Noch ein Bäumchen zu pflanzen, reicht nicht

Förster Jörg Brucklacher beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Wälder angesichts von Klima- und Biodiversitätskrise widerstandsfähiger machen lassen. Seine Analysen sind ernüchternd und seine Vorschläge mahnen, das komplexe System nicht zu unterschätzen.

Der Wald ist ein System mit vielen bekannten genauso wie noch nicht erforschten Wechselwirkungen und als solches gilt es ihn für Jörg Brucklacher auch mit vielen verschiedenen, mehrdimensionalen Strategien zu stützen. Archivfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Der Wald ist ein System mit vielen bekannten genauso wie noch nicht erforschten Wechselwirkungen und als solches gilt es ihn für Jörg Brucklacher auch mit vielen verschiedenen, mehrdimensionalen Strategien zu stützen. Archivfoto: Alexander Becher

Von Christine Schick

Murrhardt. Jörg Brucklacher, der als Förster viel Aufklärungsarbeit unter anderem mit liebevoll gestalteten Vortragsreihen zu Baumartenporträts bei der Volkshochschule (VHS) Murrhardt leistet, schlägt angesichts der Zukunft des Waldes ernste Töne an. Vor dem Hintergrund der Klimakrise ist der Wald als Natursystem Helfer im Kampf gegen die Erderhitzung genauso wie prominentes Opfer.

Bei seinem jüngsten VHS-Vortrag geht Brucklacher der Frage nach, welche Strategien zurzeit in der Forstwirtschaft diskutiert und verfolgt werden, um den Wald zu stützen. Dabei ist ihm die Schwierigkeit des Themas beziehungsweise Müdigkeit in Bezug auf die (künftigen) Horrorszenarien durchaus bewusst: „Viele wollen all das nicht mehr hören. Aber wir müssen uns damit befassen.“ Mittlerweile ist klar, dass die schlimmeren der Prognosen des menschengemachten Klimawandels zutreffen, und ein Umsteuern ist noch nicht wirklich in Sicht. Ein Anstieg der Temperatur hat in der Natur sehr konkrete Auswirkungen. Das Beispiel Brucklachers: Wenn die Apfelblüte sich um zwei Wochen nach vorne verschiebt, haben beispielsweise Insekten, die ihre Eier auf einen bestimmten Zeitpunkt hin legen, damit der Nachwuchs zu fressen hat, ein Problem. Aber eben auch die Bäume als Teil des Gesamtsystems. Dieses ist mit trockeneren Sommermonaten bis hin zu Dürren, mehr Sturmereignissen und mehr Niederschlägen im Winterhalbjahr, in dem sie die Pflanzen allerdings nicht benötigen, sowie einem Abschwächen des Jetstreams mit länger auf einem Gebiet verharrenden Hitze- und Kälteperioden konfrontiert. „Das heißt, im Extremfall kann es auch mal zwei Wochen minus 30 Grad haben, und dann ist uns mit der Pflanzung von Bäumen aus dem Amazonas nicht geholfen“, sagt der Förster, um die Thematik zuzuspitzen.

Die Folgen der aktuellen Veränderungen sind gewaltig und die Lage des Waldes ist nur ein Faktor des mächtigen Gesamtpakets, zu dem Einbußen in der Landwirtschaft und Wirtschaft, Flucht und Migration sowie ökologische Langzeitfolgen inklusive gesundheitlicher Probleme zählen.

Zwar wirkt der Blick in sein Forstrevier rund um den Altenbergturm im nicht allzu weit entfernten Sulzbach-Laufen im Vergleich zu komplett abgestorbenen und abgeholzten Waldhängen im Harz auf den Fotos seiner Präsentation noch idyllisch, aber Jörg Brucklacher macht klar, dass es auf eine kluge Gesamtschau ankommt. Der Borkenkäfer ist nicht nur aufgrund seiner rasanten Vermehrung sowie in Kombination mit Dürre und Hitze ein Problem, sondern auch vor dem Hintergrund von Fichtenmonokulturen, die ab dem 19. Jahrhundert aus wirtschaftlichen Gründen angepflanzt wurden, aber als Gebirgsbäume nicht wirklich zu den tiefer gelegenen Standorten passen. Das rächt sich mit der Erwärmung nun besonders.

