Thomas Tuchel in England – macht er sich „unsterblich“?

Das Ziel ist klar: England will den zweiten WM-Titel nach 1966 – und ein Ex-Blauer ist als derjenige auserkoren, der das Team dorthin führen soll.

Thomas Tuchel bei seiner Vorstellung als künftiger Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft.Thomas Tuchel bei seiner Vorstellung als künftiger Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft.

© dpa/Alberto Pezzali

Thomas Tuchel bei seiner Vorstellung als künftiger Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft.Thomas Tuchel bei seiner Vorstellung als künftiger Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft.

Von Dirk Preiß

London/Stuttgart - Von den Stuttgarter Kickers sind noch keine öffentlichen Glückwünsche bekannt – obgleich man auf der Waldau die Trainerkarriere des früheren Profis der Blauen recht genau verfolgt. Als Thomas Tuchel einst mit dem FC Chelsea die Champions League gewann, gab es, zum Beispiel, einen netten Gruß aus Degerloch.

Und nun? Braucht es die Kickers nicht unbedingt. Denn Thomas Tuchel bekam am Dienstag ja Unterstützung von deutlich höherer Stelle. „Thomas“, Prinz William auf X (ehemals Twitter), „wir wünschen dir viel Glück und stehen alle hinter dir.“ Der britische Thronfolger sieht „spannende Zeiten“ kommen. So begeistert wie der 42-Jährige sind aber nicht alle auf der Insel.

So oder so – nun ist öffentlich, was schon am 8. Oktober vertraglich fixiert worden ist. Dass Thomas Tuchel, 51 Jahre alt, ab dem 1. Januar 2025 Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft sein wird. Bis nach der WM 2026 soll er bleiben und im Idealfall dann mit den Three Lions den Titel geholt haben. Erst der dritte nicht-englische Coach ist Tuchel, dem der Fußballverband FA sein Nationalteam anvertraut – nach dem Schweden Sven-Göran Eriksson (Januar 2001 bis Juli 2006) und dem Italiener Fabio Capello (Dezember 2007 bis Februar 2012).

„England muss bis zum letzten Mann im Trikot englisch sein“, schrieb die „Daily Mail“ und betonte: „Wir brauchen keinen Thomas Tuchel, sondern einen Patrioten, für den das Land an erster, zweiter und dritter Stelle steht.“ Sturm-Legende Gary Lineker ergänzte: „Ich denke, dass der Trainer einer Nationalmannschaft auch aus dem Land selbst kommen sollte.“ Tuchel reagierte mit Humor auf die erwartbaren Diskussionen, die seine Verpflichtung ausgelöst haben. „Es tut mir leid, ich habe nur einen deutschen Pass“, sagte er bei seiner Vorstellung – und weiß aber auch, dass er seinen Teil dazu beitragen muss, die Debatte schnell zu beenden: „Hoffentlich kann ich sie überzeugen und ihnen zeigen und beweisen, dass ich stolz bin, der Trainer Englands zu sein und alles für diesen Job gebe.“ Alle könnten da sicher sein.

Sicher waren sie in England überhaupt nicht mehr, dass Gareth Southgate der richtige Coach für das Nationalteam ist. Für den früheren englischen Nationalspieler war demnach nach der EM im vergangenen Sommer Schluss. Seitdem lief die Suche nach einem Nachfolger. „Unser Ziel war es, ein Trainerteam zu verpflichten, das uns die bestmögliche Chance gibt, ein großes Turnier zu gewinnen“, sagte FA-Chef Mark Bullingham. Tuchel wird mit seinem langjährigen Assistenten Anthony Barry zusammenarbeiten und genießt seit seinen Erfolgen mit dem FC Chelsea London auf der Insel einen exzellenten Ruf. Er gewann nicht nur die Champions League, sondern auch den Super Cup und die Club-WM. Zuletzt arbeitete er beim FC Bayern München, vor seinem Engagement beim FC Chelsea zudem noch bei Paris Saint-Germain, bei Borussia Dortmund und beim 1. FSV Mainz 05.

Eingestiegen ist der im schwäbischen Krumbach geborene Tuchel in den Trainerjob allerdings in der Nachwuchsabteilung des VfB Stuttgart. Zuvor war er selbst Zweitligaprofi bei den Kickers (in dieser Zeit jobbte er auch in einer Stuttgarter Bar) und beim SSV Ulm gewesen. Nach seiner Zeit beim VfB ging es über den FC Augsburg nach Mainz, wo er 2009 erst wie in Stuttgart 2005 mit den A-Junioren den deutschen Meistertitel gewann – ehe er direkt vor dem ersten Spieltag der Saison 2009/2010 zu den Bundesligaprofis befördert wurde.

Es folgten Jahre, in denen Tuchel mit den Mainzer „Bruchweg-Boys“ die Bundesliga aufmischte. 2015 ging er als Nachfolger von Jürgen Klopp zum BVB, mit dem er zwar 2017 den Pokal gewann, danach aber eher im Unfrieden ging. Mit der Pariser Startruppe erreichte er das Finale der Champions League, scheiterte aber 2020 am FC Bayern. Ein Jahr später, und nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt, gelang dann mit dem FC Chelsea mit dem Sieg in der Königsklasse der größte Erfolg seiner bisherigen Trainerlaufbahn.

Beim 1. FSV Mainz wünschten sie ihrem ehemaligen Coach am Dienstag „viel Erfolg“ – garniert mit dem Hinweis: „Er weiß, wie man einen Pokal in die Höhe stemmt.“ Mit den Rheinhessen war es die A-Jugend-Meisterschaft. In England sehnen sie eine ganz andere Trophäe herbei – seit fast 60 Jahren.

Insofern ergibt sich der Auftrag an Thomas Tuchel von ganz allein. Der 51-Jährige, der den wichtigsten Trainerjob auf der Insel als „großes Privileg“ sieht, soll das Team um den Kapitän Harry Kane (die beiden kennen sich aus München) erst zur WM in Kanada, Mexiko und den USA – und dort zum Titel führen.

Bei aller Kritik an der Entscheidung des Verbandes – es gibt auch namhafte Stimmen, die Tuchel genau das zutrauen. „Ich gehe sogar so weit zu sagen“, sagte der Ex-Nationalverteidiger Rio Ferdinand, „dass Thomas Tuchel in seiner Zeit mit England ein Turnier gewinnt.“ Der Coach versprach: „Wir werden alles tun, um den Traum wahr werden zu lassen.“ Sollte das gelingen, meinte wiederum Ferdinand, „ist er unsterblich“.

Und die Kickers würden sicher gratulieren.

Zum Artikel

Erstellt:
16. Oktober 2024, 22:07 Uhr
Aktualisiert:
17. Oktober 2024, 21:53 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen