China: Nationaler Volkskongress
Peking macht die Milliarden locker
Beim Nationalen Volkskongress in China reagiert die Parteiführung mit einem ambitionierten Wirtschaftsprogramm auf US-Präsident Trumps Handelskrieg. Die Märkte reagierten positiv.

© dpa/Andy Wong
Alles folgt einer strengen Choreografie – selbst das Einschenken des Tees.
Von Fabian Kretschmer
Wenn die knapp 3000 Abgeordneten in die Große Halle des Volkes einmarschieren, dann läuft vor den Augen der auf der oberen Tribüne sitzenden Journalisten ein bis ins letzte Detail durchchoreografiertes Ritual ab: Die Abstände zwischen den obligatorischen Teetassen der Parteikader sind bis auf den Zentimeter vorbestimmt, geklatscht wird stets unisono, und in den Reden hat die Partei stets auf alle Probleme die korrekte Antwort parat. „Alle harten Schwierigkeiten wurden überwunden“, sagte Premierminister Li Qiang gleich zu Beginn seines von Unternehmern und Investoren mit Spannung erwarteten Arbeitsberichts, der den Nationalen Volkskongress einläutete.
Doch dabei handelt es sich natürlich um den üblichen Propaganda-Nebel, mit dem die Parteiführung beim wichtigsten Polit-Ereignis im chinesischen Kalenderjahr „positive Energie“ verbreiten möchte. Die wahren Botschaften zwischen den Zeilen zu dechiffrieren, das ist die wahre Kunst aller „Pekingologen“.
Selbst die Veteranen unter den China-Beobachtern behelfen sich mit bisweilen unkonventionellen Methoden, um die Zeichen der Parteiführung zu erkennen. Ein beliebter Gradmesser ist etwa das quantitative Messen von Schlagwörtern: Dass im diesjährigen Arbeitsbericht die Begriffe „Reform“ und „Konsum“ öfter genannt wurden als „Stabilität“ und „Sicherheit“, wird von einigen Experten als Indikator dafür gewertet, dass die Wiederbelebung der Wirtschaft diesmal wirklich oberste Priorität hat.
Tatsächlich lassen sich dafür weitere Belege finden. Denn Li Qiang wartete während seines Arbeitsberichts mit durchaus selbstkritischen Tönen auf. „Das vergangene Jahr war kein gewöhnliches Jahr im Entwicklungsprozess unseres Landes“, sagte Li, der vor seinem Premierministerposten als Parteikader in der Wirtschaftsmetropole Shanghai diente. Doch neben dem „wachsenden Druck von außen“ leide China auch unter „zunehmenden Schwierigkeiten im Innern“. Gemeint sind damit die anhaltende Immobilienkrise, die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie die Schwierigkeit, neben dem herstellenden Gewerbe weitere Wachstumsmotoren zu erschließen.
Ambitionierte Wachstumsziele
Angesichts dieser Schwierigkeiten ist das traditionell beim Nationalen Volkskongress ausgegebene Wachstumsziel für das laufende Jahr durchaus ambitioniert ausgefallen: Wie schon 2024 soll das chinesische Bruttoinlandsprodukt auch 2025 wieder um „rund fünf Prozent“ expandieren.
Natürlich müssen die offiziellen Statistiken aus der Volksrepublik China stets angezweifelt werden, und die wenig übergebliebenen kritischen Ökonomen im Land tun dies auch bis zuletzt. Laut Gao Shanwen ist Chinas Volkswirtschaft tatsächlich „nur“ um rund zwei Prozent gewachsen. Doch nachdem der Analyst es im Januar gewagt hatte, öffentlich Zweifel am Narrativ der Partei zu äußern, verlor er prompt seinen Job beim staatlichen Wertpapierunternehmen SDIC Securities.
Trotz allem ist es durchaus aussagekräftig, dass Premier Li seinem Volk fünf Prozent Wachstum in Aussicht stellt – nur wenige Stunden nachdem Donald Trumps Strafzölle gegen chinesische Produkte in Höhe von zusätzlichen zehn Prozent in Kraft getreten sind.
Untermauert hat Li sein Ziel mit zwei ökonomischen Kennziffern: So möchte die chinesische Regierung das Budgetdefizit für das laufende Jahr auf vier Prozent des BIP erhöhen, was den größten Wert seit Mitte der 1990er darstellt. Ebenfalls sollen mehr Sonderanleihen als im Vorjahr ausgegeben werden. Kurzum: Peking greift erstmals wieder tief in die Taschen, um die Wirtschaft zu beleben.
Hofft Peking auf Deal mit Trump?
Vor allem dürften die Maßnahmen den am Boden liegenden Binnenkonsum beflügeln – sehr zur Freude ausländischer Unternehmen, bei denen der chinesische Markt zuletzt massiv an Attraktivität eingebüßt hat. „Chinas Führung strebt mit dem anvisierten Wachstum nach Kontinuität, womit die Erwartungen deutscher Unternehmen an den Ausgang des Volkskongresses weitestgehend erfüllt sind“, sagt Oliver Oehms von der Deutschen Handelskammer in Nordchina: „Diesmal wurden mehr Impulse zur Stabilisierung der Wirtschaft gesetzt und ein deutlicheres Signal des Anpackens vermittelt.“ Die Märkte reagierten ebenfalls positiv: Der Hongkonger Leitindex Hang Seng stieg am Mittwoch um 2,3 Prozent.
Und vielleicht kann Peking in den kommenden Wochen auch noch auf einen Deal mit Donald Trump hoffen und dadurch einen sich verschärfenden Handelskrieg abwenden. Denn während des Auftakts des Nationalen Volkskongresses hielt der US-Präsident zeitgleich eine polternde Rede vorm Kongress. Doch während der 78-Jährige seine Verbündeten Kanada, Mexiko und Südkorea als Schmarotzer darstellte und für ihre angeblich unfaire Handelspolitik kritisierte, erwähnte er die Volksrepublik China nur am Rande.