Sinfonisch-orchestrale Klangexpedition
Die slowakische Organistin und Komponistin Zuzana Ferjenčíková bringt beim jüngsten Konzert des Internationalen Orgelzyklus auch bisher noch kaum oder gar nicht genutzte Töne und Register der Mühleisen-Orgel in der Stadtkirche zum Klingen.

Zuzana Ferjenčíková ist eine Meisterin der Improvisation an der Orgel. Foto: Elisabeth Klaper
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Zuzana Ferjenčíková ist von der Mühleisen-Orgel fasziniert: Beim jüngsten Konzert des Internationalen Orgelzyklus unternimmt die slowakische Organistin eine Entdeckungsreise zu noch kaum genutzten Möglichkeiten für sinfonisch-orchestrale Interpretationen. Manche Töne und Register lässt sie erstmals erklingen und zaubert überraschende, bisher ungehörte Klangkombinationen und -effekte hervor. Voller Virtuosität und Leidenschaft agiert die Komponistin und Meisterin der Improvisation mit temporeicher Finger- und Fußakrobatik am Spieltisch.
Ihr Lehrer Jean Guillou, Komponist und Musikpädagoge, hat sie stark geprägt
Seit 2021 ist sie Professorin für das Konzertfach Orgel an der Codarts University for Music in Rotterdam. Stark geprägt und inspiriert hat sie ihr Lehrer, der 2019 verstorbene französische Organist, Komponist und Musikpädagoge Jean Guillou. Sie würdigt ihn als große Persönlichkeit der Musik: Er habe virtuose Orgelbearbeitungen bedeutender Kompositionen geschaffen, ebenso Vertonungen von Sagen, Geschichten und Gedichten, verdeutlicht sie beim einführenden Ohrenöffner vor vielen Zuhörerinnen und Zuhörern in der Stadtkirche.
Für ihr Programm hat Zuzana Ferjenčíková zwei sinfonische Dichtungen von Franz Liszt zu Personen der griechischen Sagenwelt ausgewählt: „Orpheus“ und „Prometheus“, die Jean Guillou in die Orgelklangsprache „übersetzte“. Orpheus galt als größter Sänger und Dichter, da er mit seiner Musik Lebewesen und tote Materie bewegen und Naturgewalten besänftigen konnte. In spätromantischen, melodisch und harmonisch prunkvollen Bögen aus monumental-feierlichen Klangkaskaden bringt sie eine Vielzahl der Register und Effekte zur Entfaltung, höchste und tiefste Töne sowie sphärische, filigrane Nuancen.
„Prometheus“ gestaltet die Organistin voller Dramatik: Der Urheber der Zivilisation brachte den Menschen das Feuer. Zur Strafe ließ Göttervater Zeus ihn an einem Felsen im Kaukasus festschmieden, bis der Held Herakles ihn später befreite. Aus tiefsten Tiefen entwickelt die Musikerin eine packende Klangfantasie: Düstere Figurationen, die „Urgewalten“ symbolisieren, und chromatische, chaotisch anmutende „Wirbel“ verwandeln sich in eine triumphierende Melodie mit tänzerischer Rhythmik.
Innovative Motive und atemberaubendes Tempo
Ein modernes Tonkunstwerk ist Jean Guillous Eloge I, Gedicht für die Orgel op. 52. Inspiration war die verklärende Legende des heiligen Johannes von Persien oder Priesterkönigs Johannes, der im Mittelalter über ein großes zentralasiatisches Reich geherrscht haben soll. Innovative Motive, angetippte Töne und Figuren verdichten sich zu einem Klanggewebe. Expressiv, teils aggressiv und unheimlich wirken dissonante Klanggebilde in atemberaubendem Tempo, die nach tiefen Tremoloklängen gleichsam zur Ruhe kommen.
Wohlklingende Ohrenschmeichler sind hingegen drei von sechs Studien in kanonischer Form op. 56 von Robert Schumann, vollendet harmonische Kleinodien der Romantik mit Kanon- und Echoeffekten. Besonders reizvoll ist die zweite Studie, „Nicht zu schnell“, die mit verspielten Blasinstrumentenklängen und tänzelnden Rhythmen an ein Scherzo erinnert.
Die Organistin improvisiert zu Vorschlägen aus dem Publikum
Brillant kreiert Zuzana Ferjenčíková abschließend eine fantasievolle Improvisationssinfonie über vom Publikum ausgewählte Melodien. Filigran gestaltet sie ein bekanntes, vielschichtiges Thema aus der 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Mit eigenen, nachdenklich wirkenden Motiven vertont sie den Text auf dem Grabstein von Prälat Friedrich Christoph Oetinger: „Leser, gehe, lerne, so lang es Tag ist, wirken und dann rasten.“ Paul Gerhardts Abendlied „Nun ruhen alle Wälder“ charakterisiert sie in romantischen Harmoniebögen, „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ mit an Vogelstimmen erinnernden Figuren. In triumphierend strahlendem Tutti illustriert sie „Morning has broken“ von Eleanor Farjeon, bekannt geworden durch Cat Stevens, und „Großer Gott, wir loben dich“. Enthusiastisch drückt das Publikum seine Begeisterung über das grandiose Konzert aus, sodass Zuzana Ferjenčíková noch zwei kleine, feine Zugaben draufsetzt.