Spuren führen zur Reichenau

Wenn auch bei Weitem nicht so berühmt, so weist das Murrhardter Januariuskloster doch einige Parallelen zum Kloster Reichenau auf. Der Kontakt zwischen den Klöstern wird von Historikern als überdurchschnittlich eng beschrieben.

Ansicht des Murrhardter Klosters von 1832. Fotoarchiv der Stadt Murrhardt

Ansicht des Murrhardter Klosters von 1832. Fotoarchiv der Stadt Murrhardt

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Herzogliche Hundemeuten, die im Kloster Murrhardt Dauerquartier bezogen hatten bis zur nächsten großen Jagdgesellschaft, wachsende Schulden und wesentlich geringere Einnahmen durch die Erhebung Murrhardts zur Stadt (1287) hatten dem Murrhardter Januariuskloster zu schaffen gemacht. Hinzu kamen Plünderungen während des Bauernkriegs und ein Lotterleben der Mönche, die dieser Bezeichnung nicht mehr gerecht wurden. Und dann kam auch noch die Reformation. Auf Anordnung Herzog Ulrichs von Württemberg (1487 bis 1550) wurde das Januariuskloster 1534 aufgelöst und demontiert, die Glocken zu Kanonen eingeschmolzen wie auch die Silberurne, in der das Herz Ludwigs des Frommen über Jahrhunderte geruht hatte.

Das über verschiedene Gemeinsamkeiten mit dem Januariuskloster verbundene Kloster Reichenau (Bodensee) feiert 2024 sein 1300-jähriges Bestehen. 724 erschien ein gewisser, wohl aus dem nördlichen Gallien stammender Pirmin auf der Reichenau. Durch Hass und Neid schon drei Jahre später wieder vertrieben, gilt Pirmin doch als der geistliche Begründer der Reichenau, das zu einer der führenden Abteien aufstieg. Sie zählte zu den wichtigsten Klöstern und Kunstzentren Europas. Davon kann in Murrhardt keine Rede sein. Das Januarius-Kloster war beispielsweise um das Jahr 1000 in keiner Weise mit der Comburg oder Neresheim vergleichbar. 300 Jahre später wurde überhaupt erst das Refektorium gebaut, wie Hans-Georg Zenker bei einer Führung in der Murrhardter Stadtkirche betonte.

Wie das Kloster Reichenau kann sich das Januariuskloster allerdings zumindest von seiner Urzelle her auch auf Pirmin berufen. 736 kam es nämlich zur Gründung der Pfarrkirche St. Maria, und das höchstwahrscheinlich durch ihn. So berichtet es Gallus Öhem, Chronist des Klosters Reichenau. Außerdem ist bekannt, dass Pirmin zu jenen Geistes- und Kirchenmännern gehörte, die die Karolinger bei der Ausdehnung ihrer Herrschaft einsetzten. Und das ausgerechnet in Murrhardt? Gewiss, denn die Grenze zum Alemannenreich lag südlich auf den Hügeln Murrhardts, das damit eine strategische Position erhielt.

Gebeinfragment des Januarius wurde von der Insel nach Murrhardt gebracht

Der kleinen, Maria geweihten Holzkirche war kein langes Leben beschieden. Sie befand sich dort, wo heute die Walterichskirche steht. Reste konnten bei einer archäologischen Ausgrabung 1963 nachgewiesen werden. Für die Anlage eines Klosters zu dieser Zeit fehlen allerdings die archäologischen Belege, schreibt Gerhard Fritz in „Kloster Murrhardt im Früh- und Hochmittelalter“. Er betont aber, dass „die Behauptung des Chronisten zur Entstehungszeit der kleinen Holzkirche“ passt, „sodass Pirmin vielleicht zumindest mitgewirkt haben könnte, vielleicht war auch der Anbau eines Klosters vorgesehen“. Tatsache ist: Allein in Frankreich wurden im 7. Jahrhundert wahrscheinlich mehr als 200 Klöster auf den Fundamenten ehemaliger römischer Bauten errichtet und in Murrhardt wurde das alte Römerkastell zum Stützpunkt der Franken. Und schließlich erfolgte die Gründung der Pfarrkirche St. Maria neben der damals noch vorhandenen Ruine eines römischen Mithras-Tempels, heißt es übereinstimmend in „St. Walterich und sein Kloster in Murrhardt“ von Rolf Schweizer.

