Noch höhere Sozialbeiträge?
Pflegeversicherung laut Medienbericht vor dem Kollaps
Die Finanzlage der Pflegeversicherung in Deutschland könnte noch dramatischer sein als bisher bekannt. Wenn sich nichts ändert, könnte schon bald die Zahlungsunfähigkeit drohen. Wie könnte eine Notoperation aussehen? Ein Überblick über die aktuelle finanzielle Schieflage und die Aussichtn für die Zukunft.
Von Markus Brauer
Müssen bald alle mehr in die Soziale Pflegeversicherung (SPV) einzahlen? Und müssen Pflegebedürftige mit ausbleibenden Zahlungen rechnen? Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) ist die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung noch dramatischer als bisher öffentlich bekannt.
Das RND beruft sich dabei auf „Koalitionskreise“. Dort heißt es, die Pflegeversicherung sei nach aktueller Einschätzung der Regierung bereits im Februar zahlungsunfähig, wenn nicht vorher eingegriffen werde. Es gebe bereits Gespräche in der Koalition über eine „Notoperation“, um eine Pleite zu verhindern, hieß es weiter.
Anstieg der Sozialbeiträge wie seit 20 Jahren nicht mehr?
Die von den Krankenkassen bisher prognostizierte Erhöhung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte reiche aber nicht aus. In der Regierung werde vielmehr von einem Bedarf in Höhe von 0,25 bis 0,3 Prozentpunkten ausgegangen.
Zur Begründung werde darauf verwiesen, dass nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 mit einer längeren Phase der Regierungsbildung zu rechnen sei. Deshalb müsse die Erhöhung so ausfallen, dass das Geld mindestens bis zum Frühjahr 2026 ausreiche.
Wie hoch sind aktuell die Beitragssätze zur SPV?
- Seit dem 1. Juli 2023 gilt in der Pflegeversicherung ein allgemeiner Beitragssatz von 3,4 Prozent (vorher: 3,05 Prozent).
- Kinderlose zahlen 4 Prozent (Zuschlag von 0,6 Prozent, zuvor 0,35 Prozent).
- Der Anteil des Arbeitgebers beträgt jeweils 1,7 Prozent (1,2 Prozent in Sachsen).
- Für Personen mit mehr als einem Kind verringert sich der Beitragssatz. Die Abschläge betragen ab dem zweiten bis zum fünften Kind 0,25 Prozentpunkte – je Kind. Maximal kann sich der der Beitragssatz so um 1 Prozentpunkt reduzieren. Berücksichtigt werden Kinder bis zum Ablauf des Monats, in dem sie 25 Jahre alt werden oder geworden wären. Die Abschläge wirken sich nur auf den Arbeitnehmeranteil aus.
Pflege, Krankheit, Beiträge
- Eine Beitragserhöhung von 0,3 Punkten in der Pflege käme noch zu dem in der Krankenversicherung erwarteten Plus von 0,7 Prozentpunkten hinzu. Damit könnten die Sozialbeiträge zum Jahresanfang 2025 so stark steigen wie seit über 20 Jahren nicht mehr.
- Für die Pflegeversicherung gilt die gleiche Beitragsbemessungsgrenze wie für die gesetzliche Krankenversicherung. 2024 liegt diese Einkommensgrenze, bis zu der Einnahmen für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge herangezogen werden, bei 62.100 Euro im Jahr (5175 Euro monatlich).
- Maßgeblich für den zu zahlenden Höchstbetrag zur Pflegeversicherung ist der aktuelle Beitragssatz der SPV. Ab 2024 liegt dieser bei 175,96 Euro monatlich. Für Beihilfeberechtigte in der PPV leitet sich daraus ein Höchstbeitrag von 70,38 Euro pro Monat ab.
Zuschläge sollen Kosten dämpfen
Seit 2022 gibt es neben den Zahlungen der Pflegekasse auch Entlastungszuschläge, die mit einer Reform der Ampel-Koalition zum 1. Januar 2024 erhöht wurden.
- Zuschläge: Der Eigenanteil für die reine Pflege wird damit im ersten Jahr im Heim um 15 statt zuvor 5 Prozent gedrückt, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Hintergrund für den dennoch wachsenden Eigenanteil sind vor allem höhere Personalkosten für Pflegekräfte.
- Kosten Pflege: Den Anstieg der Zuzahlungen konnten die Zuschläge aber nicht voll auffangen, wie die Daten zeigen. Zum Stichtag 1. Juli waren für die reine Pflege im ersten Jahr im Heim im bundesweiten Schnitt nun monatlich 1426 Euro fällig – vor einem Jahr waren es mit dem damals noch niedrigeren Entlastungszuschlag 1295 Euro gewesen.
- Kosten Unterkunft: Teurer wurden der Auswertung zufolge auch Unterkunft und Verpflegung in den Heimen. Zum 1. Juli mussten Bewohnerinnen und Bewohner im Schnitt 955 Euro im Monat dafür bezahlen, nachdem es Mitte 2023 noch 888 Euro gewesen waren.
Sozialabgaben für Gutverdiener sollen steigen
Die Sozialabgaben für Gutverdiener sollen 2025 erneut turnusgemäß steigen. Nach einem Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums von Mitte September sollen die Beitragsbemessungsgrenzen vergleichsweise stark angehoben werden.
