Aufstehhilfen für den Mann
Viagra & Co.: Was sind Potenzmittel und wie wirken sie?
Frust statt Freude im Bett: Gerade im Alter möchte der Penis oft nicht mehr so wie man selbst. Wann Potenzmittel helfen. Was Männer noch für ein erfülltes Sexleben machen können. Und: Warum der Penis die Wünschelrute des Herzens ist.
Von Markus Brauer/dpa
Die Wirkung soll angeblich auch bei Schnittblumen eintreten. Sie sollen länger stehen, wenn man den Wirkstoff Sildenafil – besser bekannt unter dem Handelsnamen Viagra – ins Wasser gibt.
Tadalafil, Vardenafil oder Avanafil: So heißen weitere Wirkstoffe, die dem Penis beim Sex mehr Standhaftigkeit bescheren. Was können Potenzmittel, was darf man nicht von ihnen erwarten, was ist bei der Einnahme wichtig? Ein Überblick.
Als Deutschlands Männer ihr „Blaues Wunder“ erlebten
Als „Blaues Wunder“ kam Sildenafil unter dem Markennamen Viagra vor 26 Jahren in Deutschland auf den Markt. Am 1. Oktober 1998 wurde die Potenzpille erstmals in hiesigen Apotheken verkauft. Das Mittel entwickelte sich schnell zum Lifestylemedikament. Als erste Potenzpille der Welt brachte Viagra wieder Schwung in viele Schlafzimmer und holte zugleich das Thema männliche Erektionsstörungen ein Stück weit aus der Tabuzone.
Die leidige Sache mit der Erektilen Dysfunktion
Es gibt Themen, über die Man(n) nicht gerne spricht. Erektile Dysfunktion (ED) – besser bekannt als Impotenz – ist so ein Thema, dass viele Männer umtreibt. Sie liegt vor, wenn Männer die für befriedigenden Sex notwendige Erektion nicht erreichen oder nicht lange genug aufrechterhalten können.
Wenn es dann sexuell nicht so läuft, wie es sollte, und die eigenen Ansprüche oder die der Partnerin an ein erfülltes Sexualleben unerfüllt bleiben, wird es für den lendenlahmen Mann schnell existenziell.
„Für Männer war die Pille (Red.: gemeint ist Viagra) eine sexuelle Revolution“, sagt Frank Sommer, der erste Professor für Männergesundheit in Deutschland und forscht am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zuvor habe es kein orales Medikament gegeben, das eine Erektion hervorrufen konnte – nur Spritzen, Vakuumpumpen und Implantate, so der Sportmediziner und ehemalige hessische Fitness-Aerobic-Meister (1997).
Die Herren der Schöpfung und ihr leidiges Geheimnis
Kaum ein Geheimnis wird von den Herren der Schöpfung so streng gehütet wie eine Potenzstörung. Sie verstummen, wenn sie nicht mehr können. Ein paarmal gescheitert, schon gerät Man(n) in eine Impotenz-Abwärtsspirale. Ein Teufelskreis, in dem die Libido schwindet, Psyche und Partnerschaft leiden.
Seit es aber Viagra gibt, stellen sich Betroffene sehr viel früher ihrer „mangelnden Standfestigkeit“, wie Männergesundheit-Mediziner Sommer berichtet. „Früher haben Männer im Durchschnitt zehn bis 20 Jahre gewartet, bis sie wegen Potenzstörungen zum Arzt gegangen sind. Heute warten die meisten nicht länger als ein Jahr.“
Wie wirken Mittel gegen Erektionsstörungen?
Wenn der Penis mal nicht mitspielt, obwohl die Stimmung gut und die Lust groß ist, kann Sildenafil tatsächlich für mehr Standfestigkeit und Durchhaltekraft sorgen. „Dieses Medikament hilft bei einer ‚erektilen Dysfunktion‘, erläutert der Urologe Christian Wülfing.
Sildenafil, aber auch die anderen genannten Wirkstoffe gehören zur Gruppe der sogenannten PDE-5-Hemmer. Sie blockieren dieses Enzym und fördern somit die Durchblutung. Sie bewirken also, dass mehr Blut in die Blutgefäße des Penis fließen kann. Kurzum: Er wird steif.
