Mia Seeger Preis für Design Stuttgart

Preis und Anerkennung für zwei junge Designer aus Baden-Württemberg

Der Mia Seeger Preis 2024 kürt Gestaltungsideen des Designernachwuchses. Es sind auch Gewinner aus Baden-Württemberg mit überaus lebensbejahenden Produkten darunter.

Kluge und attraktive Sache: Fixierungselemente für Fahrräder in der Straßenbahn. Dafür gab es  eine Anerkennung für den Jungdesigner Felix Stockhausen beim Mia Seeger Preis.

© Felix Stockhausen/Mia Seeger Stiftung

Kluge und attraktive Sache: Fixierungselemente für Fahrräder in der Straßenbahn. Dafür gab es eine Anerkennung für den Jungdesigner Felix Stockhausen beim Mia Seeger Preis.

Von Tomo Pavlovic

Gutes Design kann das Leben lebenswerter machen. Beispielsweise nach einem Schlaganfall. Wer das mal als Angehöriger mitgemacht hat, weiß um die Schwierigkeiten, die diese schwere und leider immer noch so häufig auftretende Erkrankung provoziert. Eine davon betrifft die Lähmungen der feinen Mundmuskulatur. Schlaganfallopfer müssen aus diesem Grund meist Schlucken, Sprechen und das Kauen nochmals lernen und oder zumindest trainieren.

Dafür gibt es die logopädische Behandlung, sie beinhaltet gezielte Übungen und Therapien zur Stärkung der Mundmuskulatur und Verbesserung der Artikulation. Und begleitend dazu soll der Patient zuhause weiter üben, vor allem nach der letzten Therapiesitzung in der logopädischen Praxis. In der Theorie ist das vielleicht so, doch in der Praxis werden die Übungen zuhause gern mal vernachlässigt. Die Defizite belasten schließlich nicht nur die Patienten, sondern auch deren Angehörige und Partner.

Spielerisches Training der Zunge

Diese Unlust beim selbstständigen Training hat die junge Designerin Meret Oppermann von der Muthesius Kunsthochschule in Kiel als weitverbreitetes Phänomen erkannt und daraus für ihre Abschlussarbeit eine Design-Aufgabe definiert. Mit Unterstützung einer logopädischen Praxis entwickelte Oppermann eine Methode, um die Mundmotorik spielerisch zu trainieren.

Nach zahlreichen Modellen und ergonomische Studien fertigte die junge Designerin einen Prototyp von „ORMO“ an, eine Art Joystick für die Zunge und Lippen, die mittels eines Controllers im Mund stimuliert werden. Die Beißschiene kann an unterschiedliche Kiefer angepasst werden. Das Gerät sieht zudem gut aus, macht aus der lästigen Pflicht eine tendenziell angenehme Übung.

Die sechsköpfige Jury des diesjährigen Mia-Seeger-Preises hat diese Idee verständlicherweise begeistert, und so gab es den ersten, mit 3000 Euro des insgesamt mit 10 000 Euro dotierten Preis für „ORMO“ von Meret Oppermann. 128 Einreichungen von 38 Hochschulen wurden gesichtet und bewertet. Die Preise und Anerkennungen sollen laut Stifterin Mia Seeger „mehr als einem“ nützen – also auch möglichst einen gesellschaftlich relevanten, sozialen Charakter haben.

Wie erkennt man Manipulationen im Alltag?

Unter den jeweils drei Preisträgern und Anerkennungen sind auch wieder junge Gestalter aus Baden-Württemberg. So holte Yannik Schäfer von der Dualen Hochschule in Ravensburg den mit 1500 Euro dotierten dritten Preis für seine ironisch-konstruktive Gebrauchsanleitung „Propaganda Nutzen“. Passend zu unserer aufgewühlten Zeit und zersplitterten Medienlandschaft entwickelte Schäfer „ein Handbuch für den Aktenkoffer“ und ein begleitendes digitales Coaching, um Wissbegierigen die gängigen Propagandatechniken zu vermitteln.

Der Zweck? Mit Hilfe des Handbuchs kann man, so Schäfer, beispielsweise leichter in ein politisches Amt gewählt werden. Und umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Wer sich mit der Anleitung beschäftigt, wird künftig, so die Hoffnung des Designers, Manipulationen und Agitationen im Alltag besser erkennen und eventuell abwehren.

Eine Anerkennung erhielt auch die Idee von Julian Oberenzer von der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd. Oberenzers Produkt gehört in den Bereich Medical Design: Mit dem Injektor „SNAB“ kann ein anaphylaktischer Schock rasch verhindert werden, falls unterwegs etwa durch einen Insektenstich eine Notlage entsteht und die Zeit knapp wird.

Der flache Injektor wird vor der Wanderung oder den Sport mittels eines rutschsicheren Neopren-Bandes mit Magnetverschluss am Oberschenkel befestigt, das Teil sieht überaus lässig aus und erinnert eher an ein kleines Smartphone als an eine medizinische Apparatur. Der Vorteil: Bei Bedarf ist Hilfe sofort parat, jeder kann ganz leicht „SNAB“ bedienen und möglicherweise Leben retten.

Auch hier wird deutlich: Gutes Design erfüllt im besten Falle eine soziale Funktion. Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht ein Markenlabel.

