Nach den Landtagswahlen
Wahldebakel und Ampelstreit: Wie geht es weiter für die Grünen?
Erst das schlechte Ergebnis bei der Europawahl, nun das Debakel in Sachsen und Thüringen: Die Grünen stecken in der Krise. Und stehen schon womöglich schon wieder vor einer neuen Herausforderung.
Von Rebekka Wiese
Ein paar Dutzend Leute in einem Innenhof, es gibt Dalsuppe und etwas Applaus. Auf einem kleinen Podest ganz vorn steht Robert Habeck, Vizekanzler, Bundeswirtschaftsminister, Grünen-Politiker. Es ist der Donnerstag kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Habeck ist nach Erfurt gekommen, um den Wahlkampf zu unterstützen. Doch während der AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke und die BSW-Bundesvorsitzende Sarah Wagenknecht in diesen Tagen ganze Plätze füllen, bleiben im Hof vor Habecks Bühne noch Plätze frei. Das liegt auch an den Sicherheitsvorschriften. Kommen darf nur, sich einige Tage zuvor angemeldet hat. Ein paar Passanten versuchen es spontan – vergeblich. Ein Ansturm ist es aber nicht. Und wer Habeck vor seinem kleinen Publikum im Innenhof reden sieht, wundert sich nicht, dass die Grünen wenige Tage später bei der Landtagswahl bei weniger als fünf Prozent der Stimmen landen.
Mittags, 31 Grad – und noch mehr Probleme
Natürlich lässt sich Habecks Auftritt in Erfurt nicht auf die Gesamtsituation der Grünen übertragen. Dass so wenig Leute kommen, dürfte auch an der Tageszeit (mittags) und der Temperatur (31 Grad) liegen. In den ostdeutschen Bundesländern war die Partei ohnehin nie stark, gerade der Landesverband in Thüringen gilt als schwach aufgestellt. Und doch: Die Stimmung in der Erfurter Mittagssonne passt zur Lage der Partei. Sie ist ziemlich bedrückt.
Nicht nur Sachsen und Thüringen sind für die Grünen schlecht gelaufen. Blickt man etwas zurück, liegt eine Reihe von Enttäuschungen hinter der Partei: Bayern, Hessen, Bremen, zuvor Berlin. Überall wurde in den vergangenen anderthalb Jahren gewählt, jedes Mal lief es für die Grünen schlechter als erwartet. Und dann kam die Europawahl, bei der die Partei auf 12 Prozent abstürzte. Es entspricht auch dem, was Umfragen den Grünen gerade für eine Bundestagswahl vorhersagen würden. Seitdem ist die Krise offiziell.
Lehren nach der Europawahl
Nach der Europawahl versuchten die Grünen zu verstehen, was schiefgegangen war. Spitzenpolitiker und Kreisverbände wurden angehört, Fragebögen ausgewertet und analysiert. Das Ergebnis war ein Papier mit acht Lehren nach der Europawahl. Darin hieß es zum Beispiel, die Partei müsste den Menschen besser zuhören, ihre Sorgen ernstnehmen. Und sich sowohl um Stammwählerschaft als auch andere Gruppen bemühen.
Nach dem Debakel in Sachsen und Thüringen klingen einige in der Partei nun fast betont ruhig. Dass sich die Lehren schon im Wahlkampf um die Landtage in Sachsen und Thüringen auszahlen würden, sei so schnell nicht zu erwarten gewesen, heißt es von diesen Stimmen. Andere klingen aber zunehmend genervt. Das hat vor allem mit der Ampelkoalition zu tun. Lange glaubten die Grünen, dass es gelingen könnte, den Dauerstreit in der Regierung zu beenden. Inzwischen geben sie offen zu, dass sie diese Hoffnung aufgegeben haben.
Wieder Streit um Migration
Nun kommt die Migrationsdebatte hinzu. Die Grünen erinnern in diesen Tagen oft daran, dass unter der Ampelregierung so viele migrationspolitische Verschärfungen beschlossen wurden wie seit Jahren nicht mehr – gegen die Überzeugung vieler in der Partei. Dass man der Ampel trotzdem vorhält, nichts gegen irreguläre Zuwanderung zu machen, frustriert sie zunehmend. Wozu mitgehen, wenn es ihnen niemand dankt? Aktuell geht es um die Frage, ob man Asylbewerber an den Grenzen zurückweisen sollte. Ob das rechtlich möglich ist, wird nun geprüft. Die Grünen halten das für ausgeschlossen. Sollte die Prüfung etwas anderes ergeben, stünde die Fraktion vor einer neuen Herausforderung.
Wenigstens eine Sorge ist die Partei inzwischen los. Seit klar ist, dass Annalena Baerbock nicht erneut als Kanzlerkandidatin antreten wird, steht fest, dass die Grünen Habeck aufstellen werden. Offiziell verkündet ist es noch nicht, doch Habeck gilt als gesetzt – trotz der Nachwehen des Heizungsgesetzes. Mit dem Streit um den Entwurf aus seinem Ministerium begann die aktuelle Krise der Grünen. Trotzdem glauben die meisten, dass Habeck als Kandidat punkten könnte. Bei all seinen Makeln gilt Habeck als nahbar und empathisch – ganz anders als ein Olaf Scholz oder ein Friedrich Merz.
Nach seiner Rede in Erfurt machen einige der Zuschauer noch Fotos mit ihm, eine Frau bittet ihn darum, auf ihrem T-Shirt zu unterschreiben. Bevor er geht, legt Habeck einem der Wahlhelfer die Hand auf die Schulter. „Viel Kraft, alles Gute“, sagt er. Die Grünen können es gerade gut gebrauchen.