Liebeslust anschieben? Das funktioniert nicht mit Pillen
Eines können Viagra & Co. allerdings nicht: Die Liebeslust anschieben. „Diese Mittel sorgen für keine Libido-Veränderung“, erklärt Christian Wülfing und verdeutlicht das am Beispiel einer Glühbirne. „Dann brennt die Birne auch nur, wenn Sie einen Lichtschalter betätigen. Das heißt, Sie müssen schon einen Reiz haben – ob einen schönen Körper, einen Duft oder eine bestimmte Fantasie“, so der Chefarzt der Urologie der Asklepios-Klinik in Hamburg.
Die Flensburger Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning weiß, dass viele Männer noch immer falsche Hoffnungen mit Viagra und Co. verbinden. „Die denken, sie werfen eine Tablette ein und es geht los.“ Auch Wülfing räumt mit Mythen auf: Anders als viele glauben, sorgt die blaue Pille nicht für eine Dauererektion.
Erektionsstörungen treten immer früher auf
In Deutschland sind schätzungsweise fünf Millionen Männer – ältere mehr als jüngere – von Erektionsstörungen betroffen. Ab etwa 60 Jahren geht’s bei vielen los: Dass vor allem Ältere Potenzmittel benötigen, um befriedigenden Sex haben zu können, hängt oft mit bestimmten gesundheitlichen Probleme zusammen, die sich im Alter zeigen. So können Durchblutungsstörungen, Diabetes mit Gefäßschäden oder Arteriosklerose für eine erektile Dysfunktion verantwortlich sein.
Mittlerweile treten Urologe Sommer zufolge schon bei 30- bis 35-Jährigen immer häufiger organisch bedingte Erektionsstörungen auf. „Das liegt vor allem am ungesunden Lebensstil. Wir bewegen uns weniger, ernähren uns schlechter, haben mehr Stress.“
Aufstehhilfe nur auf Rezept
Viagra und Co. gibt es nur auf Rezept. Wer also mit dem Gedanken spielt, sich von Arzt oder Ärztin ein Potenzmittel verschreiben zu lassen, sollte lieber auch einen Termin beim Kardiologen oder der Kardiologin ausmachen, wie Wülfing rät. Er rät dazu, bei Potenzproblemen offen mit dem Mediziner zu sprechen, statt das Mittel aus unseriösen Quellen aus dem Internet zu besorgen – und dort mitunter an Fälschungen zu geraten.
Wer zu große Scham besitzt, könnte alternativ auch eine seriöse telemedizinische Plattform mit einer Videosprechstunde wählen und sich das Medikament unauffällig über eine Versandapotheke zuschicken lassen. Bezahlen muss man übrigens immer selbst, die Krankenkasse übernimmt die Kosten für Potenzmittel nicht. Denn: Eine erektile Dysfunktion sei nämlich „das Frühwarnsystem für einen Herzinfarkt“. Sie kann ein Anzeichen dafür sein, dass sich Blutgefäße verkalken. „Und das fängt unten eher an als beim Herzen.“
Pille schlucken, alle Probleme gelöst? So einfach ist das nicht!
Wer an Impotenz leidet, sollte nicht nur an den Symptomen herumdoktern und eine Potenzpille schlucken. Die Lösung des Problems sei in vielen Fällen so einfach, betont Dr. Sommer. „Wir versuchen in unserer Klinik die Ursache herauszufinden und das Defizit zu reparieren, damit der Patient weniger Viagra braucht oder ganz davon wegkommt.“
Viagra kann jedoch nur wirken, wenn die Nerven im Penis intakt sind. Auch darf die Potenzmuskulatur nicht zu schwach oder defekt sein. Wenn es allerdings nur darum geht, dass die Durchblutung des männlichen Glieds mangelhaft ist, hilft das Mittel in den meisten Fällen.
Bloß kein Druck beim Sex
Das mit dem Wollen ist beim Sex so eine Sache: Spätestens, wenn Mann die ersten Misserfolge im Bett hatte, setzt oft ein Teufelskreis ein. Betroffene machen sich so viel Druck, dass der Penis erst recht nicht steif werden will. „Mit der Psyche kann man jede Erektion killen“, betont die Sexologin und Autorin Henning.
Wer schon mit dem Gedanken „Hoffentlich klappt es dieses Mal“ in den Sex startet, schaltet automatisch in den Notmodus. „Dann hält man instinktiv die Luft an und spannt den Beckenboden an. Das ist aber so, als ob Sie einen Gartenschlauch umknicken, weil dadurch wichtige Gefäße, die Blut in den Penis führen, abgeklemmt sind“, erläutert Ann-Marlene Henning.
Beckenbodentraining, bewusste Atmung, Masturbation & Co.
