Von Kopf bis Fuß auf Römerleben eingestellt

Tommes Rute nutzt den Sommer mit einer kleinen Gruppe für ein historisches Experiment: fünf Wochen entlang des Limes marschieren wie einst die Legionäre. Eine Station auf ihrem Weg ist der Limesturm bei Grab, wo sie sich nach körperlichen Strapazen etwas erholen können.

Tobias Nettekoven, Tommes Rute und Evelien Peeters (von links) schauen sich auf dem Graber Limesturm um. Fotos: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Tobias Nettekoven, Tommes Rute und Evelien Peeters (von links) schauen sich auf dem Graber Limesturm um. Fotos: Tobias Sellmaier

Von Christine Schick

Großerlach/Murrhardt. Flammen lodern in einer Feuerschale, Holzstühle stehen bereit und das römische Kernteam – Tommes Rute (26), Michael Höller (50), Tobias Nettekoven (37) und Evelien Peeters (34) – richtet sich am Limesturm bei Grab für den Abend ein. „Wer schläft oben und wer unten?“ ist da eine der zu klärenden Fragen, eine andere, wie es mit dem Abendessen läuft. Heute müssen sich die beiden Legionäre Rute und Höller sowie ihr Begleitduo Nettekoven und Peeters aber nicht ans Gemüseschnippeln machen, da Jan Vogel vom Verein historisches Handwerk und lebendige Geschichte in Großerlach als Gastgeschenk für die vier nach historischem Rezept gekocht und einige Portionen mitgebracht hat. Das ist genauso willkommen wie der Schlüssel zur Schwalbenflughalle, wo sich duschen lässt.

Kleine Gruppe versucht,Marsch und Alltagsleben nachzustellen

Damit nähern sich die vier genau genommen sogar dem römischen Vorbild an. Längere Strecken entlang des Limes zu marschieren, war Thema, wenn es um eine Truppenverlegung ging. Nachdem die Legionäre an ihrem Tageszielort angekommen waren, war für die Infrastruktur gesorgt, erzählt Tommes Rute. „Ihnen wurde ein Schlafplatz zugewiesen, danach ging es ins Kastellbad und zum Essen“, sagt er. Im Hier und Jetzt blieb in dieser Hinsicht einiges an den Legionären beziehungsweise dem Projektteam hängen. Aktuell noch mehr, weil sich die Mitstreiter im Moment aus unterschiedlichen Gründen etwas reduziert haben und erst während der kommenden Etappen wieder einige mehr mit einsteigen werden. „Es verteilen sich also mehr Aufgaben auf weniger Schultern“, sagt Rute. Die drei Männer marschieren die jeweiligen Tagesetappen, Evelien Peeters, die mit Tobias Nettekoven und deren Agentur Spielplan das Projekt auch medial betreut, kümmert sich um die Logistik im Hintergrund mit einem Begleitfahrzeug. Sie hat sich allerdings auch um blasengeplagte, wunde Füße und einen ziemlich erkälteten Michael Höller verdient gemacht, um ihm einen neumodischen Arztbesuch zu ermöglichen.

Das Vorhaben ist mehr als ambitioniert: in fünf Wochen einen 750 Kilometer langen Marsch von Eining an der Donau nach Rheinbrohl nördlich von Koblenz entlang des Limes hinlegen. Dazu haben Rute, Hüller und Nettekoven sich intensiv vorbereitet und auch körperlich gezielt im Fitnessstudio oder draußen mit Gewichtweste – die historische Ausrüstung wiegt rund 35 Kilo – trainiert. Die Tagesstrecken zwischen 20 und 30 Kilometern, öfters auch mehr, waren dann aber doch recht heftig. Heute würde Tommes Rute, Initiator des Projekts, manches anders planen. „Ich würde drei Marschtage und einen Pausentag machen und nicht wie jetzt sechs Tage marschieren und einen Tag ausruhen“, sagt er.

Zu kämpfen hatte die Gruppe an verschiedenen Fronten. Das regnerische Wetter, aber auch schon der Morgentau auf den Wiesen hat ihre offenen Ledersandalen, Socken und folglich Füße so aufgeweicht, dass sich auch die letzte Hornhaut verabschiedet hat und Blasen aufgeblüht sind. Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Wollsocken, die bei Nässe und Reibung verfilzen und zusammenschnorren, sodass sie beim besten Willen nicht mehr passen. „Mir haben Leute, als sie das in einem Tagesbericht gelesen haben, neue Socken mitgebracht“, erzählt Rute. Gerechnet hat er außerdem weder mit solch langen Regenphasen im August noch mit teils unpassierbaren, weil völlig zugewachsenen Abschnitten auf dem offiziellen Limeswanderweg. „So wurden aus 28 Kilometern schon mal 31 Kilometer, weil wir umplanen mussten.“ Strecken, bei denen sich neben Blasen auch irgendwann schmerzende Fußknochen meldeten. Also hat die Gruppe nach den ersten 200 Kilometern beschlossen, im Wortsinne etwas kürzerzutreten, weshalb auch der geplante offizielle Besuch in Murrhardt auf dem Marktplatz ausfiel. Regeneration ist angesagt. Einen kleinen rein privaten Abstecher in die Walterichstadt inklusive Stippvisite im Carl-Schweizer-Museum gab es trotzdem. Nach dem Abend am Graber Limesturm geht es in Richtung Öhringen weiter.

