Schwabenzeitrechnung und Herbstfreuden
Jugendliche aus der französischen Partnerstadt Château-Gontier-sur-Mayenne sind zurzeit für ein Sprachtraining in Murrhardt zu Gast. Intensive Unterrichtseinheiten an der Walterichschule gehören dabei genauso dazu wie Begegnungen und Austauschmöglichkeiten.
Von Christine Schick
Murrhardt. An der Tafel des Klassenzimmers im zweiten Stock der Walterichschule, in dem die sieben Jugendlichen aus Château-Gontier mit ihrem Begleiter Patrick Léger vom französischen Partnerschaftskomitee sitzen, sind Uhren aufgezeichnet. Es geht um das Viertel vor und nach der vollen Stunde. „Das haben wir zu Beginn besprochen, damit die Zeitangaben im Süddeutschen klar sind“, erzählt Julia Kirschbaum. Das heißt, beim Unterricht geht es auch um regionale Aspekte. Eigentlich ist die Lehrerin der Walterichschule noch in Elternzeit, hilft aber auch schon beim Musikunterricht der Abschlussklassen aus und hat nun den Unterricht für die französischen Jugendlichen übernommen. An diesem Vormittag stehen auch Aspekte rund um die Jahreszeiten und die Natur auf dem Programm. Herbst, Nebel und Kürbis tauchen da beispielsweise als deutsche Vokabeln auf und die Jugendlichen erzählen, welcher Monat ihr allerliebster ist.
Kochsession mit Linsen und Spätzle
Das Thema ist bewusst gewählt, führt auf die spätere gemeinsame Wanderung mit Naturparkführer Manfred Krautter hin. Auch für weitere Programmpunkte hat Julia Kirschbaum die Inhalte abgestimmt, wie etwa für den Besuch im Carl-Schweizer-Museum, den Gang über den Wochenmarkt und eine Kochsession, bei der mit ihrer Kollegin Tina Sachsenmaier Linsen und Spätzle in der Walterichschulküche zubereitet werden. Außerdem sind noch die Zehntklässler der Walterichschule, die auch Französischunterricht haben, mit im Boot. Sie trainieren mit den Gästen im Tandem, also zu zweit, und tauschen sich über Schule, Hobbys und weitere Themen aus. Das ist für die deutschen Schülerinnen und Schüler nicht nur spannend, sondern auch sinnvoll. „Bei der mündlichen Abschlussprüfung müssen sie zu Sprechanlässen spontan eine kleine Unterhaltung führen wie beispielsweise bei einem Restaurantbesuch oder wenn sie nach dem Weg fragen“, erläutert Julia Kirschbaum.
Die sieben Jugendlichen – vier Jungen und drei Mädchen – aus Frankreich gehen in der Partnerstadt aufs Gymnasium. Dort haben sie die Möglichkeit, Spanisch und Deutsch als Fremdsprachen zu lernen. Vier aus der Gruppe sind schon im Abschlussjahr, steuern also auf ihr Abitur zu. Sie haben sich für naturwissenschaftliche Schwerpunkte in verschiedenen Fächerkombinationen mit Mathematik, Physik, Chemie und Biologie entschieden, auch Wirtschaft ist dabei. Nicht alle wissen schon, wie es nach der Schule weitergehen soll. Für manche ist die Richtung wiederum sehr klar – Medizinerin, Augenärztin und Botaniker fallen als Berufswünsche. Spannend ist für sie, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler relativ viele Praktika absolvieren.
Bei Gastfamilien untergebracht
Intensiv und ebenso praxisbezogen sind das Sprachtraining und der Unterricht in der Kleingruppe. „Einige Schüler lernen noch Deutsch, aber es ist nicht mehr ganz so selbstverständlich“, sagt Patrick Léger. „Es gibt nur noch zwei Lehrer, die Deutsch an mehreren Schulen unterrichten.“ Insofern ist ein Schüleraustausch schwierig, aber ein Angebot wie das Sprachtraining während der französischen Herbstferien eine gute Alternative. „Wir haben die sieben in einen Minibus gepackt und sind hergefahren“, erzählt Patrick Léger, der die Jugendlichen gemeinsam mit Brigitte Philippeau, ebenfalls im Partnerschaftskomitee engagiert, betreut. Sie und die jungen Leute wohnen bei Gastfamilien in Murrhardt und Fornsbach. Somit gibt es zusätzliche Anknüpfungspunkte an die Stadt und einen deutschen Alltag. Aber auch die weiteren Aktivitäten bieten Austauschmöglichkeiten. Die Gruppe hat sich beispielsweise mit Murrhardter Schülerinnen und Schülern auf einen Stadtspaziergang gemacht und am Dienstagabend ging es zu einer Party ins Jugendzentrum, wo auch Karten gespielt wurde und sie gemeinsam zu digitalen Fußballturnieren antreten konnten. Die Stadt hat Pizza spendiert und Bürgermeister Armin Mößner hat den Gästen einen Besuch abgestattet. Das Treffen und das gemeinsame Spielen haben sie sehr genossen, erzählen die jungen Leute.
Und was hat sie bei ihrem Aufenthalt möglicherweise überrascht? Gar nicht so selbstverständlich ist für sie, dass Murrhardt als Kleinstadt einen Bahnhof hat, an dem noch Personenzüge verkehren. Auch im Alltag gibt es das eine oder andere zu entdecken wie Sprudel oder Kohlrabi. Regionale Genüsse – Obst, Gemüse bis hin zu Spezialitäten – werden auf dem Marktbesuch heute vertieft. Zudem steht noch ein zweiter Besuch in der Landeshauptstadt an, bis es am Sonntag auf die Heimreise geht. Vielleicht gibt es ein Wiedersehen? „Ich erzähle ihnen auch von den ,Friends for Europe‘. Damit sie wissen, dass sie sich auch dort in der Partnerschaftsarbeit engagieren können“, sagt Julia Kirschbaum.
Angebot Das Sprachtraining für Jugendliche aus Château-Gontier-sur-Mayenne ist Teil der gemeinsamen Partnerschaftsarbeit. Die Betreuung und Organisation des Kurses in Murrhardt hat das Amt für Wirtschaft, Kultur und Tourismus übernommen. Auch Schülerinnen und Schüler aus Murrhardt erhalten die Gelegenheit, nach Frankreich zu fahren, um dort ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.
Partnerschaft Château-Gontier-sur-Mayenne ist eine französische Stadt im Département Mayenne in der Region Pays de la Loire; sie ist Verwaltungssitz des Arrondissements Château-Gontier und der Kantone Château-Gontier-Est und Château-Gontier-Ouest. Die rund 12000 Einwohner zählende Stadt liegt am Fluss Mayenne, rund 300 Kilometer südwestlich von Paris. Die Partnerschaft besteht seit dem Jahr 1966 und ist die älteste der Walterichstadt.