Stuttgart 21: Region schlägt Alarm
Im Großraum Stuttgart verschärfen Baustellen für Stuttgart 21 die ohnehin angespannten Bahnverhältnisse. Der Regionalverband fordert mehr Unterstützung von den Bauherren.

© Lichtgut/Julian Rettig
Nur nicht die Orientierung verlieren: Wegweiser in Zeiten des Ersatzverkehrs am Stuttgarter Hauptbahnhof
Von Christian Milankovic
Stuttgart - Bahnreisenden wird viel zugemutet: Zum allgemeinen Verfall des bundesweiten Schienennetzes, der Züge bremst oder gleich ganz ausfallen lässt, kommen im Großraum Stuttgart noch die Baustellen für das Projekt Stuttgart 21 dazu. Und je näher die Inbetriebnahme rückt, desto heftiger werden die Auswirkungen für Fahrgäste und Bahnunternehmen. Deutlicher als je zuvor weist nun der für den S-Bahn-Verkehr zuständige Regionalverband (VRS) auf diese Missstände hin und fordert von den Stuttgart-21-Bauherren mehr Engagement beim Abfedern der negativen Auswirkungen für die Passagiere.
Der Regionalverband analysiert in einem Papier, das an diesem Mittwoch im Verkehrsausschuss der Regionalversammlung diskutiert wird, die baustellenbedingte Lage im Schienennetz in der und rund um die Landeshauptstadt. „Je detaillierter die Ausplanung der erforderlichen Bauzustände erfolgt, umso klarer wird das Gesamtbild der notwendigen betrieblichen Einschränkungen“, heißt es in der Zustandserfassung. Davon seien „alle Angebote des Eisenbahnverkehrs und alle Strecken im Zulauf auf den Knoten Stuttgart je nach Bauzustand in unterschiedlichem Maße betroffen“. Wer darauf gebaut hatte, dass die Belastungen in dem Maße nachließen, wie die Inbetriebnahme – derzeit für Dezember 2026 prognostiziert – näher rückt, liegt falsch.
Auch die Verschiebung der Eröffnung um ein Jahr hat zu keiner Entspannung im Terminplan geführt. Im Gegenteil kommt der Regionalverband zur Erkenntnis, dass „die Menge der bauzeitlichen Sperrungen sukzessive zunimmt, eine regelkonforme Anmeldung der sich neu ergebenden Sperrpausen nicht mehr möglich ist und einhergeht mit einer Anspannung der Gesamtsituation“. Die teilweise als sehr kurzfristig empfundene Einrichtung neuer Baustellen hatte zuletzt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) massiv verärgert. Und der Regionalverband konstatiert mit Blick auf das volatile Eröffnungsdatum des Gesamtvorhabens: „Die versprochene Entlastungswirkung durch diese Verschiebung im Hinblick auf Bauzustände und ausreichende Testzeiträume ist nicht eingetreten.“
Der Verband beklagt wie schon zuvor Hermann, dass die Bahnunternehmen kaum in der Lage seien, ein verlässliches und funktionierendes Ersatzkonzept auf die Beine zu stellen. Das liege an „der Menge, der Dauer und der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Sperrungen“. Die Region belässt es aber nicht bei der Bestandsaufnahme, sondern stellt konkrete Forderungen auf. Aus Sicht des VRS sind vor allem die für den Bau von Stuttgart 21 zuständige Bahn-Projektgesellschaft PSU und die Verwalterin des Schienennetzes, die DB Infra Go, in der Pflicht. Es bestehe die „zwingende Notwendigkeit“, diese beiden Bahn-Gesellschaften „an der Finanzierung, Planung und Organisation der Ersatzverkehre zu beteiligen“. Als positives Beispiel, wie es laufen kann, führt die Region die lange Sperrpause an, als 2023 die Bahnstrecke zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen über Wochen hinweg gesperrt war. Insbesondere Infra Go müsse nun liefern und erklären, wo durch Anpassung von „Bahnsteighöhen und -längen für die Nutzung durch S-Bahn-Fahrzeuge ein möglichst leistungsfähiger Schienenverkehr aufrechterhalten werden kann“.
Es sei „dringendes Handeln erforderlich“, schlussfolgert die Region. Die Bahn solle bis zum nächsten S-21-Lenkungskreis verlässliche Planungsgrundlagen für 2025 und 2026 zu den geplanten Sperrungen vorlegen. Das Spitzengremium aller Projektpartner tritt voraussichtlich am 19. Mai wieder zusammen. Zudem fordert die Region, schnellstmöglich ein Gremium ins Leben zu rufen, „in dem die Thematik der Organisation und der Finanzierung der erforderlichen Schienenersatzverkehre diskutiert und gemeinsam eine Lösungsfindung erarbeitet wird“.
Das Verhältnis zwischen der Region, die zu den Projektpartnern und -finanziers von Stuttgart 21 gehört, und der Bahn ist spätestens seit vergangenem Dezember nicht mehr gänzlich frei von Spannungen. Damals hatte das bundeseigene Unternehmen eine Vereinbarung zur weiteren Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik in der Region platzen lassen. Für diesen dritten Ausbauschritt des sogenannten Digitalen Knotens Stuttgart (DKS) gab es eine Finanzierungsvereinbarung, die die Bahn mit einem Gremienvorbehalt belegte, der bis Ende 2024 nicht aufgehoben wurde, „wodurch ein Teil der zur Verfügung stehenden Bundesmittel Ende letzten Jahres verfallen sind“, wie die Region feststellt. Ob der Bund abermals zu einer Finanzierungszusage gewillt ist im Lichte der Tatsache, „dass die DB AG ihre Digitalisierungsstrategie angepasst hat“, bleibt abzuwarten. Die Region erkennt hierin „eine sehr ambitionierte Aufgabe“.