Um das Jahr 814 erbat ein Abt Walterich von Ludwig dem Frommen die Erlaubnis zur Errichtung eines Benediktinerklosters in Murrhardt. Als angeblich illegitimer Sohn Karls des Großen könnte er ein Halbbruder Ludwigs des Frommen gewesen sein. Letzterer wurde später zwar in Metz bestattet, sein Herz kam aber in einer Urne nach Murrhardt. Sie fand ihren Platz im Altar der Klosterkirche, an dem sein angeblicher Bruder Walterich noch immer den Gottesdienst zelebrierte. Anwesend bei dieser Zeremonie war der Adel und auch „die Äbte von der Reichenau“ und anderen Klöstern „fehlten sicher nicht“, schreibt Rolf Schweizer. Die Walteriche, darauf weist Gerhard Fritz hin, erschienen in zahlreichen Klöstern, die häufig in engem Zusammenhang mit den Karolingern standen, und betrieben oft in entscheidenden Positionen Politik in ihrem Sinn. Offen bleibt allerdings für ihn die Frage, warum die Karolinger verschiedentlich in einem überdurchschnittlich engen Kontakt mit zwei Klöstern wie Neustadt und Murrhardt standen, die im Vergleich zu den großen Königsklöstern doch recht unbedeutend waren.

Ludwig der Fromme stiftete schließlich 817 ein Kloster, dem neben Walterich als Abt noch zwölf Mönche vom Kloster Reichenau als Brüder angehörten, die er persönlich ausgewählt hatte. Leben und Arbeiten nach den Regeln des heiligen Benedikt, der St. Gallener Klosterplan als Vorlage für den anzulegenden Klostergarten und der gemeinsame Urgründer Pirmin verbinden Reichenau und Murrhardt ebenso wie ihre Weihung Marias, die Trinität (Dreifaltigkeit Gottes) und vor allem das in Süddeutschland sehr seltene Januariuspatrozinium. Gerhard Fritz berichtet: „838 wurden die Reliquien dieses Heiligen von Lothar I. dem Kloster Reichenau übertragen. Das Patrozinium kann also nur von dort nach Murrhardt gekommen sein.“ Rolf Schweizer führt aus: „Kaiser Ludwig kam als ein vom eigenen Sohn besiegter alter Mann von der Insel Reichenau nach Murrhardt und brachte etwas mit: ein Gebeinfragment des Märtyrerbischofs Januarius von Benevent.“ Er war bei der letzten Christenverfolgung im Römischen Reich zu Tode gekommen, die Skelettreste kamen aus Unteritalien auf die Insel Reichenau. Nun wurde die Reliquie in einer feierlichen Prozession im Beisein des Kaisers in die Murrhardter Kirche gebracht.

Das Januariuspatrozinium ist also ein weiterer und sehr eindeutiger Beleg der engen Beziehung zwischen den Klöstern. Während für Murrhardt keine Januariusprozessionen bekannt sind, wurde Januarius für die ganze Insel Reichenau zum Schutzheiligen, dessen Schrein jedes Jahr in großer Prozession über die Äcker, Gemüsefelder und Weingärten der „Gemüseinsel“ getragen wird. Und in der Stadt des „Bruderklosters“ Murrhardt findet jedes Jahr im Juni der Januariusmarkt statt. Und am Karfreitag gedachte man einst des Klostergründers Walterich. „Es wimmelte von Menschen, die hierherkamen, um das Grab des als heilig verehrten Walterichs“ zu besuchen, erzählt Martha Zügel geborene Schraishuhn in „Lang, lang ist’s her. Murrhardter Erinnerungen“.

Eine Ahnung von Gestaltung und Aussehen des ehemaligen Murrhardter Klostergartens könnte der nach dem St. Gallener Klosterplan errichte Klostergarten auf der Reichenau geben, der wieder neu aufgestellt wird. Dass dort die gleichen Kräuter wuchsen, die der Reichenauer Mönch Walahfried Strabo (849 in der Loire ertrunken) in einem Gedicht, dem ersten Gartenbuch Deutschlands, beschrieb, ist anzunehmen.

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Erstellt:
16. Januar 2024, 06:00 Uhr

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