Unverhüllter Fremdenhass
Keir Starmer muss in Großbritannien vor allem den Umgang mit Migranten ändern.
Von Eidos Import
So hatte sich Keir Starmer das nicht vorgestellt, als er nach seinem Unterhauswahlsieg im Juli in die britische Regierungszentrale einzog. Der Labour-Premier wollte die Staatsfinanzen sanieren, die öffentlichen Dienste wieder stärken und seinem Land einen Weg in eine „grünere“ Zukunft weisen – in eine sicherere Zeit.
Doch nun sind Starmer und seine Minister mit einem massiven Ausbruch an Gewalt konfrontiert: Es kam zu Angriffen auf Moscheen, und es wurde versucht, Unterkünfte von Asylsuchenden in Brand zu stecken. Dutzende Polizistinnen und Polizisten wurden verletzt, mehr als 400 Randalierer festgenommen.
Obwohl Polizei und Geheimdienste lange vor dem Erstarken der radikalen Rechten in Großbritannien warnten, kam die Wucht der Krawalle für viele Briten doch überraschend. Mit aller Gewalt bricht sich seit einer Woche kaum verhüllter Fremdenhass Bahn.
Starmer, der immerhin mal Direktor der britischen Anklage-Behörde war, versucht entschlossen gegen die Krawalle vorzugehen. So wird die Polizei verstärkt, die Justiz zu schnellen Verfahren angehalten, und die Zahl der verfügbarer Zellen wurde in Rekordzeit aufgestockt.
Mit demonstrativer Härte hofft man, die Krawalle ersticken zu können. In den sozialen Medien fällt dies dem Regierungschef schwerer – obwohl er „die großen Social-Media-Konzerne und alle, die sie leiten“, ausdrücklich gewarnt hat: Die Anstachelung zu Gewalt im Internet sei „ebenfalls ein Verbrechen“.
Erste Akteure, die identifiziert werden konnten, sind auch schon zur Rechenschaft gezogen worden. Wie weit sich die betreffenden Plattformen aber regulieren lassen, oder auch nur dazu bereit sind, ist ungewiss.
Bemerkenswert dreist mischt sich allerdings jetzt schon der Milliardär, Chef der Kommunikationsplattform X und Trump-Fan Elon Musk in die britische Politik ein, mit üblen Anschuldigungen gegen Keir Starmer und einem „Bürgerkriegs“-Geschrei.
In einem Dilemma befinden sich derweil die britischen Konservativen. Prominente Politiker verurteilen zwar den Aufstand gegen Recht und Ordnung – wie es im Übrigen auch ihre Pflicht ist. Rishi Sunak und seine Ex-Minister müssen sich aber – auch von eigenen Parteikollegen – vorhalten lassen, dass sie den aktuellen Krawallen mit ihrer Rhetorik tatsächlich jahrelang den Boden bereitet haben.
Unvergessen geblieben ist, wie Regierungsmitglieder einst von einer „Invasion Englands“ durch Flüchtlingsboote sprachen und beharrlich erklärten, auf den Straßen des Landes hätten neuerdings überall „islamistische Extremisten das Sagen“. Die permanente Dämonisierung britischer Muslime und Hilfe suchender Asylbewerber habe nur von den wirklichen Problemen des Landes ablenken sollen, urteilen im Rückblick die Kritiker Sunaks.
Auch Labour-Premier Starmer ist sich zweifellos bewusst, dass es mit einem harten Durchgreifen gegen „rechte Schlägertypen“ nicht getan ist. Die wildesten Krawalle sind in den kriselnden Städten Mittel- und Nordenglands entbrannt, in denen es enorme soziale Probleme gibt. Sie fühlen sich auch nach dem Brexit vom vergleichsweise wohlhabenden Südosten abgeschnitten.
In diesen Gebieten findet sich Starmer vor der eigentlichen Herausforderung der nächsten Jahre. Während er versuchen muss, eine neue Sprache zu sprechen und die Migrationsfrage nüchtern anzugehen, wird er zugleich alles daran setzen müssen, den betreffenden Regionen über ihre langjährige Hoffnungslosigkeit hinwegzuhelfen. Leicht wird das nicht sein.