Überraschend großen Turm entdeckt

Die Ausgrabung in der Stadtkirche vor 50 Jahren (2) Um 828 stand die erste karolingische Klosterkirche, um 1000 folgte eine romanische Basilika. Weitere Etappen waren um 1100 die Türme, nach 1300 der Ostchor und im 15. Jahrhundert der spätgotische Bau.

Die Aufnahme zeigt Reste der Krypta. Fotos: Carl-Schweizer-Museum

Die Aufnahme zeigt Reste der Krypta. Fotos: Carl-Schweizer-Museum

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Im Verlauf der Ausgrabungsarbeiten in der Murrhardter Stadtkirche kam es mehrfach zu Überraschungen, erinnert sich deren Leiter Rolf Schweizer. Erst dank der archäologischen Befunde ist nun klar, dass es zwei Vorgängerklosterkirchengebäude gab, hinzu kamen weitere Bauabschnitte. Die erste karolingische Klosterkirche wurde nach der Klostergründung 816/17 bis um 825/828 erbaut: „Vom karolingischen Murrhardt kannte man bisher keinen einzigen Stein“, erzählt der Zeitzeuge. Das Archäologenteam legte den Grundriss einer Kirche frei, die über 20 Meter lang und insgesamt 15 Meter breit war, wozu auch seitliche Nebenräume im mittleren und östlichen Bereich gehörten. Ebenso ein noch weitgehend erhaltener, qualitätsvoller Kalkestrichfußboden, auch traten Abdrücke und Standspuren verschiedener späterer Einbauten zutage. So ein von Chorschranken umgebener Bereich östlich der Mitte der Kirche, der als Schola bezeichnet werden kann, also ein spezieller Raum, der als zentrales Schulungszentrum diente. Und ganz im Osten des Chors wiesen wenig breitere Fundamente auf ein etwas höheres Chorgebäude hin, so Schweizer.

Die Klausur lag südlich der

Kirche, der Friedhof im Norden

Schon bald nach der Weihe erfolgte die Erweiterung der Kirche durch den Bau eines nach Westen offenen Vorhofs, vielleicht eines kreuzgangartigen Paradiesgartens. Die Klausur, der Gebäudetrakt für die Mönche, schloss sich im Süden der Kirche an und im Norden lag der Friedhof. In einer Abbruch- oder auch Aufbauschicht zeigte sich sporadisch da und dort noch erkennbar eine Brandspur, welche auf ein Schadenfeuer hinweisen könnte. Ob dieser Brand schon länger zurücklag und mit den auch in der Region häufigen Überfällen von ungarischen Reiterhorden in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Verbindung stand oder erst in der zweiten Jahrhunderthälfte geschah, konnte man jedoch nicht erkennen, berichtet der Experte.

Um 1000 errichtete man eine neue, völlig anders konzipierte und größere ottonisch-romanische Basilika, wobei man möglichst viel vom alten Baumaterial wiederverwendete. Sie war 40 Meter lang, hatte einen Ost- und einen Westchor, war mit drei Schiffen im Langhausbereich als Pfeilerhalle und mit einem westlichen Querhaus ausgestattet, dessen Vierung wohl turmartig erhöht war. Der östliche Chorbereich zeigte drei Apsiden, also halbrunde Abschlüsse, und unter dem westlichen Hauptchor lag eine Krypta, die wahrscheinlich dem Gedenken Walterichs diente.

Dem Grabungsbefund nach war die Kirche an den Wänden intensiv farbig bemalt und der Fußboden aus feinem Kalkestrich gefertigt. Das ganze Gebäude machte wohl einen vornehm-festlichen Eindruck, doch leider vermitteln nur zwei künstlerisch bearbeitete Mauersteine einen Eindruck vom äußeren Schmuck. Beide vermauerte man 150 Jahre später im Fundament einer neuen, viel größeren Chorapsis. Einer der Steine zeigt die zeitübliche Oberflächenbearbeitung mit Zickzackdreiecken, der zweite Quader ist das Mittelstück eines etwa 1,4 Meter langen Gesimssteins oder Türsturzes. Er zeigt Überreste von zwei mit den Schwänzen ineinander verhakten Drachen.

Unter der Regie der Klostervögte – das waren Adelige, die sich um alle weltlichen Angelegenheiten des Klosters kümmerten und es beschützten – aus der Familie der Hessonen erfolgte eine repräsentative Umgestaltung der Kirche durch den Bau von zwei dreigeschossigen Türmen ab 1120. Deren Abschluss bilden zweifache, durch Säulen unterbrochene Öffnungen in der Glockenstube im Obergeschoss unter einem Rundbogenfries. Eine enorme Überraschung für das Grabungsteam war die Entdeckung überaus massiver Turm- und Westchorfundamente vom Anfang des 13. Jahrhunderts: „Niemand wusste noch etwas von der Existenz eines dritten Turms“, erinnert sich Rolf Schweizer.

Zugleich erkannte man, dass die erst zuvor entdeckte Krypta dem Bau dieses Turms weichen musste. Gleichsam als Ersatz baute man die Walterichskapelle und unmittelbar nach deren Weihe um 1228 begannen die Abbrucharbeiten am alten Westchor mit der Krypta. Im Anschluss errichtete man einen 7,8 Meter im Quadrat großen Westchorturm mit 1,8 Meter dicken unteren Mauern. Dem Grundriss nach war der Turm über dem westlichen Hochaltar ohne Helm für eine Höhe von 25 bis 30 Metern geplant, also höher als die beiden Osttürme. Zudem war er in den oberen Geschossen achteckig gestaltet, sodass die Kirche einen prächtig-repräsentativen Eindruck vermittelte.

Die östliche Apsis wurde zum Chor – Grablege der Grafen Löwenstein

Dies wissen wir dank eines „Erinnerungsfreskos“, das 200 Jahre später an die südliche Wand des gotischen Westchors gemalt wurde und das Rolf Schweizer in einer Zeichnung festhielt. Im 14. Jahrhundert kam es zur Umgestaltung der östlichen Apsis zu einem feierlich hellen Chor im gotischen Stil. Er diente als Grablege der Grafen von Löwenstein, die nun als Klostervögte amtierten, mit sternförmigem Kreuzrippengewölbe auf dem alten Fundament der Apsis. Dadurch entstand ein eigenwilliger Zentralraum mit einem Fünfachtelabschluss, wobei die beim Bau der Türme abgeschrägten Wandflächen das Achteck vervollständigten. Die drei östlichen Seiten öffneten sich für je ein großes, dreibahniges Fenster. 1425 begann der Umbau zur gotischen Klosterkirche mit dem Abbruch des achteckigen Turms und dem Neubau des Westchors, der 1434 abgeschlossen war, wie die Jahreszahl am südöstlichen Vierungspfeiler zeigt. Anschließend brach man das romanische Langhaus ab und baute es unter mehrfachen Planänderungen im gotischen Stil neu auf bis um 1445. Außerdem fand das Grabungsteam auch zahlreiche Reste und Spuren von verschiedenen Umbau- und Restaurierungsarbeiten in den folgenden Jahrhunderten.

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Erstellt:
22. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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