Umsturz in Damaskus
Vorerst keine Entscheidungen mehr zu Asylanträgen von Syrern
Der Sturz von Baschar al-Assad in Syrien kam recht plötzlich. Für die Flüchtlinge in Deutschland und die Bundesregierung sind viele Fragen offen. Für Asylanträge gibt es aber eine unmittelbare Folge.
Von Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Berlin - Nach dem Umsturz in Syrien ist die Aufregung groß unter den Menschen, die in den vergangenen Jahren als Flüchtlinge von dort nach Deutschland gekommen sind. Neu sortieren muss sich auch die Bundesregierung, die von dem raschen Vormarsch der Gegner von Präsident Baschar al-Assad am Wochenende ziemlich überrascht wurde, wie Äußerungen von Regierungsbeamten nahelegen. Der Bundesnachrichtendienst (BND) habe zwar vor einigen Tagen zur Lage in dem Bürgerkriegsland berichtet, aber wohl auch nicht mit so einer dynamischen Entwicklung gerechnet, verlautete aus Parlamentskreisen.
Die deutsch-syrischen Beziehungen
Schon wenige Stunden nach dem Umsturz weht über der syrischen Botschaft in Berlin bereits die Flagge der Revolutionäre. Vielleicht auch weil daheim im Außenministerium erst einmal keiner mehr ansprechbar ist, der sagt, wie es weitergehen soll. Die Bundesregierung pflege Beziehungen zu Staaten und nicht zu Regierungen, heißt es vom Auswärtigen Amt. Daher bleibe die Botschaft geöffnet.
"Natürlich freuen wir uns, dass dieses Regime nach 54 Jahren endlich weg ist", sagt Khaled Davrisch, Repräsentant der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland. In manchen Gebieten Syriens, etwa in der Provinz Aleppo, gebe es aber noch Kämpfe. Deutschland solle versuchen, auf die Türkei einzuwirken, damit diese die Angriffe der von ihr unterstützten Syrischen Nationalen Armee (SNA) in Nordsyrien auf Stellungen der von der Kurdenmiliz YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) beende.
Zuletzt hatte es immer wieder Aufforderungen - auch auf EU-Ebene - gegeben, das Verhältnis zum Assad-Regime zu normalisieren. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Matthias Moosdorf, forderte im Juli: "Deutschland sollte umgehend normale Beziehungen zu Syrien aufnehmen, den Werteunsinn gegen eine realistische Sicht der Verhältnisse eintauschen und mit Assad bilaterale Abkommen zur Lösung der Migration aus Syrien anstreben."
"Das haben wir aus guten Gründen nicht gemacht", sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Deutschland habe Kontakte zu Akteuren in Syrien, "die wir jetzt auch aktiviert haben".
Die syrischen Flüchtlinge in Deutschland
Wie viele von den rund 975.000 Syrern, die sich aktuell in Deutschland aufhalten, perspektivisch in die Heimat zurückkehren wollen, ist derzeit nicht absehbar. Zumal unter ihnen einige sind, die schon vor der großen Flüchtlingszuwanderung der Jahre 2015 und 2016 in Deutschland lebten und Menschen, die inzwischen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen und diese teils auch bereits beantragt haben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2023 rund 75.500 Syrerinnen und Syrer deutsche Staatsbürger.
Aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien haben sich am Wochenende zwar schon etliche Flüchtlinge auf den Weg zurück in die Heimat gemacht. Doch die Mehrheit wartet erst einmal ab, weil die Lage noch unübersichtlich ist. Aus Oppositionskreisen heißt es, bislang gebe es keine Berichte über Gräueltaten beim Vorrücken der Rebellen und Milizen nach Damaskus. Ob den Zusicherungen der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) bezüglich des Schutzes religiöser Minderheiten zu trauen sei, müsse aber erst einmal abgewartet werden.
Unter den in Deutschland lebenden Syrern waren Ende Oktober laut Bundesinnenministerium 5.090 Asylberechtigte, 321.444 Menschen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde sowie 329.242 Syrerinnen und Syrer, die subsidiären Schutz genießen. Der greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden, den Betroffenen aber im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Aufgrund der veränderten noch unübersichtlichen Lage sollen Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsbürger nun erst einmal zurückgestellt werden, sagt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) heißt es, man habe einen sofortigen Entscheidungsstopp verhängt. Derzeit seien mehr als 47.000 Asylanträge von Syrern anhängig, davon 46.081 Erstanträge. Ausreisepflichtig waren Ende November laut Bamf 10.024 Personen, davon hatten 8.960 eine Duldung.
Die Lage sei aktuell noch sehr unübersichtlich, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). "Deshalb sind konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar, und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren." In den Reihen der Union sowie von AfD und BSW wurde jedoch Stimmen laut, die für viele Syrer die Grundlage ihres Aufenthalts entfallen sehen.
Die Terrorgefahr
"Die HTS hat sich in den vergangenen Monaten und Jahren bemüht, sich von ihren dschihadistischen Ursprüngen zu distanzieren", sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Doch letztlich müsse man die Gruppe, die sicherlich auch in Zukunft eine Rolle in Syrien spielen werde, an ihren Taten messen. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums weist darauf hin, dass die islamistische Gruppierung ihre Aktivitäten auf Syrien beschränkt.
Eine potenzielle Gefahr geht von den ehemaligen Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus, die sich in von Kurden bewachten Gefängnissen und Flüchtlingslagern aufhalten. "Im Gefängnis sitzen rund 10.000 frühere IS-Kämpfer, darunter knapp 2.000 Ausländer", sagt Davrisch. Auch von den radikalisierten Frauen und Kindern der einstigen IS-Gewaltherrscher gehe im Falle einer Befreiung große Gefahr aus.
Ermittlungen in Deutschland
Große Beachtung unter syrischen Exilanten fanden in den vergangenen Jahren mehrere Prozesse in Deutschland. Etwa verhängte das Oberlandesgericht Koblenz im Januar 2022 eine lebenslange Haftstrafe gegen einen Mann, der als Mittäter für die Folter von mindestens 4.000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen verantwortlich sein soll. Ein zweiter Syrer war zuvor bereits wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Für die in Deutschland laufenden Ermittlungsverfahren wegen in Syrien begangener Kriegsverbrechen hat der Umsturz zunächst keine Folgen. Sollten Kriegsverbrechen, die Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens in Deutschland sind, demnächst auch in Syrien Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen werden, so könnten die Ermittlungen dazu von der deutschen Strafverfolgungsbehörde eingestellt werden.