Stellt die Ampel Stuttgart 21 auf Rot?
Die Komplikationen beim Rosensteinviertel sind ein Tiefschlag für die Stadt. Es braucht umgehend Klarheit.
Von Christian Milankovic
Stuttgart - Es wäre der Schluss- und Tiefpunkt in einer zermürbenden Projektgeschichte: Stuttgart 21 hat in der Stadt Zwietracht gesät wie kaum etwas zuvor. Der Bau der neuen Bahnanlagen beeinträchtigt die Menschen, die trotz allem weiterhin die Bahn benutzen wollen und all jene, die jahrelang in Hörweite von Bagger & Co. leben müssen. Das Megaprojekt, das sich immer wieder verteuert, droht ein riesiges Loch in die Bahn-Kassen zu reißen. Und es konnte sich nie gänzlich vom Verdacht befreien, nicht das zu liefern, was versprochen wurde.
Würde nun auch noch wegen einer Gesetzesänderung auf Bundesebene, mit der bestehende Bahnstrecken geschützt werden sollen, der von Stuttgart mit wachsender Ungeduld herbeigesehnte Städtebau auf den Gleisflächen unmöglich gemacht, wäre auch das letzte Argument entkräftet, mit dem die Pläne selbst gegen erbitterte Widerstände vorangetrieben wurden.
Die Erzählung geht so: Stuttgart kann auf Wohnungsbau auf den Grünflächen am Rand der Stadt verzichten, wenn perspektivisch 5000 neue Wohnungen dort entstehen, wo heute noch Züge rollen, abgestellt, gewartet und gereinigt werden. Man planiere nicht Äcker und Wiesen am Saum der Stadt, sondern verwandle lieber die Schotterwüste am Rand der City in ein vitales Quartier.
Wenn nun außer zig Beteiligungsformaten, Rahmenplänen und vielen bunten Bildchen nichts von alledem übrig bliebe, müsste die Stadt ihre Städtebaustrategie gänzlich neu aufstellen. Wer weiß, wie lange heute schon ein vergleichsweise schlichter Bauantrag durchs Rathaus mäandriert, kann sich ausmalen, dass angesichts des dann anstehenden Arbeitspensums in den Amtsstuben schnelle Entspannung am gebeutelten Wohnungsmarkt nicht zu erwarten wäre.
Der Landeshauptstadt ist allenfalls ein sachter Vorwurf zu machen, nicht schon längst für rechtlich klare Verhältnisse auf den von ihr Ende 2001 erworbenen Flächen gesorgt zu haben. Allerdings musste das Rathaus zusehen, wie sich sämtliche von der Bahn gestellten zeitlichen Prognosen, wann die oberirdischen Gleisflächen denn geräumt werden könnten, als zu optimistisch herausstellten. Neben den Kosten- waren auch die Terminpläne von Stuttgart 21 einem konstanten Wandel ausgesetzt.
Nein, die eigentlich Verantwortlichen für das sich nun abzeichnende Fiasko sitzen in Berlin. Gefordert sind nun die Bundestagsabgeordneten, von denen mancher einräumt, die Tragweite der im Dezember 2023 in Kraft getretenen Gesetzesänderung nicht überblickt und sich stattdessen auf die Formulierungen aus dem Fachministerium verlassen zu haben. Das ist ein Armutszeugnis. Die Abgeordneten als Legislative haben gerade den Auftrag, die Ministerien als Teil der Exekutive zu kontrollieren und deren Tun zu hinterfragen.
Das Ansinnen, möglichst viel Schieneninfrastruktur zu erhalten, ist nicht verkehrt, aber der Regelungswille muss Maß und Mitte kennen. In der bestehenden, verschärften Fassung wird das Gesetz noch ganz andere Nachnutzung verhindern, als nur den Städtebau in Stuttgart. Ist die Ampel bei der Gesetzesänderung übers Ziel hinausgeschossen, so muss sie sich korrigieren.
Aber auch die Rathaus-Spitze muss einen Zahn zulegen bei der Klärung der neu eingetretenen Sachlage. Was zählt, ist Tempo, damit die Rosensteinpläne, so überhaupt noch eine Aussicht auf Realisierung besteht, nicht noch weiter in die Zukunft verschoben werden. Die Alternative dazu ist ein belastbares und mit Terminen hinterlegtes Konzept, wie auch ohne Rosenstein der Wohnungsbau beschleunigt werden soll. Und bitte: die dabei zu erwartenden Konflikte um bisher unbebaute Flächen gleich miteinpreisen.