Sexuelle Übergriffe beim Online-Shopping

Vinted-Fotos für Sex-Kanäle missbraucht: Frauen im Netz berichten

Auf der Secondhand-Plattform Vinted verschwimmt die Grenze zwischen Kleider- und Sexbörse: Fotos von Nutzerinnen landen ohne deren Wissen in sexualisierten Telegram-Kanälen. Wie ist die Rechtslage in einem solchen Fall?

Sex- statt Kleiderbörse? Bilder auf der Online-Plattform Vinted wurden in sexualisierten Telegram-Kanälen zweckentfremdet.

© /IMAGO / Hanno Bode

Sex- statt Kleiderbörse? Bilder auf der Online-Plattform Vinted wurden in sexualisierten Telegram-Kanälen zweckentfremdet.

Von Selina Schwarzbach und Janina Drewes

„Frauen können nicht mal ne Jeans verkaufen, ohne irgendwie sexualisiert zu werden“, stellt eine Instagram-Userin fest. Sie bezieht sich auf den Vinted-Skandal, der in den Sozialen Medien aktuell für Empörung sorgt. Eine Recherche von NDR, WDR und SZ hat kürzlich aufgedeckt, dass Fotos von Nutzerinnen der Secondhand-Modeplattform Vinted (ehemals Kleiderkreisel) in Telegram-Kanälen für sexuelle Handlungen zweckentfremdet werden.

Sexuell übergriffige Anfragen

Eine der Geschädigten, die im Rahmen der Nachforschungen von NDR, WDR und SZ zu Wort kommt, ist eine 32-jährige Juristin. Sie fotografiert sich regelmäßig in Kleidern, Tops, Hosen und anderen Modeartikel, die sie verkaufen möchte. Ohne Gesicht und mit neutralem Hintergrund – schließlich geht es ausschließlich um Schnitt und Passform. Die Bilder stellt sie samt Preisangabe auf Vinted, eine der bekanntesten Online-Börsen für Secondhand-Ware. Seit geraumer Zeit fällt ihr auf: Immer mehr Nachrichtenschreiber in ihrem Postfach interessieren sich statt für den Preis der Kleidung für den Preis ihres Körpers – oder für die Verfügbarkeit der Unterwäsche. Letzteres zeigt ein Chatverlauf einer weiteren Betroffenen, einer 26-jährigen Studentin: „Hey das sieht echt super aus, ist das noch zu haben?“ – „Jep, ist noch da! :)“- „Und die Wäsche darunter auch?“- „Huh?“ – „Ist doch ein schwarzer Tanga oder?“.

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„Girls of Vinted“: Sex-Kanal zählte mehr als 2000 Mitglieder

Mindestens 100 weitere Frauen sind auf Vinted Opfer von sexualisiertem Datenmissbrauch geworden, schreiben NDR, WDR und SZ. Ohne ihre Kenntnis geschweige denn ihr Einverständnis seien die Bilder ihrer Vinted-Profile in dem Telegram-Kanal „Girls of Vinted“ mit mehr als 2000 überwiegend männlichen Mitgliedern geteilt worden. Dessen Administratorin „Sara“, eine angeblich 29-jährige Mailänderin, habe seit Juni 2024 fast täglich Bilder samt Links zu den Vinted-Profilen gepostet. Auch eigene sexuelle Dienstleistungen wie intime Videos für 50 Euro habe sie über den Kanal angeboten.

Wer ist „Sara“?

Handelt es sich bei „Sara“ womöglich statt um eine Einzelperson um mehrere, organisierte Täter? Zumindest wurden in dem Kanal weitere Gruppen mit „Tragebildern“ verlinkt. Wer wirklich hinter „Girls of Vinted“ steckt, konnten die Journalisten von NDR, WDR und SZ nicht herausfinden. Der Kanal sowie das Konto „Sara“ seien gelöscht worden, nachdem die Journalisten sowohl den Account als auch Telegram mit ihren Nachforschungen konfrontiert hatten.

Verantwortlicher Account inzwischen gesperrt

Telegram habe angegeben, die eigenen Moderatoren hätten „Girls of Vinted“ und das Profil „Sara“ wegen Verstoßes gegen die Nutzungsregeln gesperrt. Vinted habe gegenüber dem Rechercheteam eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber sexueller Belästigung betont und auf die Meldefunktion verwiesen.

