Gutachten für die Kultusminister
Schlechte Noten für weiterführende Schulen
Die weiterführenden Schulen bereiten die Jugendlichen nur unzureichend aufs Berufsleben vor. Wo das System versagt und was Wissenschaftler zur Verbesserung empfehlen.

© dpa/Philipp von Ditfurth
Die Schule soll Kindern und Jugendlichen auch Grundfähigkeiten fürs Berufsleben vermitteln.
Von Bärbel Krauß
Berufsberatung ist in Deutschland seit Jahrzehnten etabliert, Berufsorientierung zählt an den weiterführenden Schulen längst zum Standardangebot. Dennoch kommt die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) in ihrem jüngsten Gutachten über die weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I) zu einem ernüchternden Urteil. Sie hält die Berufsvorbereitung für unzulänglich.
Die Folgen sind weitreichend. „Die Unzulänglichkeit der bisherigen Berufsorientierungspraxis offenbart sich darin, dass viele junge Menschen am Ende der Sekundarstufe I hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft unsicher und ziellos sind“, heißt es in dem Bericht, der an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Bei den Pisa-Studien werden Jugendliche regelmäßig befragt. In den letzten acht Jahren hat sich hierzulande laut dem SWK-Gutachten die Zahl derjenigen mehr als verdoppelt, die schlicht keine Ahnung haben, was sie beruflich machen wollen.
Berufswünsche der Jugendlichen wenig innovativ
Der Übergang zwischen Schulabschluss und Beruf hat sich laut der Untersuchung zudem erheblich verlängert. Das Durchschnittsalter bei der Aufnahme einer Berufsausbildung sei mittlerweile so hoch wie bei Studienanfängern. Außerdem beschränkten sich die bei Umfragen geäußerten Berufswünsche auf ein enges Spektrum, seien geschlechtsspezifisch geprägt und wenig auf den Wandel der Arbeitswelt ausgerichtet. In Zeiten, in denen wegen der demografischen Entwicklung jeder Schüler auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt wird, wie Landeskultusministerin Theresa Schopper (Grüne) nun in Berlin betonte, ist das ein Problem.
Deshalb hat die SWK Ratschläge zur Verbesserung der weiterführenden Schulen erarbeitet. Zentrale Empfehlung an die Kultusminister ist laut dem SWK-Vorsitzenden Olaf Köller, die am Ende der Schulzeit unverzichtbaren Kompetenzen in Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften und Englisch sowie digitale Grundkompetenzen präzise zu definieren und in den Lehrplänen zu verankern. Außerdem solle der Lernstand der Schüler mindestens alle zwei Jahre getestet, der Unterricht weiterentwickelt und eine systematische Förderung vor allem schwacher Schüler erreicht werden. Die Voraussetzungen dafür müssten in Lehrerstudium und Referendariat vermittelt werden, so Köller.
Digitalkompetenz der Schüler – rein vom Zufall abhängig
Große Lücken haben die Forscher bei den Digitalkompetenzen festgestellt. Das ist umso dramatischer, als die Arbeitswelt breit digitalisiert ist. 86 Prozent der ausbildenden Betriebe stufen laut dem SWK-Gutachten die Anwendung fachspezifischer Software bei ihren Mitarbeitern mindestens als wichtig ein; über zwei Drittel erwarten Fähigkeiten zur digitalen Kommunikation, zur reflektierten Internetrecherche und zum eigenständigen Lernen mit digitalen Medien.
Zwar hat die Kultusministerkonferenz bereits 2017 beschlossen, dass alle Schulabgänger ab dem Schuljahr 2023/24 über digitale Kernfähigkeiten verfügen sollen – aber das ist laut SWK-Gutachten nicht erreicht. Tatsächlich liegen die deutschen Achtklässler im internationalen Vergleich zwar auf einem mittleren Niveau. Aber nur zwanzig Prozent der Jugendlichen können laut der Untersuchung digital vorliegende Informationen selbstständig bewerten, organisieren und inhaltlich oder formal anspruchsvolle Medienprodukte erstellen (Kompetenzstufe 4). Mehr als vierzig Prozent seien dagegen gerade in der Lage, einen Link oder eine Mail zu öffnen, den Kontrast eines Bildes zu verändern oder mit Hilfestellungen sehr einfache Veränderungen an Textdokumenten vorzunehmen (Kompetenzstufe 2).
Schon längst hat die SWK die Einführung eines flächendeckenden Informatikunterrichts gefordert. Wie viel Digitalkompetenz die Schüler aktuell in der Schule aufbauen können, hängt aus Sicht der Experten vom Zufall ab. „Eine flächendeckende, systematische Lehraktivität zur Kompetenzvermittlung von ,Digital Literacy’, die auf lernpsychologischen Befunden basiert und evaluiert wäre, gibt es nicht“, heißt es in dem Bericht.
Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) bekräftigte, dass eine bessere Berufsorientierung auf die Vermittlung besserer Sprach- und Rechenkenntnisse in Kitas und Grundschulen aufbauen müsse. „Bei der Berufsorientierung müssen wir in Qualifizierung investieren, denn mit 250 Ausbildungsberufen ist das ja ein weit gestecktes Feld. Außerdem müssen wir uns sicher die Nahtstelle zwischen Schule, Wirtschaft und Arbeitsagentur noch einmal genauer anschauen.“
Jugendliche ohne Abschluss
SchulabgängerIn Baden-Württemberg haben zuletzt fast 7000 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. Das entspricht 4,8 Prozent aller Schulabgänger in Baden-Württemberg. Bundesweit steht der Südwesten damit etwas besser da als das Bundesgebiet, wo 6,2 Prozent der Schulabgänger keinen Abschluss haben.
Übergangsbereich Bundesweit landen jedes Jahr rund 250 000 Jugendliche neu in dem Teil des beruflichen Schulwesens, das Defizite aus den Allgemeinbildenden Schulen zu beheben versucht. In diesem Bereich spricht sich das Gutachtergremium für klarer profilierte Angebote für verschiedene Schülergruppen aus und dafür, sich auf schulische Angebote mit betrieblichen Elementen zu konzentrieren, da diese sich als wirksamer erwiesen hätten.