TV-Duell
Scholz und Merz: Uneins schon über die Realität
Der Kanzler und sein Herausforderer liefern sich einen harten Schlagabtausch. Es ist keine ungezügelte verbale Schlägerei – aber ein harter Boxkampf nach Regeln. Eine überraschende Übereinstimmung gibt es aber.
![Scholz und Merz: Uneins schon über die Realität Nur einmal stimmen sie wirklich überein: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Friedrich Merz (CDU).](/bilder/nur-einmal-stimmen-sie-wirklich-ueberein-kanzler-olaf-870640.jpg)
© dpa/Michael Kappeler
Nur einmal stimmen sie wirklich überein: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Friedrich Merz (CDU).
Von Tobias Peter
Die Mundwinkel von Friedrich Merz sind jetzt weit unten. Und dann muss der Unionskanzlerkandidat erst einmal tief durchatmen.
Gerade erst hat er beteuert, dass er nach der Wahl nicht mit der AfD koalieren werde. Und was antwortet Kanzler Olaf Scholz auf die Frage, ob der dem Kandidaten von CDU und CSU das glaube? „Nein“, sagt Scholz kühl. Er verweist darauf, dass Merz noch im November im Bundestag versprochen hatte, bei Anträgen und Gesetzen bis zur Wahl keine Mehrheiten mit der AfD in Kauf zu nehmen – und seine Haltung dann für Abstimmungen zur Migrationspolitik geändert hat. „Das ist ein Wort- und Tabubruch. Deshalb kann ich mir nicht mehr sicher sein“, sagt Scholz.
Es ist zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Der Kanzler und sein Herausforderer treffen am Sonntagabend im TV-Duell in ARD und ZDF direkt aufeinander. Die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition im Bundestag haben – im Streit über die Migrationspolitik und den richtigen Umgang mit der AfD – zuletzt teils an eine Schlägerei am Rande eines Fußballfelds erinnert. Ganz so heftig geht es zwischen Scholz und Merz im Duell nicht zu. Aber hart zur Sache geht es schon – aber, wie in einem Boxkampf, weitgehend geordnet und regelkonform. Während in früheren TV-Duellen vor der Bundestagswahl oft der Herausforderer angriff, ist es stärker der Kanzler, der die unmittelbare Konfrontation sucht. Er ist es, der mit der SPD in Umfragen zurückliegt.
Worüber Merz klagt und was Scholz „doof“ findet
Wie also reagiert Merz? Er sagt, er habe es nach der Gewalttat von Aschaffenburg nicht mehr verantworten können, einfach nur bis zur Wahl abzuwarten. Ihn schmerze es, dass die Menschen in großer Zahl demonstrierten – aber nicht für die Opfer. Es habe hunderte von neuen Eintritten in die CDU gegeben. „Es kann also nicht alles ganz falsch gewesen sein“, sagt Merz.
Die Auseinandersetzung dreht sich darum, was eine angemessene Wahrnehmung der Realität ist – und was als Nächstes zu tun sei. Scholz beharrt darauf, er habe die härtesten Regelverschärfungen im Kampf gegen irreguläre Migration durchgesetzt, die es in Deutschland je gegeben habe. Er wirft Merz vor, dieser verstoße mit seinen Vorschlägen gegen Europarecht – was Deutschland sich nicht leisten könne, wenn es etwa auf Gemeinsamkeit im Kampf gegen mögliche US-Strafzölle von Donald Trump setze. Scholz sagt, es sei „doof“, wenn man Europa jetzt in die Luft jage. Der Schlag sitzt.
Merz erklärt mehrfach, er habe Ausführungen des Bundeskanzlers nicht verstanden – etwa darüber, welche Zurückweisungen an den Grenzen rechtlich möglich seien und welche nicht. Zur Beschreibung des Kanzlers der Realität sagt er: „Herr Scholz, bitte, Sie leben nicht in dieser Welt. Was sie hier erzählen, ist ein Märchenschloss.“ Dieser Schlag sitzt auch.
Die beiden geraten immer wieder – auch dank der guten Moderation von Sandra Maischberger und Maybrit Illner – in die direkte Konfrontation. Auch in der Wirtschaftspolitik zeigt sich: Der Kanzler und der Herausforderer können sich noch nicht einmal darüber einigen, wie die Realität zu beurteilen ist. Scholz macht den Angriffskrieg in der Ukraine und dessen wirtschaftliche Folgen für fehlendes Wachstum verantwortlich. Merz wirft Scholz vor, nicht genug für einen Aufschwung getan zu haben.
Investitionsbonus oder Steuersenkungen?
Der Kanzler wirbt für seinen Vorschlag eines „Made in Germany“-Bonus, mit dem Investitionen im eigenen Land steuerlich gefördert werden sollen. Merz hält das für zu bürokratisch und will lieber generell Steuern senken. Der Vorschlag des Kanzlers sei „ein klassisches Strohfeuer, das sehr viel Geld kostet“. Der Kanzler pocht auf einen Mindestlohn von 15 Euro. „Das unterscheidet uns ja: Ich bin dafür, dass die Leute, die wenig Geld verdienen, mehr Geld verdienen“, hält er Merz entgegen.
Einig sind sich der Kanzler und sein Herausforderer kurioserweise eigentlich nur in einem Punkt. Und zwar, so überraschend es für Christian Lindner sein mag, bei der Bewertung der FDP. Auf die Frage, was ein Bundestag ohne die FDP wäre, antwortete Merz: „Ärmer, aber durchaus lebensfähig.“ Und Scholz sagte: „Ich kann es nicht besser formulieren.“ Dieser Satz fällt an diesem Abend nur ein einziges Mal.