„Wanderung“ durch 1800 Jahre Geschichte

Die Ausgrabung in der Stadtkirche vor 50 Jahren (1) Eine Fülle von archäologischen Funden zeigte, dass Murrhardt eine der ältesten Klostergründungen des Landes ist. Zu Beginn entdeckte man einen fränkischen Herrenhof, später Reste der ersten Mönchszelle.

Führung mit Rolf Schweizer (vorne rechts) in der Vierung zur Zeit der Ausgrabungen. Foto: Stadtarchiv Murrhardt

Führung mit Rolf Schweizer (vorne rechts) in der Vierung zur Zeit der Ausgrabungen. Foto: Stadtarchiv Murrhardt

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Anfang der 1970er-Jahre war es erforderlich, die Stadt- und ehemalige Klosterkirche umfassend zu renovieren und eine Fußbodenheizung einzubauen. Dies machte es notwendig, vor Beginn der Renovierungsarbeiten eine sogenannte archäologische Notausgrabung durchzuführen. Sie stand unter der Regie des Landesdenkmalamts und unter der Aufsicht des Mittelalterarchäologen Günter P. Fehring. Der Murrhardter Rolf Schweizer leitete, betreute und dokumentierte sie, einige freiwillige Helfer unterstützten ihn.

Offiziell dauerten die Ausgrabungsarbeiten von Mitte Januar bis Ende Dezember 1973, doch folgten noch Außenarbeiten mit Aufdeckung von Flächen und zeichnerische Aufnahmen von Wänden bis zum Herbst 1974. Diese Ausgrabung sei „eine Wanderung durch die 1800-jährige Geschichte“ Murrhardts gewesen, denn sie erbrachte zahlreiche entscheidende Erkenntnisse über die Geschichte der ehemaligen Klosterkirche, betont Schweizer. Dank einer Vielzahl von archäologischen Funden gelang der wissenschaftliche Nachweis, dass Murrhardt eine der ältesten frühmittelalterlichen klösterlichen Gründungen des ganzen Landes ist.

Die Ausgrabungen erfolgten ohne Arbeitsschutz und Vorsichtsmaßnahmen

Die Ausgrabung lieferte zudem wichtige Erkenntnisse über die verschiedenen Kirchenbauten, die davor teils noch unbekannt waren. Dabei arbeitete der Heimatgeschichtsexperte teils ehrenamtlich und unentgeltlich, teils erhielt er eine Ehrenamtspauschale, sprich kleine Entschädigung. „Die Arbeiten erfolgten ohne Versicherung und Personenschutzmaßnahmen“ wie Staubschutzmasken oder Brillen. Heute wäre das undenkbar, doch damals war man sich der vielen Gefahren noch nicht bewusst. Indes kam es zum Glück weder zu Unfällen noch wurde jemand krank. „Wir arbeiteten bei Tageslicht, teils auch mit der Beleuchtung in der Kirche und Arbeitslampen.“

Der Grabungsleiter zog sein Engagement praktisch ohne Urlaub und Unterbrechung auch samstags und sonntags durch. Die Bevölkerung verfolgte die Ausgrabung mit großem Interesse und erhielt aufschlussreiche Einblicke bei Führungen mit Rolf Schweizer. Zudem veröffentlichte die Murrhardter Zeitung in einer Serie regelmäßig von ihm verfasste Grabungsberichte. Er erzählt: „Gleich zu Beginn der Ausgrabung entdeckten wir die erste Kulturschicht mit Resten römischer Keramik, darum hielten wir sie anfangs für römisch und datierten sie entsprechend. Doch später erkannten wir anhand der Abfolge der Funde, dass wir Murrhardts frühmittelalterlich-fränkische Wurzeln gefunden hatten.“

Im Bereich der Vierung stieß das Archäologenteam auf zuvor eingeebnetem, gewachsenem Boden auf Pfostenlöcher, weitere Reste und Spuren eines Holzpfostengebäudes. Es war etwa sieben Meter lang, etwa fünf Meter breit und in Nordwest-Südost-Richtung auf einem damals am Ortsrand gelegenen freien Areal gebaut. Man erkannte, dass ein Pfosten zweimal gewechselt worden war und dass die nördliche Langseite die Traufe bildete, wie eine rund 70 Zentimeter parallel vor der Wand liegende, sandig-steinige Regenabflussrinne zeigte.

Diese Befunde sprachen dafür, dass das Gebäude wohl mehrere Jahrzehnte bestand. Danach brach man es gezielt ab, was sich an der Art der beim Abbau gezogenen Pfosten nachweisen ließ. Zunächst hielt das Team es für römisch, erst Monate später, nach weiteren Ausgrabungen im Bereich des Nordturms und Ostchors, konnte das Pfostengebäude der Zeit am Anfang des 7. Jahrhunderts zugeordnet werden.

Überdies fanden die Forscher Fundamentreste eines an derselben Stelle um 720 bis 730 errichteten Gebäudes. Demnach folgte der vorherigen, über etwa 150 Jahre Dauer gewachsenen Bebauung eine gezielte Neubauaktion. Nach Beseitigung des Holzpfostengebäudes errichtete man an derselben Stelle einen völlig anders konzipierten Neubau, wohl in fast gleicher Größe und unter Beibehaltung der Nordwest-Südost-Firstrichtung.

Ein Gebäude wurde entdeckt, das

wohl Teil des fränkischen Hofguts war

Über dem Fundament mit Lehm als eindeutigem Indiz für fränkische Bauweise war vermutlich auf Schwellbalken ein wohl zweistöckiges Riegelfachwerkgebäude aus Stein, Holz, Lehm und Flechtwerk errichtet worden, nimmt der Zeitzeuge an. Er geht davon aus, dass dieses Gebäude auf reichseigenem Grund stand und zu einem fränkischen Hofgut gehörte. Vielleicht war es sogar mit einem beheizbaren Raum ausgestattet: Wegen der fortschrittlichen Bauart könnte es das Herrenhaus gewesen sein. Den dürftigen archäologischen Spuren nach könnte im Erdgeschoss auch ein Ziegelfußboden gelegen haben.

Gegen Ende der Grabung stieß das Team im östlichsten Zwickel des Chorareals auf eine etwa 60 bis 80 Zentimeter breite Ausbruchgrube einer einst in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Mauer. In deren Abbruchmaterial konnten Spuren von farbigem Wandputz und Reste eines ehemaligen Estrichfußbodens mit Einsprengseln von Ziegelsplitt geborgen werden.

Die später wieder beseitigten Mauerreste gehörten laut dem Heimatgeschichteexperten zur westlichen Abschlusswand eines Gebäudes unbekannter Größe, das noch weiter östlich außerhalb des Grabungsbereichs lag. Im Grabungsbericht vom 1. Dezember 1973 schrieb er: „In den (...) Schichten im östlichsten Chorraum konnten Hinweise auf einen (...) Steinbau von wenigstens fünf Metern Breite gefunden werden, der noch in frühmittelalterlicher Zeit, (...) nach dem Aufbau der Walterich’schen Klosterkirche, um 828 abgebrochen worden ist.“ Dies war die um 750 erbaute Kapelle, die wohl bis um 800 mitsamt dem dazugehörenden Friedhof bestand. „Diese Funde bewiesen die Existenz der urkundlich genannten, aber oft in Zweifel gezogenen ersten kleinen Mönchszelle, die laut späterer Überlieferung der Heiligen Dreieinigkeit geweiht war“, betont Rolf Schweizer.

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Erstellt:
20. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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