Stadt: Ressourcen für Geflüchtete erschöpft

Nach Erläuterung der aktuellen Lage zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen seitens der Verwaltung berät der Gemeinderat über einen Appell an den Bund, die Migrations- und Flüchtlingspolitik anzupassen. Der einstimmige Beschluss soll auf die Dringlichkeit hinweisen.

Als Erstunterbringung dienen in Murrhardt die Wohncontaineranlage in der Fritz-Schweizer-Straße (Foto) und das Haus Emma der Erich-Schumm-Stiftung. An beiden Standorten leben rund 190 Menschen; es sollen bald 70 hinzukommen. Archivfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Als Erstunterbringung dienen in Murrhardt die Wohncontaineranlage in der Fritz-Schweizer-Straße (Foto) und das Haus Emma der Erich-Schumm-Stiftung. An beiden Standorten leben rund 190 Menschen; es sollen bald 70 hinzukommen. Archivfoto: Alexander Becher

Von Christine Schick

Murrhardt. Die anhaltend hohen Zahlen an Flüchtlingen, welche nach Europa und Deutschland kommen, beschäftigen die politisch Verantwortlichen seit Monaten, genauso wie die Städte und Gemeinden, die die Menschen vor Ort aufnehmen. So stand bei der jüngsten Gemeinderatsitzung denn auch das Thema „Aktuelle Flüchtlingssituation in der Stadt Murrhardt und kommunale Erwartungen an den Bund“ auf der Tagesordnung. Grundlage für die Beratung war eine Vorlage der Stadtverwaltung zu Flüchtlingszahlen in Baden-Württemberg und in der Stadt Murrhardt sowie zu Strategievorschlägen der kommunalen Landesverbände für eine Begrenzung der Zahlen und Verbesserung der Lage aus ihrer Sicht.

Bürgermeister Armin Mößner erläuterte, dass diese Vorschläge im Sinne der kommunalen Erwartungen an den Bund zurzeit in vielen Städten und Gemeinden zur Abstimmung kämen. „Das soll zeigen, wie brennend das Thema ist und dass es so nicht weitergehen kann“, sagte er. Insofern solle dies im Gemeinderat beraten werden, der mit entsprechendem Beschluss ein Zeichen setzen könne.

Schon im Frühjahr haben die kommunalen Landesverbände unter der Federführung des Gemeindetags einen Zwölfpunkteplan, auch bekannt als „Stuttgarter Erklärung“, für eine aus ihrer Sicht realitätsbezogene Flüchtlingspolitik vorgelegt, den Mößner als Grundlage nahm und in der Sitzung erläuterte. Er enthalte vernünftige Vorschläge, wobei das Grundrecht auf Asyl trotzdem gewahrt bleibe.

„Stuttgarter Erklärung“ als Grundlage

Unter anderem fordert die „Stuttgarter Erklärung“ eine gleichmäßige Verteilung der Zuwanderer auf ganz Europa und eine Angleichung der Sozialleistungen. Außerdem wünschen sich die Vertreter der Kommunen und Landkreise „nationale Ankunftszentren“, wo Neuankömmlinge nicht nur registriert werden, sondern wo innerhalb von 24 Stunden auch ihre Chancen auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geprüft werden. Geflüchtete ohne Bleibeperspektive sollen direkt aus diesen Ankunftszentren wieder abgeschoben werden. So würden nur noch Menschen, die sich berechtigte Hoffungen auf eine Aufenthaltsgenehmigung machen dürfen, an die Länder und in die Kommunen verteilt.

Mößner stellte fest, dass die Flüchtlingszahlen mittlerweile deutlich über dem Niveau der Jahre 2015/16 lägen, und kam zur Lage in Murrhardt. Dort sind es zurzeit rund 190 Geflüchtete, die in der Wohncontaineranlage in der Fritz-Schweizer-Straße sowie im Haus Emma der Erich-Schumm-Stiftung im Sinne der Erstunterbringung leben und für die der Landkreis zuständig ist. Es werden bis zu 70 weitere Geflüchtete erwartet, die nach Murrhardt kommen und ebenso ein Dach über dem Kopf benötigen. Hinzu kommen 87 geflüchtete Menschen, die zurzeit im Zuge der Anschlussunterbringung (nach Abschluss des Asylverfahrens oder spätestens nach 24 Monaten) in städtischen Wohnungen beziehungsweise Gebäuden leben. Diese Zahl steigt noch in diesem Jahr um 62 weitere Personen an, erläuterte Mößner. „Wir stehen vor der großen Frage, wie wir das bewerkstelligen können.“

