Bundestagswahl
Sieben Lehren aus der Bundestagswahl
Kanzler Scholz ist bald Geschichte, die Union von Friedrich Merz übernimmt die Macht. Und eine massiv erstarkte AfD lauert auf den Sieg beim nächsten Mal.
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© Christoph Soeder/dpa
Bei der Union war erstmal Feiern angesagt - doch die nächsten Wochen dürften schwierig werden.
Von Von Michael Fischer und Theresa Münch, dpa
Berlin - Eine historische Niederlage für den Titelverteidiger, ein Wahlsieg mit Dämpfer für den Nachfolger und der ungebremster Aufstieg einer als teilweise rechtsextrem eingestuften Partei: Die wichtigsten Ergebnisse der Bundestagswahl - und was man daraus lernen kann.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus: Merz ist oben angekommen
Es war ein langer und kurvenreicher Weg zur Macht für Friedrich Merz, gespickt mit Enttäuschungen, Niederlagen und einer Auszeit in der Wirtschaft. Jetzt ist der 69-Jährige doch noch ganz oben angekommen. Es sieht alles danach aus, dass er der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird - auch wenn das Ergebnis von 28,6 Prozent nicht das ist, was er sich mal vorgestellt hat. Noch im Januar hatte er erklärt, er gehe davon aus, dass das Wahlergebnis "eher in der zweiten Hälfte der Dreißiger" liegen werde.
Merz war das am Sonntagabend erstmal egal: "Jetzt darf auch mal Rambo Zambo im Adenauer-Haus sein", rief er von der Bühne in der CDU-Parteizentrale. Seine Verhandlungsposition dürfte das Ergebnis aber schwächen.
Wunder lassen sich nicht wiederholen: Scholz ist bald Geschichte
Kanzler Olaf Scholz wollte es ein zweites Mal so hinbiegen wie 2021. Damals hatte er im Wahlkampf etwa 15 Prozentpunkte Rückstand auf die Union aufgeholt und war mit einem knappen Vorsprung ins Ziel gekommen. Aber Wunder lassen sich nicht so einfach wiederholen, schon gar nicht, wenn man gerade mit seiner Regierung eine Bruchlandung hingelegt hat. Die Aufholjagd ist ausgeblieben. Die Sozialdemokraten sind bei ihrem schlechtesten Ergebnis bei einer nationalen Parlamentswahl seit 1887 gelandet, als die SPD noch Sozialistische Arbeiterpartei hieß.
Die Tage von Scholz als Kanzler sind nun gezählt, mit der Bildung einer neuen Regierung will er nichts mehr zu tun haben. Seine politische Karriere will er aber noch nicht ganz beenden. Seinen Wahlkreis in Potsdam hat Scholz knapp gegen die AfD verteidigt und für diesen Fall bereits vor der Wahl angekündigt, im Bundestag bleiben zu wollen. SPD-Parteichef Lars Klingbeil macht das Gegenteil und ergreift die Flucht nach vorn: Er will trotz des Wahldesasters nun auch noch Fraktionschef werden.
Dauerstreit lohnt sich nicht: Die letzten Ampel-Lichter gehen aus
Die Ampel-Koalition ist im November mit einem großen Knall gescheitert, und trotzdem traten die drei Protagonisten wieder an, als wenn nichts gewesen sei: Scholz, sein Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie haben nun die Quittung für drei Jahre Dauerstreit bekommen: 2021 kamen SPD, Grüne und FDP zusammen noch auf 52 Prozent, jetzt sind es noch 32,3. So hart ist nur selten eine Regierung abgestraft worden.
Die FDP ist sogar aus dem Bundestag geflogen. Neben Scholz zog am Sonntag deswegen auch FDP-Chef Lindner die Konsequenzen: "Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus", schrieb er auf X. Nur bei Habeck ist noch offen, wie es weitergeht. Er dürfte erstmal abwarten, wie es mit der Regierungsbeteiligung aussieht.
GroKo: Von der Notlösung zur Wunsch-Koalition
Eine schwierige Dreierkoalition bleibt der Politik erspart - das wollte nach den Erfahrungen mit der Ampel eigentlich auch keiner mehr. Nun läuft alles auf eine Koalition von Union und SPD hinaus - eine Alternative gibt es eigentlich nicht. Für Schwarz-Grün reicht es nicht.
Damit mausert sich die sogenannte GroKo von der ungeliebten Notlösung zur Wunsch-Koalition. So ähnlich sehen das auch die Wähler: Einer Blitzumfrage des Instituts YouGov zufolge wünschen sich 44 Prozent am ehesten diese Regierung.
Fraglich ist allerdings, ob die SPD-Mitglieder eine Koalition mit der Union absegnen würden. Die von den Jusos angestoßene NoGroKo-Kampagne von 2017/18 ist noch nicht lange her. Und wahrscheinlich würde die SPD ihre Mitglieder auch dieses Mal wieder über eine solche Regierungsbeteiligung abstimmen lassen.
Die AfD lässt sich nicht stoppen: Stärkste Oppositionskraft
Keine der anderen Parteien findet ein Mittel gegen die AfD. Sie hat ihr Ergebnis von 10,4 Prozent auf 20,8 Prozent genau verdoppelt. Noch nie war eine vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistische Partei so stark in einem Bundestag vertreten. AfD-Politiker dürften nun bei Regierungserklärungen als erste auf den Kanzler antworten - und in der großen Haushalts-Generaldebatte als allererste sprechen.
Koalieren will aber weiterhin niemand mit ihr. Auch Wahlsieger Merz, der mit Hilfe der AfD einen Migrations-Beschluss durch den Bundestag gebracht hat, sagt das deutlich. Damit trifft er nach Wahlanalysen der Meinungsforschungsinstitute Infratest dimap und Forschungsgruppe Wahlen den Nerv der Wähler: 70 bis 74 Prozent lehnen eine Koalition mit der AfD ab.
Das stört deren Parteichefs am Wahlabend aber alles nicht. "Wir warten ab", sagt Parteichef Tino Chrupalla. Die AfD schaut längst auf 2029 mit Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und der nächsten Bundestagswahl - und wittert hier ihre Chance.
Totgesagte leben länger: Die Linke schafft das Comeback
Die Linke ist eine große Gewinnerin des Wahlabends. Viele hatten sie vor Monaten schon abgeschrieben, nach Gründung des BSW von Sahra Wagenknecht schrumpfte sie völlig zusammen. Doch die Diskussion um die "Brandmauer" zur AfD und eine clevere Kampagne in den sozialen Medien hat der Linken ein Comeback ermöglicht.
Und was für eins: Mit 8,8 Prozent steht sie noch besser da als in vielen Umfragen. Beim Thema soziale Gerechtigkeit vertrauen viele inzwischen eher der Linken - für Grüne und SPD ist das ein Problem.
Jung wählt Radikal
Die demokratische Mitte hat bei den jüngeren Wählern keine Mehrheit mehr. Laut infratest dimap entschieden sich 25 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Linke, 20 Prozent für die AfD und 6 Prozent für das BSW. Laut Forschungsgruppe Wahlen ist die Linke mit 24 Prozent auch bei den unter 30-Jährigen die stärkste Partei, die AfD folgt mit 21 Prozent.
Bei der letzten Wahl sah das noch anders aus: Damals waren besonders FDP und Grüne bei den Jungwählern noch viel stärker. Der Umschwung dürfte nicht nur am Social-Media-Auftritt von Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek liegen.