Württembergischer Kunstverein Stuttgart

So feiert man 200 Jahre Kunstverein!

2027 wird der Württembergische Kunstverein Stuttgart 200 Jahre alt. Wie feiert man dies? Iris Dressler und Hans D. Christ setzen als Direktorenduo auf Forschung. Geht das gut?

NOH Suntag, Deer, 2008

© NOH Suntag/Archiv WKV

NOH Suntag, Deer, 2008

Von Nikolai B. Forstbauer

Ein Diener, ein Junge offenbar noch, trägt einen übergroßen zweiarmigen Leuchter, hinter ihm steht ein Mann in mittlerem Alter und von leicht untersetzter Statur. Der Mann hat die Arme hinter dem Körper verschränkt, doch die Geste unterstreicht weniger die eigene Würde als die einem Schullehrer des frühen 19. Jahrhunderts zugeschriebene Sehnsucht nach Kontrolle. Von 1797 stammt denn auch die Szenerie – ein Scherenschnitt von Luise Duttenhofer. „Goethe in Stuttgart“ ist das Blatt betitelt. Jedoch: Nur schmeicheln will Duttenhofer dem Dichterfürst offenbar nicht.

Nun wird das Werk von jener Institution präsentiert, die Duttenhofers Mann, der Kupferstecher Christian Duttenhofer, in den beginnenden 1820er Jahren mit auf den Weg bringt und 1827, zwei Jahre vor dem Tod von Luise Duttenhofer gegründet wird: der Württembergische Kunstverein. Ein Jubiläum von Rang deutet sich für 2027 an – 200 Jahre Württembergischer Kunstverein Stuttgart. Wie geht man mit diesem Datum und dieser möglichen Selbstehrung um?

Iris Dressler und Hans D. Christ, international renommiertes Leitungsduo des Kunstvereins, haben sich für das Prinzip forschende Annäherung entschieden. „Anschlüsse an 200 Jahre Gegenwart. Der Kunstverein und die Fiktionen von Souverän, Freiheit und Nation“ ist die Reise überschrieben, auf der in „Konstellationen“ Aspekte der Begriffe Souverän, Freiheit und Nation untersucht werden sollen.

Das klingt kompliziert? Unmissverständlich macht der Titel deutlich, dass man sich der Gegenwart des Württembergischen Kunstvereins nicht nähern kann, ohne die Bedeutung steter Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungen kenntlich zu machen. Und so ist der Vierecksaal des Kunstgebäudes am Schlossplatz in eine überdimensionale und in ihren einzelnen Bereichen erweiterbare Werkstatt verwandelt, in ein Labor, ein Archiv – und bleibt gerade damit Bühne für eine unbedingt sehenswerte Ausstellung, die „Konstellation 1“.

Folgerichtige Fragen nach Teilhabe

Als Blick zurück nach vorn unterstreicht die Schau über die Erinnerung an zahlreiche gesellschaftspolitische Ausstellungsthemen wie „Wohnsitz: Nirgendwo – vom Leben und Überleben auf der Straße“ (1982) die Einbindung des Kunstvereins unter Leitung von Uwe M. Schneede (1968 bis 1973) und Tilman Osterwold (1973 bis 1993) in die kritische Begleitung bundesdeutscher Reorganisation und der Versprechen auf gesellschaftliche Teilhabe. Keineswegs also ist die Akzentuierung solcher Programmatik in der Ägide von Iris Dressler und Hans D. Christ – bis hin zum Großprojekt „Three Doors“ (2024) über die rassistischen Morde von Hanau am 19. Februar 2020 – ungewöhnlich. Sie ist schlicht folgerichtig. Wie zugleich das Bemühen, mit nicht weniger ausdrucksstarken eigenen Setzungen herausragende künstlerische Positionen vorzustellen.

„Konstellation 1“ wagt nun den Spagat und entführt doch zugleich in die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Württembergische Kunstverein Stuttgart gegründet wurde und inwieweit insbesondere ökonomische Interessen Folgen zeigten.

Erster Vorsitzender des Kunstvereins etwa ist von 1827 bis 1832 der Kaufmann, Bankdirektor, Staatsbeamte und Mäzen Gottlob Heinrich Rapp. In seinem Haus in der Silberburgstraße 7 gastieren auch die Dichterfürsten Schiller und Goethe. Er lenkt früh die Tuchhandlung der Familie, die herzogliche Spiegelfabrik und schließlich die königliche Hofbank. Mit den Scherenschnitten Luise Duttenhofers blicken wir quasi hinter die Kulissen dieser Welt.

Ideologie kultureller Überlegenheit

Zu dieser Welt gehört bald auch der württembergische Griff nach dem Eigentum anderer Kontinente, anderer Kulturen. Eine eigene, vordergründig kaum wahrnehmbare Kette der Gewalt beginnt: Durch die Ideologie kultureller Überlegenheit gedeckte Raubzüge sorgen für Glanz in Stuttgart – und damit auch im Württembergischen Kunstverein. Wesentlich dieses Geld ist es denn auch, das in den späten 1920er Jahren den Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ermöglicht.

Harter Blick auf die Gegenwart

Findet dann aber in all solcher Bestandsaufnahme auch Kunst statt? Mit den Ideen von Forensic Architecture könnte man entgegnen, solche Identifikationen seien künstlerische Äußerungen. Besser wäre weiterhin von Annäherungen zu sprechen. Die Kunst, wie Daniel García Andújars 30-teilige Bildfolge „Cancel Culture“, seziert die Gegenwart mit hartem Blick. Andújar nutzt mit Materialien zu Aufständen und Unruhen gefüllte generative KI-Systeme, um auf „Lernprozesse“ aus Stereotypen aufmerksam zu machen. Noch mehr Fragen ergeben sich aus Vika Kirchenbauers Videoarbeit „Compassion and Inconvenience“. Die Frage nach den Anfängen öffentlicher Präsentationen von Kunst im London des 18. Jahrhunderts führt unversehens in die Methode des Ausschlusses von Menschen, die unterstellt Kunst nicht verstehen können. Die sich erst etablierenden nicht-höfischen Künstler sorgen so früh für eine Ungleichbehandlung. Dies kenntlich zu machen, wird erst wieder 150 Jahre später ein Thema – und zuvorderst von Kunstvereinen aufgegriffen.

Die Frage als zentrale Kategorie

Die Konstellation 1 lässt viel Raum. Das ist richtig und wichtig, provoziert indes auch Erwartungen an die Folgeschritte des Großprojektes „Anschlüsse an 200 Jahre Gegenwart“. Wie feiert man ein Jubiläum? Tastend, vielleicht gar erschrocken stolpernd, mit der Frage als zentraler Kategorie.

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Erstellt:
29. März 2025, 06:12 Uhr

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