Auf eine Anfrage unserer Redaktion, inwiefern die Plattform aus den Geschehnissen Konsequenzen ziehe und ob sich noch weitere Geschädigte gemeldet haben, hat Vinted bisher nicht geantwortet.

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Die Problematik dürfte der Online-Tauschbörse bekannt sein: Bereit im Oktober 2024 hatte die englische Investigativjournalistin Ellie Flynn den Missbrauch von Vinted-Fotos und Profilen für sexuelle Absichten ermittelt und unter anderem in der Dokumentation „Vinted’s Dirty Laundry“ öffentlich gemacht.

„Jahrelang auf Vinted gestalkt“: Frauen teilen ihre Erfahrungen im Netz

Ein Blick in die Social-Media-Debatten rund um den Vintage-Skandal lässt ebenfalls vermuten: Sexuelle Belästigung scheint auf der Plattform an der Tagesordnung zu sein. Viele TikTok- und Instagram-Userinnen reagieren betroffen auf die Vorfälle und erzählen von eigenen negativen Erlebnissen auf Vinted. „Ich wurde auf Vinted schon oft von Creeps angeschrieben“, meint eine Frau. Eine andere berichtet beispielsweise: „Wurde von einem Typen, als ich (14!) war, jahrelang auf Vinted gestalkt & hab dann mit 18 Bilder bekommen, wie er es sich auf meine Tragefotos von früher macht.“

Solche Vorkommnisse kommen für einige Userinnen nicht sonderlich überraschend: „Bin überhaupt nicht erstaunt. Hab’s mir fast gedacht. So viele Frauen werden schon auf der App komisch angemacht, natürlich landen die Bilder da noch auf anderen Plattformen“, kommentiert etwa eine Nutzerin.

Auch Tipps, um möglichen Gefahren zu entgehen, werden ausgetauscht. Eine Nutzerin rät etwa: „Mädels bitte NIEMALS eure Adresse auf Vinted & co weitergeben, lieber den Umweg zu einem Paketshop suchen!!!“

Wie Betroffene sich wehren können

Selbst zur sexualisierten Ware zu werden, auch wenn man im Netz nur Kleider verkaufen möchte, ist also ein durchaus realistisches Risiko für Frauen. Mit welchen Mitteln können Betroffene versuchen, sich zu wehren? Können Betroffene gegen den Missbrauch ihrer Daten auf Telegram und die daraus resultierenden Nachrichten mit sexuellen Inhalten auf Vinted vorgehen?

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Carsten Ulbricht – spezialisiert auf Internetrecht und Datenschutz – ordnet die Rechtslage und Erfolgsaussichten im Gespräch mit unserer Redaktion wie folgt ein: „Die Durchsetzung von Ansprüchen bei solchen Rechtsverletzungen im Internet ist ein schwieriges Thema. Rein theoretisch können die Betroffenen natürlich dagegen vorgehen – die Rechtslage ist klar. Wer selbst Fotos erstellt, dem steht das Urheberrecht zu. Wenn die Betroffene zusätzlich auf dem Foto zu sehen ist, steht ihr das Recht am eigenen Bild zu. Beide Rechte werden durch eine ungewollte Weiterverbreitung verletzt. Geschädigte haben daher Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz“. Ulbricht schränkt allerdings im nächsten Atemzug ein: „In der Praxis wird es aber sehr schwer werden, die jeweiligen Täter zu identifizieren, die die Rechtsverletzungen begangen haben. Eine derartige Strafanzeige bei der Polizei gegen Online-Widrigkeiten wird meist eingestellt, weil keine Tatverdächtigen ermittelt werden können oder Beweise fehlen.“

Screenshots, Melden und zivilrechtliche Schritte

Für die Leidtragenden sei es wahrscheinlich sinnvoller, zivilrechtliche Schritte zu ergreifen. „Dann haben sie ihr Vorgehen selbst in der Hand. Aber hier ist die Ermittlung der Täter oft schwierig und benötigt einigen Aufwand.“

Auf jeden Fall sollten Betroffene Screenshots anfertigen und die Missbräuche melden, denn: Plattformen wie Telegram unterliegen dem „Notice and take Down-Grundsatz“, wie Ulbricht erläutert. „Telegram haftet nicht grundsätzlich für das, was Nutzer einstellen. Aber wenn Telegram die illegalen Inhalte nach der Meldung nicht löscht, dann können Ansprüche gegenüber der Plattform direkt geltend gemacht werden.“