Info

AusstellungDie Auszeichnungen des Internationalen Designpreises Baden-Württemberg Focus Open 2024 und die prämierten Arbeiten des Mia Seeger Preises sind bis zum 24. Januar im Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg (Willi-Bleicher-Straße 19) in Stuttgart zu sehen. Öffnungszeiten montags bis freitags 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen auch zu öffentlichen Führungen unter www.design-center.de

BuchFocus Open 2024 und der Mia Seeger Preis 2024, herausgegeben vom Design Center Baden-Württemberg und dem Regierungspräsidium Stuttgart, ist im Stuttgarter AV Verlag erschienen. 224 Seiten, 49 Euro. www.avedition.de

1. Preis: Meret Oppermann hat in ihrer Masterthesis „Ormo“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel eine Methode entwickelt, um die Mundmotorik spielerisch zu trainieren.

© Meret Oppermann/Mia Seeger Stiftung

1. Preis: Meret Oppermann hat in ihrer Masterthesis „Ormo“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel eine Methode entwickelt, um die Mundmotorik spielerisch zu trainieren.

2. Preis: Für ihre Masterthesis hat Michelle Müller (Kunsthochschule Berlin Weißensee) nach Alternativen zu Polstern aus ölbasierten Schaumstoffen gesucht. Mono Wool geht den Weg einer radikalen Minimierung. Mit der Verwendung von Rohwolle ergibt sich das Potenzial, ein Polster aus nur einem einzigen Material herzustellen.

© Michelle Müller/Mia Seeger Stiftung

2. Preis: Für ihre Masterthesis hat Michelle Müller (Kunsthochschule Berlin Weißensee) nach Alternativen zu Polstern aus ölbasierten Schaumstoffen gesucht. Mono Wool geht den Weg einer radikalen Minimierung. Mit der Verwendung von Rohwolle ergibt sich das Potenzial, ein Polster aus nur einem einzigen Material herzustellen.

3. Preis: Eine Anleitung zu Agitation und Polemik für Anfänger im Taschenbuchformat erfüllt bei aller Ironie einen didaktischen Ansatz. Yannik Schäfer von der Dualen Hochschule in Ravensburg geht es um nicht weniger als Aufklärung im besten demokratischen Sinne.

© Yannik Schäfer/Mia Seeger Stiftung

3. Preis: Eine Anleitung zu Agitation und Polemik für Anfänger im Taschenbuchformat erfüllt bei aller Ironie einen didaktischen Ansatz. Yannik Schäfer von der Dualen Hochschule in Ravensburg geht es um nicht weniger als Aufklärung im besten demokratischen Sinne.

Anerkennung: Die vier Gestalterinnen Irini Schwab, Anna Ulmer, Tina Henkel und Maren Hinze von der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg mit prototypischen Sitzmöbeln auf die unbefriedigende Situation am Hamburger Hansaplatz aufmerksam gemacht. Wo bisher das Verweilen bewusst unterbunden wurde, ist für kurze Zeit eine einladende Infrastruktur ohne Konsumzwang entstanden.

© Schwab, Ulmer, Henkel, Hinze/Mia Seeger Stiftung

Anerkennung: Die vier Gestalterinnen Irini Schwab, Anna Ulmer, Tina Henkel und Maren Hinze von der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg mit prototypischen Sitzmöbeln auf die unbefriedigende Situation am Hamburger Hansaplatz aufmerksam gemacht. Wo bisher das Verweilen bewusst unterbunden wurde, ist für kurze Zeit eine einladende Infrastruktur ohne Konsumzwang entstanden.

Anerkennung: Statt sich den Injektor wie üblich mit Schwung in den Oberschenkel zu stoßen, wird „SNAB“ ohne große Kraftanstrengung über zwei, gleichzeitig zu drückende Buttons aktiviert. Julian Oberenzer von der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd wurde seine praktische Hilfe im Falle einer allergischen Reaktion prämiert.

© Julian Oberenzer/Mia Seeger Stiftung

Anerkennung: Statt sich den Injektor wie üblich mit Schwung in den Oberschenkel zu stoßen, wird „SNAB“ ohne große Kraftanstrengung über zwei, gleichzeitig zu drückende Buttons aktiviert. Julian Oberenzer von der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd wurde seine praktische Hilfe im Falle einer allergischen Reaktion prämiert.

Anerkennung Mit seinem Projekt Velocity adressiert Felix Stockhausen (Bauhaus-Universität Weimar) die besonderen Herausforderungen, beispielsweise die schnelle Taktung, kurze Haltezeiten und ein hohes Aufkommen an mitnahmewilligen Bikes in Hauptverkehrszeiten. Das Herzstück ist eine flexible Funktionswand aus weichen Elementen, die ein geordnetes Rangieren und Abstellen der Fahrräder ermöglicht.

© Felix Stockhausen/Mia Seeger Stiftung

Anerkennung Mit seinem Projekt Velocity adressiert Felix Stockhausen (Bauhaus-Universität Weimar) die besonderen Herausforderungen, beispielsweise die schnelle Taktung, kurze Haltezeiten und ein hohes Aufkommen an mitnahmewilligen Bikes in Hauptverkehrszeiten. Das Herzstück ist eine flexible Funktionswand aus weichen Elementen, die ein geordnetes Rangieren und Abstellen der Fahrräder ermöglicht.

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Erstellt:
16. November 2024, 20:14 Uhr

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