gebietsreferentin für Mittelalterarchäologie, und ihre „rechte Hand“ Diplom-Ingenieur Reinhold Feigel, ehrenamtlich beauftragter Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege, stellten entdeckte „kleine Puzzleteile“ zur Stadt- und Sozialgeschichte vor. Sie arbeiteten zusammen mit der Familie Schweizer, dem Geschichtsvereinsvorsitzenden Andreas Kozlik, Stadtverwaltung und Stadtwerken, Baufirmen und Bauherren.

Vor Ort war es meist Feigel, der die Bauarbeiten begleitete und dokumentierte. 2019 fand man bei Kanalarbeiten mitten im Klosterhof zufällig eine Latrine, teils glasierte und bemalte Teile von Töpfen aus dem 17./18. Jahrhundert, doch ist unbekannt, welches Gebäude dort stand. 2020 wurde ein Haus nach einem Brand in der Oberen Schulgasse abgerissen und die Bodenplatte entfernt. Unter Bauschutt verbargen sich Keramikscherben von Ofenkacheln und Töpfen vom 13. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber: „Entgegen den amtlichen Auflagen“ erfolgten Bauarbeiten für einen Keller und Fundamente, sodass keine archäologische Untersuchung tieferer Schichten mehr möglich war, bedauert der Mitarbeiter.

Ein Siegelring der Bäckerzunftund Wirtshausinventar

2021/22, beim Nahwärmeausbau in der Helmut-Götz-Straße, kam ein Siegelring aus Buntmetall ans Licht, gefertigt im 16. oder 17. Jahrhundert. Er trägt das Zeichen der Murrhardter Bäckerzunft, eine Brezel und einen Doppelwecken, sowie die Initialen MSP. Sie stehen wohl für Melchior Schwarz oder dessen Sohn Martin Schwarz sowie Pistor, lateinisch für Bäcker, vermutet Kozlik. Ein Bäcker, der Zunftmeister war, ließ wohl den Siegelring mit seinen Initialen herstellen, nimmt Historiker Gerhard Fritz an. Der Ring lag offenbar im Schutt des Stadtbrands 1765, den man auf dem damals noch unbebauten Areal verteilte, ergänzt Heimatgeschichtsforscher Christian Schweizer.

2022 wurde ein Haus in der Bahnhofstraße nach einem Brand abgerissen: Darunter traten ein Ende des 19. Jahrhunderts gebauter Graben zur Entwässerung des Bahnhofsvorplatzes und ein teils verfüllter Brunnen zutage. Darin lag „ein Haufen Abfall“, allerlei „Wirtshausinventar“ von einer dort um 1900 bestehenden Gaststätte, so Feigel. Die meisten und interessantesten „Puzzleteile“ entdeckte er bei den Bauarbeiten zur Umgestaltung der ehemaligen Gaststätte und Metzgerei „Rose“ in der Helfergasse.

Im Mai 2022 gab es einen ungenehmigten Eingriff im Bereich eines alten Gewölbekellers, doch später waren Baufirma und Bauherr kooperativ. Eine schwarze Schicht aus zähem Sumpflehm, entstanden aus Pflanzenmaterial, entpuppte sich als Rest eines etwa 6,8 Meter breiten und 2,8 Meter tiefen Spitzgrabens. Er verlief parallel zur ehemaligen Klostermauer, wie historische Stadtpläne zeigen. Darin fand Feigel Überreste mittelalterlicher Keramik aus dem 11. bis 13. Jahrhundert, darunter den Fuß eines Leuchters aus hochwertiger Buocher Ware, sowie auf langsam drehender Töpferscheibe gefertigte Gefäße.

Enttäuschende Ausbeute bei der Verlegung der Nahwärmeleitungen

Historiker Fritz wies auf den Zusammenhang mit der Stadtgründung 1287/88 hin: Danach versumpfte und lief der Graben wohl zu und man überbaute ihn. In einem nicht unterkellerten Bereich entdeckte der Mitarbeiter Reste römischer Terra-Sigillata-Keramik, darunter den Fuß eines Räuchergefäßes aus der Zivilsiedlung vicus murrensis. Erst vor Kurzem, im Sommer 2023, verlegten die Stadtwerke Nahwärmeleitungen zwischen dem Amtshaus Klosterhof und dem Naturparkzentrum. Doch entgegen mancher Erwartungen, dort auf Spuren von Gebäuden im einstigen Klosterareal zu stoßen, kamen lediglich Teile einer Mauer hervor, die vermutlich zur Umfriedung des ehemaligen Klostergartens gehörten.

Zudem fand man einen Brunnen hinter dem ehemaligen Kameralamt sowie Reste der Lateinschultoilette. „Jedes kleine Teil ist wichtig“, betonte Aline Kottmann auf Nachfrage: Alle Scherben werden gesammelt, gewaschen, beschriftet und im zentralen Fundarchiv in Rastatt aufbewahrt. Bisher gab es nur wenige Gelegenheiten, in den Untergrund der Walterichstadt zu schauen. Darum fand Christian Schweizer es „schlimm“, wenn manche an den Bauarbeiten Beteiligten „nichts sehen wollen“, nicht kooperieren und eigenmächtig Tatsachen schaffen, bevor die Archäologen ihre wichtige Arbeit tun können.

Reinhold Feigel und Aline Kottmann geben bei ihrem Vortrag spannende Einblicke in den Murrhardter Untergrund. Foto: Elisabeth Klaper

© Elisabeth Klaper

Reinhold Feigel und Aline Kottmann geben bei ihrem Vortrag spannende Einblicke in den Murrhardter Untergrund. Foto: Elisabeth Klaper

Landesamt für Denkmalpflege

Einrichtung Das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg ist eine Abteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart mit Sitz in Esslingen am Neckar.

Auftrag Das Landesamt für Denkmalpflege nimmt gemäß Denkmalschutzgesetz die Aufgabe wahr, Denkmale als Zeugnisse vergangener Zeiten und Kulturen insbesondere für kommende Generationen zu erhalten. Dabei geht es nicht nur um die Erfassung und die Dokumentation, sondern auch um die Beratung der jeweiligen Eigentümer und die Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit über die dafür notwendigen Maßnahmen.

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Erstellt:
18. September 2023, 06:00 Uhr

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