Was also kann man tun, damit man sich beim Sex mental nicht zu sehr versteift. Und sich dann untenrum gar nichts mehr versteift? Oder man vielleicht schon einmal Potenzmittel ohne Erfolg ausprobiert hat? „Erst mal sollte jeder Mann mehr über den eigenen Körper wissen“, rät Ann-Marlene Henning. Beckenbodentraining, bewusste Atmung und Masturbation helfen, beim Sex im entscheidenden Moment loslassen zu können.
Auch sollte Männern bewusst sein, dass ein erigierter Penis nicht kontinuierlich steif sei. „Da findet Klappenarbeit der Ventile statt, daher wird die Erektion immer mal wieder etwas weniger und wieder mehr“, so die Expertin. Das Problem: „Wenn jemand über 60 ist – die gute Durchblutung schon altersgemäß nachgelassen hat – fällt dieses Phänomen eher auf.“ Auch das kann Startpunkt für einen Teufelskreis sein. Wenn Potenzmittel keine Wirkung zeigen, ist es womöglich der Kopf, der Stimulation und Lust killt.
Für wen sind die Potenzmittel nichts?
Die Gruppe jener, die die Medikamente aufgrund gesundheitlicher Risiken nicht nehmen dürfen, ist übrigens überschaubar. „Bei Medikamenten mit der Wirkstoffgruppe der Nitrate, die bei speziellen Herzproblemen verabreicht werden, sollte man sie aufgrund von Wechselwirkungen nicht verordnen“, sagt Christian Wülfing.
Die Ansage, Viagra wäre grundsätzlich bei Bluthochdruck oder Herzerkrankungen gefährlich, sei Unfug, so Christian Wülfing. „Für die allermeisten ist das wirklich unkritisch. Wenn sie in der Lage sind, einen Sexakt kräftemäßig zu gestalten und sich fit fühlen, warum sollten sie dann nicht ihre Lebensqualität mit Sexualität verbessern?“
Nebenwirkungen sind dem Urologen zufolge eher nicht zu befürchten. „Die meisten Männer vertragen es absolut gut. Selten kommt es mal zu Kopfschmerzen oder einer verstopften Nase.“
Wann sollte ich das Mittel einnehmen? Und wie lange wirkt’s?
Als grobe Faustregel gilt: eine Stunde vor dem Sex. „Das ist natürlich von Mann zu Mann unterschiedlich“, so Christian Wülfing. „Mal wirkt es nach 30 Minuten, mal nach 90.“
Der Urologe ist überzeugt, dass Potenzmittel selbst dann eine Wirkung haben könnten, wenn sie ohne Wirkstoff, also quasi als Placebo, eingenommen würden. „Es gibt Männer, die sich mit der Pille einfach sicherer fühlen. Da klappt es schon nach zehn Minuten - und hätte vermutlich auch ohne funktioniert, wenn der Kopf nicht dazwischenfunken würde.“
Achten Sie auf ihren Penis!, rät Dr. Sommer
Frank Sommer sieht in Viagra einen Starthelfer, der verunsicherten Männern das befriedigende Gefühl vermitteln kann, dass wieder was geht. Der Teufelskreis aus Versagensängsten, Dysfunktion und Depression werde durchbrochen. „Kleiner Aufwand, große Wirkung.“
Der Gang zum Arzt ist indes nur der erste Schritt. „Das Ausstellen eines Rezepts führt in der Regel nicht zu einer Heilung und verhilft bei Weitem nicht jedem Mann zu einer Erektion“, erklärt der Hamburger Experte.
Potenzprobleme könnten auch ein Hinweis auf andere, schwerwiegende Erkrankungen sein. Da die Gefäße im Penis vom Durchmesser her die kleinsten im Körper sind (ein bis zwei Millimeter), bemerkt der Facharzt Gefäßverengungen beim Mann oft zuerst am Geschlechtsorgan. Dr. Sommer: „Ich kann jedem Mann nur raten: Achten Sie auf Ihren Penis! Der Penis ist die Wünschelrute des Herzens.“
Wer nun glaubt, mit einer Potenzpille täglich topfit zu sein, irrt. „So einfach ist das nicht. Für guten Sex muss man trainieren“, rät Frank Sommer. Gesunde Ernährung, viel Bewegung und weniger Stress würden gegen Gefäßverengungen effektiv helfen und Potenzstörungen vorbeugen. Auch eine Paartherapie könne Hemmnisse aus dem Weg räumen.