Mit Blick auf das kommende Jahr und die Aussicht, erneut 70 bis 80 Geflüchtete aufnehmen zu müssen, sollte die Situation so bleiben, machte der Bürgermeister klar, dass die Kapazitäten erschöpft seien. „Das heißt, wir müssten entweder auf Turnhallen zurückgreifen oder zusätzliche Wohncontainer aufstellen“, sagte er. Damit sei es aber nicht getan, denn auch die Plätze in Kindergärten seien fast voll belegt. Ähnlich sieht es in den Schulen aus. Mittlerweile gebe es sieben Vorbereitungsklassen, bei denen die freien Plätze überschaubar seien (am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium etwa zehn und einzelne in der Hörschbachschule). Die ärztliche Versorgung sei fast nicht mehr zu leisten, hinzu komme nun das aktuelle Problem rund um die Notfallpraxen, das die Lage weiter verschärfen dürfte (wir berichteten). Die Belegung der Zelte in Backnang zeige die schwierige Lage.

Insofern plädierte Mößner, über einen Beschluss zu signalisieren, dass die Belastungsgrenze erreicht sei und so auch ein Signal von kommunaler Seite aus zu senden.

Aus den Fraktionen kam Unterstützung. Martin Stierand (MDAL/Die Grünen) machte deutlich, dass es bei der Aufnahme nicht nur um Zahlen, sondern um eine Integration gehe, die auch umsetzbar sein müsse. Genau diese habe sich beispielsweise beim Arbeitsmarkt bisher als schwierig erwiesen. Er sehe sich auch in Bezug auf die Bürger in der Verantwortung. „Einen Kontrollverlust will niemand“, sagte er und wünsche sich ein klares Signal durch einen einstimmigen Beschluss.

Lob für die bisherige Arbeit der Stadt

Elisabeth Zenker (SPD) stellte fest, dass das Thema die Menschen seit Wochen und Monaten beschäftige und man sich bewegen müsse, um Lösungen zu finden. Ihr sei mulmig geworden, was auf die Stadt zukomme. Ein großes Lob sprach sie der Verwaltung aus, die bisher immer noch eine Lösung beim Handling vor Ort gefunden habe. Zu ihrer Frage nach einer möglichen Entlastung durch eine Chipkarte für Flüchtlinge, die in letzter Zeit viel diskutiert worden sei, merkte Mößner an, dass dies das Landratsamt als zuständige Behörde beträfe, man in Dänemark damit aber wohl gute Erfahrungen gemacht habe.

Andreas Winkle (CDU/FWV) merkte an, auch Gemeindetagspräsident Steffen Jäger habe deutlich gemacht, dass die Belastungsgrenze erreicht sei. Ohne einen kontrollierten Zuzug werde die Integration scheitern. Baden-Württemberg habe vergangenes Jahr so viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen wie Frankreich insgesamt. Eine Harmonisierung der Leistungen mache Sinn. Winkle problematisierte auch die Situation an Schulen. Ohne vorherigen gezielten Sprachunterricht sei eine Integration geflüchteter Kinder und Jugendliche schwierig und wirke sich auf das Unterrichtsniveau insgesamt aus.

Markus Blank (UL) sagte, dass es schon länger schwierig sei, die geflüchteten Menschen, die in Murrhardt ankommen, unterzubringen. Es stelle sich die Frage, wie dies künftig zu schaffen sei und weitergehen könne. Insofern müsse man eine Grenze ziehen. „Wir hoffen, dass wir die kommenden Aufgaben lösen können“, sagte er. Und zwar ohne in Murrhardt Zelte aufstellen zu müssen.

Der Gemeinderat stimmte geschlossen für den Verwaltungsappell und bekräftigt damit, dass bei der Unterbringung, Versorgung und Integration vor Ort die Belastungsgrenze erreicht ist.

„Stuttgarter Erklärung“

Unterlagen Die „Stuttgarter Erklärung“ findet sich im digitalen Ratssystem der Stadt unter dem Sitzungsdatum (26. Oktober) und Tagesordnungspunkt unter https://service.murrhardt.de/bi/info.asp. In der Vorlage ist darüber hinaus noch ein Vorschlag für ein Sofortprogramm des Gemeindetags vom September ausgeführt.

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Erstellt:
28. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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