Statistikpionier und fleißiger Publizist
Vor 160 Jahren kam Hermann Julius Losch in Murrhardt zur Welt. Ab 1922 war der Theologe und Nationalökonom Präsident des Württembergischen Statistischen Landesamts. Vor 100 Jahren verlieh die Stadt ihm die Ehrenbürgerwürde.

Hermann Losch war vielseitig interessiert. Besonders gereizt haben ihn Volkswirtschaft und Statistik. Die Teilnahme bei einem Wettbewerb verschaffte ihm ein Stipendium, mit dem er beides in Berlin studieren konnte. Foto: Stadtarchiv Murrhardt
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Hermann Julius Losch war eine außergewöhnlich vielseitige Persönlichkeit und als Theologe, Nationalökonom, Statistiker sowie Präsident des Württembergischen Statistischen Landesamts tätig. Am 16. Januar 1863 kam er in einer Lehrerfamilie in der Walterichstadt zur Welt, wo er auch in die Lateinschule ging. Auf Wunsch seiner Eltern besuchte er die evangelischen theologischen Seminare in Maulbronn und Blaubeuren und studierte in Tübingen von 1881 bis 1885 Theologie.
1885 legte Losch die erste, 1888 die zweite Dienstprüfung ab und war anschließend kurz als Vikar in Winterbach im Remstal tätig. Doch Nationalökonomie und Statistik interessierten ihn noch mehr. 1887 promovierte er mit einer Dissertation über den französischen Philosophen der Aufklärung Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet. Bei einem Volkswirtschaftswettbewerb gewann er den ersten Preis und bekam ein Stipendium, um 1888/89 in Berlin Volkswirtschaft und Statistik zu studieren.
Karriere im Statistischen Landesamt
und ein großes Familienprojekt
Anschließend war Hermann Losch drei Jahre Privatsekretär des württembergischen Industriellen und Reichstagsabgeordneten Gustav Siegle. Während seiner folgenden Pfarrtätigkeit in Leutkirch fiel er durch seine statistischen Kenntnisse auf. Daraufhin berief man ihn 1893 ins Württembergische Statistische Landesamt in Stuttgart, wo er schnell Karriere machte. 1895 wurde er Finanzrat. Im selben Jahr heiratete er die Kaufmannstochter Paula Keppelmann, das Ehepaar bekam fünf Söhne und zwei Töchter. 1906 avancierte er zum Oberfinanzrat, 1918 zum Direktor und 1922 zum Präsidenten des Landesamts, eine Stellung, die er bis zu seiner Pensionierung 1930 bekleidete.
Seine Veröffentlichungen, vor allem sein 1887 erschienenes Werk „Volksvermögen, Volkseinkommen und ihre Verteilung“, verschafften ihm eine Stelle als Privatdozent für Volkswirtschaft an der Technischen Hochschule Stuttgart. Zudem erhielt er Lehraufträge für Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim und eine Honorarprofessur für Statistik an der Universität Tübingen. Nach Auskunft von Heimatgeschichtsforscher Christian Schweizer war der Textilfabrikant, Politiker und spätere Widerstandskämpfer Fritz Elsas Student bei Hermann Losch in Hohenheim. Als Präsident des Landesamts engagierte sich Losch für einen Ausgleich zwischen Reichs- und Landesstatistik und bekämpfte das herrschende Übermaß zentralistischer Reichsstatistik. Er gehörte zu den Pionieren regionaler Statistik und gab 1895 erstmals eine Gemeinde- und Bezirksstatistik für das Königreich Württemberg heraus. Bei einem Besuch in den USA 1904 lernte Hermann Losch den Deutschamerikaner Herman Hollerith kennen und dessen Erfindung, die elektrische Zähl- und Tabelliermaschine. Dieses System, das die Arbeit der amtlichen Statistik entscheidend erleichterte, nutzte Losch erstmals bei der Volkszählung 1910. Es bestand aus Lochkarten, einem Kartenlocher, einer Stiftbox als Kartenleser, elektromagnetischen Zähluhren und einem Sortierkasten.
Pionierarbeit leistete der Statistiker auch mit seinen Schriften zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die er seit 1887 veröffentlichte und die maßgeblich für die spätere Bestimmung des Sozialprodukts wurden. Loschs Publikationen betrafen auch soziale Fragen wie Löhne, Preise und Kinderarbeit. Eine 1925/26 veröffentlichte Arbeit warnte vor dem Missbrauch der Statistik und zeigte seine kritische Grundhaltung zu statistischen Fragen.
Losch schrieb Kurzgeschichten, die gesellschaftliche Themen reflektierten
Hermann Losch war auch als Dichter, Satiriker und Philosoph aktiv: 1916 veröffentlichte er „Unerwartete Geschichten“, eine Sammlung von 20 satirischen Kurzgeschichten gegen unerfreuliche Auswüchse des politischen und gesellschaftlichen, geistigen und literarischen Lebens. Während des Ersten Weltkriegs fielen seine beiden ältesten Söhne. Losch litt unter der Niederlage und deren schwerwiegenden Folgen. In den Jahren nach Kriegsende ließ er die Villa in der Römerstraße unter Regie von Architekt Albert Schüle, dem Vater der Malerin und Trägerin der Bürgermedaille Trude Schüle, bauen.
Von 1924 bis 1933 gab Losch im Selbstverlag „Trau – schau – wem! Deutsche Monatsschrift gegen den geistigen Tiefstand“ heraus. Darin setzte er sich satirisch-kritisch mit aktuellen Missständen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur auseinander, wobei seine konservative Gesinnung und evangelische Religiosität zum Ausdruck kamen. Die zahlreichen Veröffentlichungen brachten ihm hohe Ehren ein, so die Mitgliedschaft in europäischen Vereinigungen und im Internationalen Statistischen Institut. Am 17. Januar 1923 verlieh seine Heimatstadt Hermann Losch die Ehrenbürgerwürde. Am 10. Dezember 1935 starb er in Stuttgart. Loschs Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof in Degerloch.