Brauchtum zwischen den Jahren
Von Rauhnächten und Zwölfnächten
Um die Rauhnächte zwischen den Jahren ranken sich seit langer Zeit viele Bräuche. Manche von ihnen sind heute noch lebendig. Experten erzählen von ihren Hintergründen.
Von Markus Brauer/dpa/KNA
Wilde und gehörnte Gestalten ziehen in den Nächten lärmend durch Straßen. Beschienen werden sie von Fackeln und Feuerschein. In den Stuben üben sich die Bewohner in der Kunst des Weissagens. Gegen böse Geister räuchern sie ihre Häuser aus.
Was im ersten Moment nach einem düsteren Fantasy-Roman klingt, ist in vielen bayerischen Gemeinden Realität – zumindest in den Rauhnächten. So werden mancherorts die Nächte zwischen dem Heiligen Abend und dem Dreikönigstag genannt. Um sie ranken sich zahlreiche alte Bräuche, von denen sich einige bis heute gehalten haben.
Wetterprognose mit Zwiebeln
„Etwa der Brauch mit Hilfe von Zwiebeln das Wetter vorherzusagen“, sagt Christoph Lang, Heimatpfleger beim Bezirk Schwaben in Augsburg. Das funktioniere so: Menschen halbieren eine Zwiebel und heben aus jeder Hälfte fünf Schichten heraus. „So entstehen zwölf Teile, die für je einen Monat des kommenden Jahres stehen. Sie werden mit Salz betreut.“
Je nasser sie nach einiger Wartezeit sind, desto nasser der entsprechende Monat, so der Volksglaube. „Der Brauch wird seit dem 19. Jahrhundert in ganz Schwaben und mehrfach erwähnt“, erklärt Lang.
Räuchern mit Weihrauch oder Kräutern
Auch das Räuchern der Häuser in den Rauhnächten hat sich mancherorts bis heute gehalten. Es sei in Schwaben seit dem 17. Jahrhundert belegt und gerade in den Vornächten zu Heiligen Nacht, in der Silvesternacht und in der Heilig-Drei-König-Nacht verbreitet. Weihrauch auf einem Kohlebett oder geweihte Kräuterboschen – also Bündel – sollen so bis heute den Segen ins Haus bringen.
Furchterregende Perchten
Die furchteinflößenden Perchten, die zwischen den Jahren im Alpenraum und im Bayerischen Wald nachts umherziehen, sind ebenfalls nach wie vor angesagt. Bei zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen ziehen die gruseligen Gestalten bei Umzügen viele Besucher an. Sie sollen böse Geister und Unheil vertreiben.
Suche nach Sicherheit
Warum gerade die Nächte zwischen den Jahren zur Zeit dieser und vieler bereits vergessener Bräuche wurde, weiß Michael Ritter vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. „Es liegt an der Diskrepanz zwischen dem Mond- und dem Sonnenkalender“, erklärt der Experte des Fachbereichs Brauch.
Dadurch ergebe sich eine Übergangszeit, eine Art Zwischenraum, der Menschen nicht ganz geheuer gewesen sei. „Bräuche bieten in Umbruchzeiten Sicherheit“, erläutert Ritter. Das galt gerade in jenen Zeiten, als viele Menschen von dem lebten, was die Natur ihnen geben konnte, und damit von ihr abhängig waren.
„Heute hingegen ist der Hintergrund oft ein anderer“, betont Ritter. Angst vor Unheil spiele viel weniger eine Rolle als Traditionsbewusstsein. Auch das Bedürfnis sich in einer säkularisierten Welt kulturell zu verorten, sei ein Antrieb der Bräuche zwischen den Jahren. „Früher hat das die Kirche geboten.“
Regionale Unterschiede
Im Ganzen betrachtet seien die Rauhnächte oder Lostage, wie sie laut Lang in alten Dokumenten heißen, schwer zu greifen. „Über kaum ein Thema wissen wir so wenig, weil oft Quellen fehlen“, unterstreicht Ritter. Außerdem seien die Bräuche regional sehr unterschiedlich.
Ein Beispiel: Wann und wie Wäsche aufgehängt werden darf, ohne dass sich böse Geister darin verfangen, ist im bayerischen Volksglauben nicht überall gleich. Selbst der Zeitpunkt der Rauhnächte ist strittig: Mancherorts beginnen sie früher und enden schon in der Silvesternacht.
Eines aber scheint sicher. „Die Bräuche rund um die zwölf Nächte sind nicht auszumerzen. Das hat man schon im 18. Jahrhundert versucht“, sagt Ritter. „Sie wirken wohl den Urängsten der Menschen entgegen.“
Zwischen den Zeiten
Der landläufige Begriff „zwischen den Jahren“ bezeichnet die Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag am 6. Januar. Dieser Zeitraum dient traditionell der Besinnung und dem Ausblick. In ländlichen Regionen waren in diesen Tagen – zum Teil bis weit ins 20. Jahrhundert – bestimmte Tätigkeiten verpönt. Außerdem wurden die Häuser „ausgeräuchert“, also mit Weihrauch und Weihwasser neu gegen Böses gewappnet.
Man vermied etwa Misten, Spinnen und Nähen und vor allem alles Waschen von Leinen. Denn wenn zu Neujahr Wäsche aufgehängt sei, könnten böse Geister sie als Leichentücher für das beginnende Jahr nutzen. Unglück schien dann programmiert.
Woher kommt die Lücke?
Doch wie kam es zu der mysteriösen Lücke zwischen den Jahren? In der Spätantike rumpelte es beim Übergang zwischen römischer Verwaltung und aufsteigendem Christentum. Im Jahr 153 verlegten die Kaiser den weltlichen Jahresbeginn im Reich vom 1. März auf den 1. Januar. Eine Kollision entstand, als die Christen begannen, das Weihnachtsfest zum Höhepunkt im Kirchenjahr zu erklären.
Papst Liberius setzte im Jahr 354 den 25. Dezember als Weihnachtstermin fest und kaperte damit den spätrömischen Kult des Sonnengottes „Sol invictus“. Dieser Tag konkurrierte zudem im entstehenden Kirchenjahr mit dem bisherigen Hochfest Erscheinung des Herrn (6. Januar) und dem kalendarischen weltlichen Jahresbeginn.
Rauhnächte und Zwölfnächte
Die Synode von Tours 567 bezeichnete die zwölf Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig erstmals verbürgt als Zeit zwischen den Jahren. Je nach Region werden sie auch Rauhnächte oder Zwölfnächte (Twelve Days of Christmas) genannt.
Im Mittelalter wechselte die römische Kirche mehrmals ihren Neujahrstermin. Erst 1691 legte Papst Innozenz XII. endgültig den (weltlichen) 1. Januar als Jahresbeginn fest. Im konfessionsgeteilten und territorial zersplitterten Deutschland wurden solche Festlegungen allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt. Auch deshalb hing man teils auf engstem Raum zwischen den Jahren – inklusive Jahreszahl.
Bis heute beginnt der bäuerliche Kalender am 6. Januar – Feiertag in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Auf dem Land hatte das Gesinde einst zwischen den Jahren frei. In dieser Zeit wurden gegenseitige Besuche gemacht, um Freundschaften zu festigen.