An die körperlichen Grenzen gehenund auf Zeitreise inklusive vieler Details

Woher kommt die Motivation für solch ein strapaziöses Projekt? Da ist ganz klar die Lust auf die körperliche Herausforderung, aber auch das Interesse, sich mit Haut und Haar in das Leben als römische Legionäre zu stürzen und zu vertiefen, wie es sich für die Living-History-Szene gehört, sozusagen von Kopf bis Fuß darauf einzustellen. „Ich hab mich schon immer fürs römische Militär interessiert“, sagt Michael Höller, der beruflich als Steinmetz im Straßenbau tätig ist. Als er Tommes Rute – er macht zurzeit seinen Master in Alter Musik – kennenlernte und vom Vorhaben hörte, war er „sofort Feuer und Flamme“. Das heißt dann auch, möglichst bis auf Details originalgetreu unterwegs zu sein, ob das die Ausrüstung oder den Alltag selbst betrifft: römisches Marschgepäck, römisches Legionärszelt aus Leinen, schlafen auf Schild, Fell und Leinentasche als Kopfkissen oder an Plätzen wie dem Limesturm, Feuer machen mit Feuereisen und -stein sowie Zunderschwamm und Ernährung mit römischen Speisen wie Puls (Eintopf). „Wir wollen dem Leben damals möglichst nah kommen und richten uns da nach dem aktuellen Stand der Forschung“, sagt Rute, wohlwissend, dass auch der sich immer wieder als Irrtum und falsche Rekonstruktion erweisen kann.

Trotzdem: Jenseits der geschönten Darstellungen der Römer selbst beispielsweise in steinernen Monumenten und einer flachen Hollywoodversion sich einem Alltag inklusive des Gefühls als Legionär anzunähern, reizt Tommes Rute ungemein. Das reicht bis hin zu Tricks, wie denn nun der Helm unterwegs am besten zu tragen ist, und der Erkenntnis, dass ein Zelt aus Leinen sich bei Regen durch das Aufquellen des Stoffs so verschließt, dass es drinnen nicht nass wird. All das möchte Rute auch weitergeben. „Das soll kein reines Egoprojekt sein.“ Nicht umsonst sind auf dem Weg eine Reihe von Angeboten insbesondere für Kinder eingeplant, bei denen er für Geschichte begeistern und die Epoche (die ersten vier nachchristlichen Jahrhunderte) im Sinn einer Art erweiterter Museumspädagogik vermitteln und den Limes als Unesco-Welterbe sichtbarer machen will.

Ein paar Exitpoints, also Punkte, an denen die Gruppe bewusst aus dem historischen Kontext aussteigt, gibt es aber schon. Zähne werden nicht mit Asche geputzt, wobei man sich bei diesem Detail historisch auch nicht ganz sicher ist, und abends ist es erlaubt, auch mal die elektronischen Geräte zu zücken. Zum einen, um den Kontakt zu den Liebsten zu halten, zum anderen, um zu planen, zu organisieren und per Homepage und Social Media über den Projektstand zu berichten. Die Legionärspflichten werden deshalb nicht vernachlässigt. „So, frisch poliert“, sagt Michael Höller und legt dem Kollegen sein römisches Schwert auf den Tisch. Ins Gefecht ging es mit Federschmuck und glänzenden Waffen, erklärt Tommes Rute. Außerdem hielten saubere Exemplare länger. Bliebe noch die Frage, wann die Sandalen einen Nagelwechsel brauchen. Die Männer haben jedenfalls jeder einen 100er-Pack dabei.

Wer die Tour weiterverfolgen und einen Blick in die Tagesberichte werfen möchte, kann sich im Internet auf der Homepage unter www.limesmarsch2023.de umsehen.

Michael Höller in kompletter Marschmontur.

© Tobias Sellmaier

Michael Höller in kompletter Marschmontur.

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Erstellt:
14. August 2023, 06:00 Uhr

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