Schicksalstage in Syrien

Die EU muss bei der Stabilisierung des Landes helfen. Das dient der Sicherheit Europas.

Nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad ist die Freude in Syrien groß, doch die Zukunft des Landes ist ungewiss.

© dpa/Hussein Malla

Nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad ist die Freude in Syrien groß, doch die Zukunft des Landes ist ungewiss.

Von Knut Krohn

Brüssel - In Syrien entscheidet sich in diesen Tagen mehr als das Schicksal dieses Landes. Der Westen kann deshalb nicht unbeteiligt zusehen, die Situation in Damaskus hat direkte Auswirkungen auf die gesamte Region und damit auch auf den Gang des politischen Geschehens im Rest der Welt. Vor allem die Europäer müssen helfen, Syrien nach der Flucht des Diktators Baschar al-Assad zu stabilisieren. Das ist nicht nur eine Frage der Humanität und menschlichen Solidarität, es liegt auch in ihrem direkten Sicherheitsinteresse. Denn stürzt das Land ins Chaos, wird das erneut eine Flüchtlingswelle auslösen, die auch Europa erreicht.

Die große Gefahr besteht zudem, dass das Land zum Rückzugsort für international agierende Terroristen werden könnte. Die Terrororganisation Al-Kaida hat bereits ihre Glückwünsche an den Führer der syrischen Rebellenallianz, Abu Mohammed al-Dschulani, übermittelt.

Das Treffen der EU-Außenminister in Brüssel war also mehr als überfällig. Es ist dringend notwendig, sich über die labile Situation in dem Krisenstaat auszutauschen und sich Gedanken zu machen, wie der Weg in eine hoffentlich eher demokratisch gestaltete Zukunft unterstützt werden kann.

Keiner der Beteiligten sollte sich allerdings allzu großen Illusionen hingeben. Im Moment ist jede Planung allenfalls ein Stochern im undurchdringlichen Nebel. Denn in Syrien selbst bekämpfen sich noch immer verschiedene rivalisierende Gruppen, und auch die großen Nachbarn des Landes verfolgen ihre eigenen Interessen.

Gefragt ist in diesem Fall kühler Pragmatismus. Deshalb ist es richtig, dass die Europäische Union einen Top-Diplomaten nach Damaskus schickt, der die ersten Kontakte zur islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) knüpfen soll. Die wird in Brüssel bislang noch als „Terrorgruppe“ eingestuft, doch es ist in der aktuellen Situation eine der sehr wenigen Möglichkeiten, direkten Einfluss auf die weitere Entwicklung in Syrien selbst zu nehmen.

Noch ist unsicher, ob die neuen Machthaber tatsächlich wie angekündigt zu einem politischen Übergang bereit sind. Diesen Prozess kann die EU mit verstärkter humanitärer Hilfe befördern. Diese Unterstützung muss allerdings an klare Vorgaben gebunden sein. Sie kann nur erfolgen, wenn die Islamisten zur Einhaltung grundlegender Regeln bereit sind. Dazu zählt der Schutz aller Minderheiten in Syrien, wie Kurden oder Christen, oder auch die Achtung der Rechte für Frauen. Auf keinen Fall darf ein weiteres Terrorregime alimentiert werden.

Erst im Lauf der nächsten Monate wird sich zeigen, ob ein weiteres Versprechen von HTS-Führer Abu Mohammed al-Dschulani, mit dem globalen Dschihad gebrochen zu haben, auch der Realität entspricht. Und erst danach darf die EU die Gruppe von der Sanktionsliste streichen. Solange das nicht passiert, sind sie nichts weiter als ehemalige Terroristen, die sich vom Terrornetzwerk Al-Kaida abgespalten haben.

Die Europäische Union macht mit ihrem schnellen Handeln deutlich, dass die Verantwortlichen in Brüssel die geostrategische Bedeutung dieses möglichen Konfliktherdes erkannt haben. Ziel ist es, kein Machtvakuum in Damaskus entstehen zu lassen, um drohenden Schaden von Europa abzuwenden. Doch in den EU-Mitgliedstaaten scheinen nicht alle Politiker die Gunst, aber auch die Gefahr der Stunde erkannt zu haben. Gestritten wird darüber, wie die in den EU-Staaten lebenden Syrer angesichts des Falls von Assad so schnell wie möglich in ihrer Heimat abgeschoben werden können. Das zeugt nicht nur von menschlicher Kleinmütigkeit, sondern auch von fehlendem politischem Weitblick.

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Erstellt:
16. Dezember 2024, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
16. Dezember 2024, 23:55 Uhr

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