Auf Auskunftsrecht bestehen

Ähnliches gelte für sexualisierte Nachrichten auf Vinted. Der Plattformbetreiber sitzt in Litauen. Litauen gehört zum europäische Wirtschaftsraum, daher unterliegt Vinted der Datenschutzgrundverordnung (kurz DSGVO) und ist Nutzern gegenüber zur Auskunft verpflichtet. „Im Internet gibt es Musterauskunftsschreiben gemäß Artikel 15 DSGVO; die an Unternehmen gerichtet werden können. Diese könnten ausgefüllt, an den Sachverhalt angepasst und an Vinted geschickt werden. Die Plattform muss innerhalb eines Monats reagieren.“ Wer auf Vinted sexuell belästigt wird, könne über diese Auskunftspflicht auch versuchen, an Informationen über die Täter zu gelangen – wie etwa die E-Mail-Adresse.

Solche Kenntnisse seien entscheidend, unterstreicht Carsten Ulbricht, denn: „Screenshots beweisen, was passiert ist – aber nicht, wer verantwortlich ist. Wie kann ich belegen, wer mir unter dem Namen ‚Micky123’ eine sexuell diskriminierende Nachricht schreibt?“ Zudem sei es stark einzelfallabhängig, ob ein sexuell konnotierter Kommentar auch tatsächlich strafbar ist. „Es kann passieren, dass die Plattform die Strafbarkeit anzweifelt und die privaten Daten daher unter Verschluss hält. Dann hilft nur eine Klage gegen Vinted“, führt der Rechtsanwalt weiter aus.

Hat Vinted seine Sorgfaltspflicht verletzt?

„Vor Gericht könnte man sich mit Vinted außerdem darüber streiten, ob das Unternehmen seine Sorgfaltspflicht wahrnimmt. In Artikel 32 der DSGVO heißt es: ‚Ich muss technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um die Daten meiner Nutzer zu schützen’“, erklärt Ulbricht.

Digital Services Act nimmt Plattformen stärker in die Verantwortung

Die Daten der Nutzer besser vor Rechtsverstößen schützen – dazu soll der neue „Digital Services Act“der EU beitragen. Das Gesetz ist 2024 in Kraft getreten und soll Plattformen wie Telegram und Vinted Ulbricht zufolge „strenger an die Kandare“ nehmen. Beispielsweise müssen die Betreiber ihre Inhalte schärfer konzentrieren, genug Moderatoren bereitstellen und Rechtsverstöße regelmäßig löschen. Zudem sind die Plattformen verpflichtet, in ihren Nutzungsbedingungen konkret zu beschreiben, wie User Inhalte löschen können. Kommen die Plattformen ihren Pflichten nicht nach, drohen ihnen erhebliche Bußgelder.

Der ehemalige Bundesdigitalminister Volker Wissing nennt den Digital Services Act „ein scharfes Schwert“. Dessen konsequente hieb- und stichfeste Anwendung lasse aber bisher zu wünschen übrig, wie HateAid, eine Organisation für digitale Menschenrechte, kritisiert.

Kleiderangebote an den Haken hängen

Um den Kampf gegen Datenmissbrauch in Angriff zu nehmen, fehlen vielen Nutzerinnen allerdings die zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Ihnen bleibt letztlich nur die präventive Option, ihre Angebote ohne „Tragebilder“ zu präsentieren – und zu hoffen, dass sie so sexuelle Anfragen entgehen und trotzdem Interessenten für ihre Kleidung gewinnen können, bevor sie das Online-Geschäft völlig an den Nagel hängen müssen.

Aufruf

Betroffene gesuchtFür weitere Recherchen sucht unsere Redaktion nach Betroffenen. Selbstverständlich behandeln wir Erfahrungsberichte anonym. Wer sexualisierte Nachrichten oder Datenmissbrauch auf Vinted erlebt hat, kann sich an Janina Drewes (janina.drewes.extern@mhs.zgs.de) oder Selina Schwarzenbach (selinaconstance.schwarzenbach.extern.@mhs.zgs.de) wenden.

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Erstellt:
7. April 2025, 19:50 Uhr

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