Die Forstwirtschaft im Land hat frühauf naturnahe Waldwirtschaft gesetzt

Was lässt sich besser machen? „Wir sind in Baden-Württemberg in Bezug auf eine naturnahe Waldwirtschaft, mit der wir schon in den 1980er-Jahren begonnen haben, schon weiter als anderenorts“, stellt der Förster fest. Oft begegnet ihm die Frage, welche Bäume nun in Zukunft gesetzt werden können und sollen. Doch im übertragenen Sinn einfach noch ein (Apfel-)Bäumchen zu pflanzen, reicht nicht. „Das greift zu kurz, es bedarf komplexerer Strategien.“

Die Suche nach klimaresilienteren Bäumen ist nur eine bedingt aussichtsreiche. Brucklacher zeigt anhand von Klimaeignungskarten, die die Temperaturentwicklung bis zum Jahr 2100 berücksichtigen, dass sehr viele Arten der Erwärmung nicht standhalten und jede auch spezifische Vor- und Nachteile wie Schädlinge oder Holzeigenschaften mitbringt. Zudem lenkt er den Blick immer wieder auf das Gesamtsystem: Vogelkirsche, Spitz- und Feldahorn, Heimbuche, Linde und Birke beispielsweise kommen mit dem Klimawandel zwar besser zurecht, trotzdem braucht es in jungen Jahren den Schutz vor dem Wild, für das die Triebe ein besonderer Leckerbissen sind, sprich eine Kontrolle durch die Jagd. „Es gibt nicht den einen Ansatz, einfache Lösungen funktionieren nicht.“

Auch die Evolution ist angesichts des Tempos, das der Klimawandel vorlegt, keine Option. Vergleicht man die klimatischen Veränderungen mit denen vor dem Hintergrund von Vulkanausbrüchen vor rund 250 Millionen Jahren, bei denen rund 85 Prozent der Arten ausgestorben sind, sind die aktuellen etwa 14-mal schneller.

Für Brucklacher heißt es, auf möglichst viele Maßnahmen gleichzeitig zu setzen. Zu seinen insgesamt sieben Strategien gehören beispielsweise eine Vitalisierung des Waldes durch Mischung der Baumarten. Gut sind vier bis fünf, noch besser zehn verschiedene Arten sowie ganz unterschiedlich alte Bäume, so der Fachmann. Neben einer Pflege, die den Jungbäumen mehr Luft, sprich mehr Ausdehnungsfläche, lässt, setzt der Förster auch auf eine Stärkung des Ökosystems Wald. Viele der Tier- und Pflanzenarten leben im Verborgenen wie Pilze und bilden ein komplexes Netzwerk. In Bezug auf den Borkenkäfer ist es beispielsweise ratsam, dem Specht den roten Teppich auszurollen, genauso wie Totholz bewusst im Wald zu belassen und es nicht als Brennholz abzuräumen. „Wir müssen dafür sorgen, dass der Wald wieder ein Ökoparadies wird, und sollten nicht allein im Blick haben, was sich aus menschlicher Sicht im Wald nutzen lässt. Was der Assel hilft, hilft auch dem Waldbesitzer“, sagt Brucklacher.

Um den Klimawandel und die weitere Erderwärmung auszubremsen, braucht es vor allem ein Umsteuern der Menschen auf vielen Ebenen und in vielen Lebensbereichen: beim Flugverkehr, beim Autoverkehr (Geschwindigkeit), bei der Ernährung (weniger Fleisch und Milchprodukte) sowie bei der Energie- und Bauwirtschaft.

Holz als nachwachsenden Rohstoff,der Kohlenstoff binden kann, nutzen

Da Holz Kohlenstoff bindet, plädiert Jörg Brucklacher dafür, ihn als neutralen und nachwachsenden Rohstoff zu nutzen. Sich der Schadflächen mit Neupflanzungen anzunehmen, hält er für richtig. Genauso macht er deutlich, dass dem Problem allein durch das Setzen neuer Bäume nicht beizukommen ist – gemessen am CO2-Verbrauch pro Bürgerin und Bürger. Gleichzeitig unterstreicht er, sich auch der Wohltaten einzelner Bäume und damit ihrer Wichtigkeit bewusst zu sein. „Man sollte nicht nur sehen, dass die Dachrinne voller Laub ist, sondern auch daran denken, dass der Baum am Haus im Sommer Schatten spendet.“

Noch ein Bäumchen zu pflanzen, reicht nicht

© Stefan Bossow

Extraversion für Waldbesitzer

Vertiefung Jörg Brucklacher beleuchtet das Thema nochmals ganz speziell für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer. Dieser ausführliche Vortrag findet am 6. Februar von 19 bis 22 Uhr im Casino der Kreissparkasse, Hauptstraße 48, in Murrhardt statt. Der Eintritt am Abend kostet acht Euro, ermäßigt 6,50 Euro. Weitere Infos bei der Volkshochschule Murrhardt unter der Telefonnummer 07192/9358-0 und im Netz unter der Adresse www.vhs-murrhardt.de.

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Erstellt:
11. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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