Demnach sollen in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig Beiträge fällig werden bis zu einem Monatseinkommen von 8050 Euro. Aktuell liegt der Wert deutlich niedriger und unterscheidet sich zwischen alten und neuen Bundesländern: Im Westen beträgt er 7550 Euro und im Osten 7450 Euro im Monat. Wer mehr verdient, zahlt nur bis zu dieser Grenze Rentenbeiträge. Auf das darüber liegende Einkommen werden keine Beiträge fällig.
Die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung soll demnach auf 5512,50 Euro steigen. Aktuell müssen Gutverdiener Beiträge auf das Einkommen bis 5175 Euro im Monat bezahlen.
Beiträge steigen auf breiter Front
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet für Anfang kommenden Jahres steigende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. „Beim Beitragssatz werden wir wohl einen Anstieg sehen.“
Der allgemeine Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung liegt derzeit bei 14,6 Prozent der Einkünfte, je zur Hälfte getragen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Hinzu kommt der von der Kasse abhängige Zusatzbeitrag. Er liegt laut Bundesgesundheitsministerium im Schnitt dieses Jahr bei 1,7 Prozent. In der Pflegeversicherung liegt der Beitragssatz derzeit bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens, bei Kinderlosen bei 4 Prozent.
Pflegeversicherung erwartet 2024 rote Zahlen
Die Pflegeversicherung erwartet für 2024 wieder rote Zahlen und warnt vor noch wachsenden Finanzrisiken. Im ersten Quartal 2024 habe ein Defizit von 650 Millionen Euro bestanden, sagt Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandschef des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen, der auch die Pflegekassen vertritt.
Im Gesamtjahr wird mit einem Minus von 1,5 Milliarden Euro gerechnet, für 2025 dann von 3,4 Milliarden Euro. Dies entspräche einer Beitragsanhebung von 0,2 Punkten. Kurz nach einer Stabilisierungsaktion der Politik drohen damit schon wieder neue Probleme.
Im vergangenen Jahr hatte die Pflegeversicherung einen Überschuss von 1,79 Milliarden Euro verbucht. Grund waren höhere Einnahmen durch eine Reform der Ampel-Koalition mit einer Beitragsanhebung zum 1. Juli 2023. Die Reform, die auch Entlastungen für Pflegebedürftige festlegt, sollte die Finanzen eigentlich vorerst bis 2025 absichern.
Mehrheit für höheren Zuschuss aus Bundeshaushalt
Einen Zuschuss für die Pflegeversicherung aus dem Bundeshaushalt befürworten 79 Prozent, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab. Eher ablehnend dazu äußerten sich 12 Prozent.
Erhöhungen der Pflegebeiträge stoßen demnach mehrheitlich auf Ablehnung. Ein von der Vorgängerregierung eingeführter Bundeszuschuss von jährlich einer Milliarde Euro war im Zuge der Haushaltssanierung 2024 gestrichen worden.
Info: Darauf sollte man bei Preiserhöhungen im Pflegeheim achten
Preiserhöhung Viele Familien kennen sie also aus eigener Erfahrung: Schreiben, in denen das Pflegeheim Preiserhöhungen ankündigt. Was man darüber wissen muss:
Schriftliche Mitteilung So muss das Pflegeunternehmen schriftlich mitteilen, dass es das Entgelt erhöhen möchte, um welchen Betrag und ab welchem Zeitpunkt.
Begründung Zentral ist aber, dass das Unternehmen diese Erhöhung begründen muss: Dabei muss es der Verbraucherzentrale zufolge die Positionen benennen, für die sich Kostensteigerungen ergeben haben. Die alten und neuen Entgeltbestandteile müssen gegenübergestellt werden. Und: Das Unternehmen muss einen Maßstab angeben, wie die einzelnen Positionen der Kostensteigerung auf die Bewohner umgelegt werden.
Fristgerecht Wirksam ist so eine Mitteilung übrigens auch nur, wenn sie rechtzeitig eintrifft. Betroffene müssen sie spätestens vier Wochen vor dem Tag erhalten, zu dem sie den erhöhten Betrag zahlen sollen, so die Verbraucherzentrale.
Zustimmung verweigern Einer Erhöhung müssen Bewohner zustimmen. Diese Zustimmung können sie jedoch verweigern, wenn die Mitteilung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Die Verbraucherzentrale stellt für diesen Fall einen Musterbrief zur Verfügung. Liegen tatsächlich Fehler vor, kann der Heimbetreiber dann eine korrigierte Mitteilung schicken.
Sonderkündigungsrecht Ist die Erhöhung allerdings korrekt, haben Betroffene keine Möglichkeit, ihre Zustimmung zu verweigern, so die Verbraucherzentrale. Sie müssen also damit leben, dass die Pflege im Heim teurer wird - oder den Platz kündigen. Es gibt nämlich ein Sonderkündigungsrecht zu dem Zeitpunkt, zu dem das Pflegeheim das erhöhte Entgelt verlangt.
Finanzielle Belastung Doch was, wenn die gestiegenen Heimkosten Ihnen langsam finanziell die Luft abschnüren? Dann ist es sinnvoll, sich beraten zu lassen. Denn es gibt Unterstützungsmöglichkeiten wie etwa das Pflegewohngeld oder die sogenannte Hilfe zur Pflege. Was viele zudem nicht wissen: Auch Pflegebedürftige im Heim können Anspruch auf Wohngeld haben.
Beratung Beraten lassen kann man sich beim örtlichen Sozialamt, bei Pflegestützpunkten oder den Verbraucherzentralen (mit dpa/AFP/KNA-Agenturmaterial).